Drachengabe - Diesig. Torsten W. Burisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Torsten W. Burisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960742890
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in ihr auf. Der Pfeil war nun schon so nah, dass sie die Spitze nicht mehr sehen konnte. Sie war eine Elbin und hatte Todesangst. Das passte eigentlich nicht zusammen. Aber hier und jetzt würde sie der Tod ereilen. Und es spielte keine Rolle mehr, ob ihr Elbenmut sie nun verließ, um sie menschlich zitternd zurückzulassen.

      „Hätte ich diese verdammte Magierhexe doch nur nicht beschimpft“, bereute Dantra. „Vielleicht hätte ich sie davon überzeugen können, dass es ihr mehr nützt, uns am Leben zu lassen. Oder ich hätte sie wenigstens überreden können, mich als Erstes zu töten. Vielleicht wäre Akinna dann in einem unbedachten Moment die Flucht gelungen. Oder hätte ich doch wenigstens nach Inius rufen können. Vielleicht wäre er uns zu Hilfe gekommen. Obwohl, was hätte er schon tun können? Auch wenn er seine Waffen gefunden hätte, so wäre sein Schwert ebenso machtlos gegenüber dieser Höllenbrut gewesen. Er hätte höchstens den Pfeil niederschlagen können ... Der Pfeil!“

      Die kalte Spitze drückte bereits gegen Akinnas Haut, als Dantra das Geschoss mit einer Salve seiner magischen Kraft in das dahinterliegende Dunkel schleuderte. Es hinterließ einen dünnen roten Strich auf Akinnas Stirn. Wie hatte er nur so lange nach einer Lösung suchen können, obwohl sie doch direkt vor ihm lag? Dantra war fassungslos über seine Dummheit. Er ärgerte sich unbändig, dass er erst jetzt begriffen hatte, dass der Pfeil das einzig Reale in diesem bizarren, bösen Spiel der Magierhexe war und damit auch das Einzige, was für seine magische Kraft als Angriffspunkt infrage kam.

      Mortuus wutverzerrtes Gesicht, mit dem sie Dantra ansah, ließ sein bevorstehendes Ende erschreckend näher rücken. „Du“, krächzte sie und streckte ihre Hand nach ihm aus, als wollte sie ihn am Hals packen, um ihm die Kehle zuzudrücken. Dabei wuchsen ihre Fingernägel rasend schnell zu messerscharfen Klingen heran. Aber noch bevor sie die zwei fehlenden Schritte auf ihn zumachte, schien sich ihre Boshaftigkeit in Verwunderung aufzulösen. Ihre Augen begannen, nervös zu zucken. Es sah aus, als hätte sich ihr ein Gedanke aufgedrängt, der bis jetzt hinter dem Nebel der Vergangenheit verborgen geblieben war und sich nun durch Dantras Verhalten in seiner ganzen Wichtigkeit zeigte.

      Die blutgierigen Krallen zogen sich zurück. „Warum wolltet ihr den Dolch stehlen?“, fragte sie mit wachsendem Interesse Akinna.

      Diese jedoch schwieg. Die unmittelbare Bedrohung durch den Pfeil war abgewendet und sogleich hatte ihr Elbenstolz die gerade noch erdrückend schwere Angst wieder verdrängt.

      „Willst du mir nicht antworten?“, lächelte Mortuus sie an, während sie ihre Hand ausstreckte und den Pfeil, der nun aus der Dunkelheit zurückgesaust kam, ohne hinzuschauen, kurz hinter der Spitze auffing.

      Akinna war nicht gewillt, ihrer Peinigerin Rede und Antwort zu stehen. Aber einfach nur zu schweigen, war sicher auch keine gute Idee. „Du bringst uns doch sowieso um. Wieso sollte ich dir dann von unseren Absichten erzählen?“, erwiderte sie trotzig, wobei das leichte Zittern in ihrer Stimme den Rest ihrer Todesangst verriet und fehl am Platz wirkte.

      Mortuus hob eine ihrer schmalen Augenbrauen. „Vielleicht lasse ich euch ja, wenn mir das, was ich höre, gefällt, am Leben.“ Als symbolische Unterstreichung ihrer Worte schob sie den Elbenpfeil zurück in Akinnas Köcher.

      Akinnas Hoffnung, ihrem Todesurteil zu entkommen, konnte ihren Stolz nicht besiegen. Sie schwieg.

      „Findest du nicht, dass sie etwas arrogant rüberkommt?“, fragte Mortuus Dantra, als würden sie bei einer Tasse Tee über die Nachbarschaft herziehen.

      Er schämte sich, Akinnas bewundernswerten elbischen Stolz je mit Arroganz verwechselt zu haben. Aber eine Antwort von ihm war ohnehin nicht erwünscht, denn noch immer wurde ihm von hinten der Mund zugehalten.

      „Schweig ruhig, meine Liebe“, sagte die Hexe an Akinna gewandt verständnisvoll. „Ich brauche sowieso mehr als nur deine momentanen Gedanken. Ich brauche deine Erinnerung. Dein ganzes bisheriges Leben.“ Sie trat ganz dicht an die Elbin heran, drehte ihren Kopf so, dass ihr Ohr direkt vor Akinnas Mund lag, und tippte dann mit ihrem Zeigefinger auf Akinnas Kinn. Sofort öffnete die Elbin ihren Mund und begann zu flüstern. An ihrem entsetzten Gesicht erkannte Dantra, dass sie nicht freiwillig redete und nicht einmal selbst verstand, was sie da eigentlich sagte.

      In dem Gesicht der Magierhexe hingegen, welches nun Dantra zugewandt war, konnte er sehen, dass sie sich nicht nur auf das Gehörte konzentrierte, vielmehr sah es sogar aus, als wäre sie in eine Art Trancezustand oder in eine geistige Abwesenheit verfallen. Was dann geschah, übertraf alles, was Dantra je an Magie gesehen hatte. Sogar alles, was er je von Magie gehört hatte. Mortuus’ Gesicht veränderte sich stetig, während ihr Kopf und ihre Haare unverändert blieben. Es spiegelte die Gesichter jener Menschen in der Reihenfolge wider, in der Akinna ungewollt von ihnen berichtete. Jedes Gesicht verweilte nicht länger auf dem der Hexe, als die Flamme einer Kerze zuckt, wenn sie sich am Ende des Dochtes befindet.

      Dass es sich dabei um Menschen aus Akinnas Vergangenheit handeln musste, war Dantra in dem Moment klar, als er ein wunderschönes Gesicht mit eindeutigen Elbenzügen darin sah. Zu seinem Bedauern hatte er das erste Antlitz verpasst. Schockiert über Akinnas unfreiwilligen Informationsfluss wurde ihm erst bewusst, dass sich das Gesicht Mortuus’ veränderte, als es, nur von Dantras Unterbewusstsein wahrgenommen, zum zweiten Mal eine andere Form annahm. Es kamen noch einige andere, die Dantra, mit Ausnahme von Nomos, nicht kannte. Erst als der Königssohn Uras auftauchte und kurz darauf er selbst, war Dantra sich sicher, dass sich die Gesichter nicht nur in der Reihenfolge ihrer Erwähnung zeigten, sondern dass die unfreiwillige Erzählung Akinnas mit ihrer Geburt begonnen hatte und sich bis zum heutigen Tag erstreckte.

      Als wieder die graue, glatte Haut von Mortuus erschien, besann diese sich der Gegenwart. „So, so. Sehr interessant“, sagte sie sinnierend. Ihr umherschweifender Blick blieb schließlich an Dantra hängen. „Na, dann wollen wir doch mal hören, was du zu sagen hast.“

      Die Hand, die ihm gerade noch den Mund zugehalten hatte, verschwand. Die Magierhexe stellte sich nun so vor ihm auf, wie sie es schon bei Akinna getan hatte, und drehte sich dabei mit dem Gesicht zur Elbin. Zu Dantras Erschrecken sah diese aber immer noch schockiert über ihre Machtlosigkeit stur nach vorn.

      Dantra schaffte nur noch ein „Akin...“, bis er den Finger der Magierhexe auf seinem Kinn spürte. Sofort begann sein Mund ohne sein Zutun mit dem Flüstern von Worten, die er selbst nicht verstand, und erzählte von seiner Vergangenheit. Es waren nur wirre Laute, die aus ihm herauskamen, und keine durchdacht klingenden Sätze. Aber das war Dantra völlig egal. Er sah mit großer Erleichterung, dass Akinna wie gebannt auf das Gesicht von Mortuus starrte.

      Als sein Mund sich wieder zum Schweigen schloss, durchquerte Mortuus nachdenklich den Raum. Am Ende angekommen, drehte sie sich wieder zu ihnen um und begutachtete sie noch einen Moment, bevor sie beide mit überschwänglicher Freundlichkeit dazu aufforderte, näher zu kommen.

      Einige kurze Handbewegungen später brannte ein einladendes Feuer an der Stelle, wo sie vergebens nach dem Dolch gesucht hatten, zwei Stühle und ein kleiner Thron, dessen Anblick eher abschreckend als vertrauenerweckend war, erschienen aus dem Nichts. Die dunklen Gestalten, die Dantra und Akinna gerade noch fest im Griff gehabt hatten, verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Mortuus setzte sich auf den Thron, dessen Flanken und Vorderseite aus zerbrochenen Grabsteinen zusammengesetzt schienen. Hier und da konnte man sogar noch Teile von Namen oder die Zahlen von Daten erkennen.

      Die Rückenlehne, die ihren Kopf um gute drei Fuß überragte, lief nach oben hin wie ein Trichter oder ein breiter Kragen auseinander. Sie war aus einem sehr glatten Stück Stein gearbeitet, auf dem in blutroter Schrift die Worte „Der Tod zu meinen Füßen kniet, seine Macht in meinen Händen liegt“ eingemeißelt waren. In dem Augenblick, als Mortuus Platz nahm, verschwammen die Buchstaben und ein schwer zu beschreibendes Symbol entstand an deren Stelle. Es war ein Halbkreis, aus dem einige in sich verknitterte Spitzen nach oben zeigten. Darunter waren zwei gekreuzte Pfeile und ein Schwert. Die Bedeutung war nicht gleich zu erkennen. Jedoch schien es, als würde das obere chaotisch wirkende Zeichen die Macht über die eindeutig als menschliche Waffen zu erkennenden unteren Symbole haben.

      „Kommt doch. Habt keine Angst. Wenn ich euch was tun