Ich hatte schon früh die Hoffnung, dass die Consultingbranche für mich das Tor zu einem anderen Bereich sein könnte. Da ich in Los Angeles arbeitete, fragte ich mich, wie ich einen Fuß in die Tür der Unterhaltungsindustrie bekommen könnte. Ich hatte nichts Konkretes vor; ich wusste nur, dass ich mich für diese Branche interessierte und nach Hollywood wollte, und nicht nur, um irgendeinem Agenten die Post zu bringen.
Ray Gallo, mein bester Freund aus dem Bachelorstudium, arbeitete als Anwalt in Los Angeles, also rief ich ihn an und fragte ihn um Rat.
„Hallo Ray, kennst du jemanden in der Unterhaltungsbranche, mit dem ich darüber sprechen könnte, wie ich da hineinkomme? Kennst du irgendjemanden, der mal kurz Zeit hätte, mit mir essen zu gehen?“
„Über gemeinsame Freunde kenne ich jemanden namens David, der auch auf der HBS war. Ruf ihn doch mal an.“
David war ein schlauer Unternehmer, der einige kreative Geschäfte in Hollywood machte. Vor allen Dingen hatte er eine enge Verbindung zu einem gehobenen Manager in einem Filmstudio, der auch mit ihm studiert hatte. Ich hoffte, dass ich beide kennenlernen könnte.
Ich traf mich mit David in einem Straßencafé in Santa Monica. Er trug die in Los Angeles übliche elegante Freizeitkleidung. Ich war in Anzug und Krawatte, was zu dem zugeknöpften Consultant aus dem Mittelwesten passte, der ich damals war.
Nach einigem Hin und Her stellte ich David eine Frage:
„Ich denke darüber nach, irgendwann in die Unterhaltungsbranche zu wechseln. Kennen Sie jemanden, der mir nützliche Ratschläge geben könnte?“ Ich war der gute Freund eines engen Freundes von ihm. Angesichts der Intensität unseres Treffens schien mir das eine harmlose Bitte.
„Ich kenne da schon jemanden“, sagte er. „Sie ist bei Paramount im gehobenen Management.“
„Super, ich würde sie gern kennenlernen“, sagte ich begeistert. „Wäre es möglich, schnell ein Treffen zu arrangieren? Könnten Sie ihr vielleicht eine E-Mail schicken?“
„Kann ich nicht“, sagte er kategorisch. Ich war schockiert und meinem Gesicht sah man das an. „Keith, das ist so: Wahrscheinlich brauche ich von dieser Person irgendwann irgendetwas, irgendeinen persönlichen Gefallen. Ich habe einfach keine Lust, das Kapital, das ich bei dieser Person habe, für Sie oder für jemand anderen einzusetzen. Das muss ich für mich selbst aufsparen. Tut mir leid. Ich hoffe, Sie verstehen das.“
Aber ich verstand es nicht. Ich verstehe es immer noch nicht. Seine Aussage widersprach allem, was ich wusste. Er hielt Beziehungen für etwas Endliches, so wie ein Kuchen, aus dem man nur eine bestimmte Anzahl Stücke schneiden kann. Nimmt man ein Stück weg, bleibt weniger für einen selbst übrig. Ich wusste allerdings, dass Beziehungen eher wie Muskeln sind – je mehr man sie benutzt, desto stärker werden sie.
Wenn ich mir die Zeit nehme, mich mit jemandem zu treffen, will ich versuchen, dieser Person zum Erfolg zu verhelfen. Aber David rechnete auf. Er betrachtete jede Begegnung im Lichte der Ertragsminderung. In seinen Augen beinhaltete eine Beziehung nur eine bestimmte Menge an Goodwill, an Sicherheiten und an nutzbarem Kapital.
Er hatte nicht begriffen, dass die Nutzung des Kapitals das Kapital aufbaut. Dieses große Aha-Erlebnis hat David wohl nie gehabt.
Ich habe diese Lektion von Jack Pidgeon gelernt, dem ehemaligen Schulleiter der Kiski School im südwestlichen Pennsylvania, wo ich zur Schule gegangen bin. Er hatte eine ganze Institution darauf aufgebaut, dass er die Menschen nicht fragte: „Wie können Sie mir helfen?“ Sondern indem er fragte: „Wie kann ich Ihnen helfen?“
Jack kam mir oft zu Hilfe, unter anderem einmal als ich in meinem zweiten College-Jahr war. Ich hatte mich für den Sommer von einer Frau engagieren lassen, die gegen einen jungen Kennedy als Kandidatin für den Kongress antrat. In Boston gegen einen Kennedy zu kandidieren und obendrein noch für den früheren Sitz von Jack Kennedy war in den Augen vieler Menschen ein aussichtsloses Unterfangen. Aber ich war jung, naiv und kampfbereit.
Leider hatten wir kaum Zeit gehabt, die Rüstung anzulegen, da mussten wir schon die weiße Fahne hissen und aufgeben. Einen Monat nach Beginn des Wahlkampfs ging uns das Geld aus. Acht andere College-Studenten und ich wurden aus einem Hotelzimmer, das als Wahlkampfzentrale herhalten musste, mitten in der Nacht von dem Geschäftsführer buchstäblich hinausgeworfen, weil wir ihn zu lange nicht bezahlt hatten.
Wir stopften unsere Reisetaschen in einen gemieteten Lieferwagen und da wir nicht wussten wohin, fuhren wir nach Washington, D.C. In unserer Unschuld dachten wir, wir könnten uns in einen anderen Wahlkampf einklinken. Was waren wir noch grün hinter den Ohren.
Irgendwann in der Nacht rief ich von einem Münzfernsprecher an irgendeiner Raststätte auf dem Weg nach Washington aus Mr. Pidgeon an. Als ich ihm unsere Lage schilderte, kicherte er. Und dann tat er, was er schon für Generationen von Kiski-Absolventen getan hat. Er klappte seine Rolodex-Rollkartei auf und begann zu telefonieren.
Unter anderem rief er Jim Moore an, ebenfalls ehemaliger Kiski-Schüler und früher stellvertretender Wirtschaftsminister der Reagan-Administration. Bis unsere Karawane der verirrten Seelen in Washington ankam, hatten wir alle Übernachtungsplätze und waren auf dem besten Weg zu neuen Ferienjobs. Ich bin ziemlich sicher, dass Mr. Pidgeon seinerzeit für Jim ähnliche Anrufe getätigt hat.
Mr. Pidgeon wusste, was es wert war, Menschen miteinander bekannt zu machen, von Kiski-Schüler zu Kiski-Schüler. Er wusste nicht nur, wie sehr sich das auf das Leben der Einzelnen auswirken würde, sondern, dass sich die Loyalität, die dieses Handeln erzeugte, für die fast bankrotte, kleine, aus fünf Gebäuden bestehende Einrichtung in Südwest-Pennsylvania, die er aufzubauen versuchte, am Ende lohnen würde.
Und so war es auch. Jim und ich sitzen inzwischen im Verwaltungsrat unserer früheren Schule. Und wenn Sie die Schule aus der Zeit kennen würden, als Jack sie übernahm, würden Sie sie heute kaum wiedererkennen; die Skipisten, der Golfplatz, das Kunstzentrum und die technischen Einrichtungen lassen sie aussehen wie ein MIT des Mittleren Westens.
Ich will damit Folgendes sagen: Vertrauen festigt Beziehungen. Darauf werden Institutionen aufgebaut. Vertrauen gewinnt man nicht, indem man Menschen fragt, was sie für einen tun können, sondern – um einen früheren Kennedy zu zitieren – indem man fragt, was man für andere tun kann.
Anders gesagt ist die Währung des echten Networkings nicht Gier, sondern Großzügigkeit.
Wenn ich auf all die Menschen zurückblicke, denen ich unschätzbare Lehren über den Aufbau dauerhafter Beziehungen verdanke – meinen Vater, Elsie, meine Schützlinge und die College-Studenten, mit denen ich spreche, Ray, Mr. Pidgeon, die Menschen, mit denen ich arbeite –, komme ich zu mehreren grundlegenden Erkenntnissen und Beobachtungen:
1.Konjunkturzyklen kommen und gehen; Freunde und vertraute Kollegen bleiben. Es könnte durchaus der Tag kommen, an dem Sie am Nachmittag in das Büro Ihres Chefs gehen und zu hören bekommen: „Tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber …“ Das ist garantiert ein schwerer Tag. Man kommt damit allerdings viel besser zurecht, wenn man nach ein paar Telefonaten in ein anderes Büro treten kann und dort zu hören bekommt: „Auf diesen Tag habe ich schon lange gewartet. Ich gratuliere …“
Sicherer Arbeitsplatz? In schweren Zeiten rettet Sie keine Erfahrung, kein Fleiß und keine Begabung. Wenn man Arbeit, Geld, Rat, Hilfe, Hoffnung oder eine Verkaufsmöglichkeit braucht, findet man sie nur an einem Ort mit unfehlbarer Sicherheit – im ausgedehnten Kreis der Freunde und Kollegen.
2.Man braucht sich keine Gedanken zu machen, wer die Zeche bezahlt. Es bringt nichts, über gewährte und angenommene Gefallen Buch zu führen. Wen interessiert das?
Würde es Sie überraschen, wenn ich Ihnen sagen würde, dass es „Hollywood“-David jetzt gar nicht mehr so gut geht? Er hortete das Beziehungskapital solange, bis er feststellen musste, dass es nichts mehr zu horten gab. In den zehn