«Sind das nicht diese Puzzle-Leute?», fragte Hyrum, der die Szene ebenfalls beobachtete.
Und richtig: Elizabeth sah, wie Mr. Wellington und Mr. Rajput, zwei Gentlemen, die seit fast zwei Jahren bei jedem Aufenthalt im Winterhaus an einem riesigen Puzzle mit fünfunddreißigtausend Teilen arbeiteten, ihren Ehefrauen aus dem Auto halfen. Dann gingen alle vier auf das Hotel zu. Sie wollte ihnen zurufen und sie begrüßen, aber sie war immer noch zu weit weg, und der Schnee schluckte alle Geräusche.
«Ich dachte, sie würden erst nächste Woche eintreffen», sagte Elizabeth.
Hyrum machte eine Kopfbewegung zum Hotel. «Gehen wir Hallo sagen.»
Elizabeth stieß sich auf den Skiern vorwärts. Während sich die Entfernung zum Winterhaus stetig verringerte, überlegte sie, warum ihr das frühe Eintreffen von Mr. Wellington und Mr. Rajput so komisch vorkam. Das Bild des rot gefärbten Schnees über dem Mineneingang zuckte ihr durch den Sinn. Doch dann erreichten sie und Hyrum die Auffahrt vor dem Grandhotel, und sie verscheuchte alle trüben Gedanken.
KAPITEL 3
EINE GABE SUCHT IHRESGLEICHEN
Die Lobby des Hotels Winterhaus war so riesig und so elegant, dass Elizabeth jedes Mal beim Hereinkommen beeindruckt war, obwohl sie mittlerweile täglich mehrmals hier durchging. Die Kandelaber, die glänzend polierten Holzpaneele, der dicke weiche Teppich mit dem Rautenmuster, die Gemälde und Elchköpfe an den Wänden, die sanfte Musik des Streichquartetts aus den Lautsprechern und das Aroma von Feuerholz, gemischt mit dem zuckersüßen Duft des weltberühmten Winterhaus-Konfekts, der «Flurschen». All das verzauberte Elizabeth immer wieder aufs Neue.
«Es gibt keinen besseren Ort auf der Welt», sagte Hyrum, während er die Mütze abnahm und seine feuchten Haare schüttelte. Er und Elizabeth hatten die Skier neben der Eingangstür stehen lassen und waren in die Lobby gegangen. Hyrum blickte zu der hohen Decke empor und lächelte. «Du hast echt Glück, dass du hier wohnen darfst.»
Elizabeth wollte ihm gerade beipflichten, als Sampson, ein Page, der kaum älter war als Hyrum, sie lautstark begrüßte. «Die weltberühmte Langläuferin Elizabeth Somers ist zurückgekehrt!», rief er von seinem Pagentisch aus und zeigte mit einem breiten Grinsen seine Hasenzähne.
«Hallo Sampson», sagte Elizabeth. Sampson war in ihren Augen nicht nur einer der besten, sondern auch der freundlichste Page im Winterhaus.
«Und Ihnen ein herzliches Willkommen, Mr. Hyrum Crowley», sagte Sampson. «Schön, Sie zu sehen. Ich bin froh, dass Sie und Elizabeth es noch vor dem Sturm ins Hotel geschafft haben.»
«Hey, Sampson», sagte Hyrum und deutete mit dem Daumen über seine Schulter. «Da draußen schneit es schon tüchtig. Ist Mr. Fowles bereits eingetroffen?»
Sampson spähte durch das Glas der Eingangstüren. «Wir erwarten ihn jeden Moment.»
«Es wird auch mit jeder Minute kälter», setzte Elizabeth hinzu, doch ihr Blick wurde schon von einer Ecke der Lobby angezogen, wo auf einem langen Tisch das riesige Puzzle lag, dem der große, kahlköpfige Mr. Wellington und der kleine, rundliche Mr. Rajput in den vergangenen Monaten unendlich viele Stunden ihrer Zeit gewidmet hatten. Die beiden Männer kehrten mit ihren Ehefrauen drei- oder viermal im Jahr jeweils für zwei Wochen im Hotel ein und verbrachten dann die meiste Zeit damit, nach passenden Puzzleteilchen zu suchen. Das letzte Mal waren sie an Weihnachten da gewesen und hatten große Fortschritte an dem Motiv gemacht, das einen Tempel im Himalaja darstellte, wo Nestor Falls, der Gründer von Winterhaus, einmal gelebt hatte. Mittlerweile konnten sie es kaum noch abwarten, das Puzzle endlich fertigzustellen. Elizabeth half ihnen, sooft sie konnte – zum einen, weil sie Puzzles liebte, zum anderen, weil sie die geradezu unheimliche Gabe besaß, in Windeseile die passenden Puzzleteile zu finden. Mr. Wellington und Mr. Rajput waren immer dankbar, wenn sie sich zu ihnen gesellte.
Zu Elizabeths Überraschung standen die beiden Männer jetzt neben dem Tisch (ohne ihre Frauen, die sie nirgends entdecken konnte) und betrachteten das unfertige Puzzle, als ob sie bereits seit Stunden darüber brüten würden. Dabei hatten Elizabeth und Hyrum sie doch eben erst das Hotel betreten sehen. Es kam ihr merkwürdig vor, dass Mr. Wellington und Mr. Rajput sich sofort nach ihrer Ankunft an die Arbeit machten, ohne überhaupt ihre Zimmer aufgesucht zu haben.
«Ich wusste gar nicht, dass sie heute kommen wollten», sagte Elizabeth zu Sampson und deutete auf den Puzzletisch.
Er beugte sich zu ihr. «Es kam auch für uns unerwartet», sagte er mit gesenkter Stimme. «Mr. Wellington war ganz aufgeregt, wieder hier zu sein. Er hat Mr. Rajput angetrieben, er solle sich beeilen, damit sie mit dem Puzzle weitermachen können, und dann sind sie geradewegs zum Tisch gegangen, als ob sie es gar nicht abwarten könnten.»
Hyrum drehte sich zu Elizabeth um und warf ihr einen Blick zu, der besagen sollte: Wie seltsam! Doch dann zuckte er mit den Achseln und bedeutete Elizabeth mit einer Kopfbewegung, ihn zu den beiden Männern zu begleiten. «Wollen wir sie begrüßen?»
Sie schlenderten zum Puzzletisch, aber Mr. Wellington und Mr. Rajput schienen sie gar nicht zu bemerken, so sehr waren sie in die Puzzlestücke vertieft, die vor ihnen lagen.
«Hallo Mr. Wellington», sagte Elizabeth. «Hallo Mr. Rajput.»
Die Köpfe der beiden Männer ruckten hoch. Sie wirkten nicht nur überrascht, Elizabeth zu sehen, sondern auch leicht verdattert, wie jemand, der einer Person begegnet und weiß, dass er diese Person kennt, sie aber nicht einordnen kann.
Nach einer kleinen Weile kehrte der typische leutselige Ausdruck auf Mr. Wellingtons Gesicht zurück. «Ach ja!», sagte er überschwänglich. «Die liebe Elizabeth! Wie schön, dich zu sehen!» Er trat zu ihr und schüttelte ihr die Hand. Dann wandte er sich Hyrum zu. «Und unser junger Lehrer! Freut mich, freut mich, Sir!» Er drehte sich zu Mr. Rajput um, der zögernd vortrat. «Nun machen Sie schon, Mr. Rajput, kommen Sie und begrüßen Sie unsere Freunde!»
Der kleinere Mann hatte seine übliche freudlose Miene aufgelegt, als ob er gerade eine übergroße Enttäuschung erlebt hätte und jeden an seinem Gefühlsleben teilhaben lassen wollte. Er streckte Elizabeth die Hand hin. «Wir sind immer hocherfreut, wenn unser Wunderkind sich zu uns gesellt», sagte er. Sein Blick unter den schweren Lidern wandte sich Hyrum zu. «Auch wenn ich vermute, dass sie bereits den Nachmittag mit jugendlichen Vergnügungen verplant hat und sich nicht in der Lage sieht, hier bei uns zu verweilen, während wir auf unserem mühseligen – sehr mühseligen! – Weg voranschreiten, um dieses …»
«Mr. Rajput!», fiel ihm Mr. Wellington ins Wort und deutete auf Hyrum, um seinen Puzzlepartner aufzufordern, auch ihm die Hand zu geben. «Hören Sie doch auf zu murren!» Er lächelte Elizabeth zu. «Wir freuen uns, wieder hier zu sein, und wir konnten es gar nicht erwarten, unsere Arbeit an dem Puzzle aufzunehmen.»
«Das sehe ich», sagte Elizabeth und betrachtete das Puzzle auf dem Tisch. Die beiden würden noch einen oder zwei weitere Besuche hier im Hotel benötigen, um es zu vollenden, schätzte sie. Obwohl sie den Männern gerne half, wenn sie hier im Winterhaus waren, vermied sie es, in ihrer Abwesenheit auch nur ein einziges Puzzleteil anzurühren, aus Respekt Mr. Wellington und Mr. Rajput gegenüber. Es war deren Projekt. Wenn die beiden nicht da waren, stand sogar ein Schild auf dem Tisch – Mr. Rajput und Mr. Wellington, die seit Monaten an diesem Puzzle arbeiten, halten sich derzeit nicht im Hotel auf. Bitte lassen Sie das Puzzle unberührt! Vielen Dank. Mr. R und Mr. W –, das jede Ambition von Außenstehenden im Keim erstickte. So merkwürdig es Elizabeth auch vorkam, kein einziger Gast schien jemals Anstalten zu machen, die Bitte zu ignorieren oder auch nur infrage zu stellen. Viele Leute bewunderten das Puzzle, aber noch nie hatte sie gesehen, dass jemand versuchte, selbst ein Teil einzupassen.
«Nun, Sie