Soviel von der Darstellung seiner Laufbahn in der »Galerie«. Inzwischen hatte er seine andere Beschäftigung nicht aus den Augen verloren. Seit dem Erscheinen der ersten Skizze im Monthly Magazine hatten schon neun andere die Seiten der späteren Nummern dieser Zeitschrift bereichert, die letzte im Februar 1835 und jene, die im August 1834 erschienen war, hatte zuerst die Unterschrift »Boz« getragen. Dies war der Spitzname seines von ihm zärtlich geliebten jüngeren Bruders Augustus, den er zu Ehren des Vicars von Wakefield Moses getauft hatte, was (scherzhaft durch die Nase gesprochen) zu Böses wurde, woraus dann die Abkürzung Boz entstand. »Boz war mir ein wohlbekannter Familienname, lange ehe ich mich der Schriftstellerei widmete, und so kam es, daß ich dies Pseudonym annahm.«
Zwei entscheidende Ereignisse im Leben von Dickens fallen fast gleichzeitig. Der Anfang des Jahres 1836 fand ihn noch damit beschäftigt, die erste Reihe der »Skizzen von Boz« gegen ein Honorar von etwa 3000 Mark in zwei Bänden herauszugeben. Aber schon am 31. März 1836 erschien das erste Schillings-Heft seines in Lieferungen veröffentlichten Romans der »Pickwickier«, nachdem es die Times vom 26. März angekündigt hatte, und am 2. April meldete dasselbe Blatt, daß sich Charles Dickens verheiratet habe mit Katharine, der ältesten Tochter George Hogarths, seines Freundes und Kollegen am Morning Chronicle. Die Flitterwochen verlebte der 24jährige Ehemann in der Gegend, zu der er in allen bedeutungsvollen Epochen seines Lebens mit einer sich seltsam erneuernden Vorliebe zurückkehrte, in dem ruhigen kleinen Dorfe Chalk an der Straße zwischen Gravesend und Rochester.
Daß in der jungen Ehe ein Mißverhältnis bestanden hätte, wird von keiner Seite aus berichtet. Freilich nahm er von vornherein noch eine jüngere Schwester seiner Frau, Mary, mit ins Haus, zu der er bald, wenn man seinen eigenen Worten Glauben schenken darf, eine leidenschaftliche Zuneigung faßte. Und als sie schon im nächsten Jahre sehr plötzlich starb, war er gänzlich niedergeschmettert. Er wollte sein Grab neben dem ihrigen haben, und noch fünf Jahre später, als über den Raum anders verfügt werden sollte, geriet er fast in Verzweiflung. »Die Sehnsucht, einst neben ihr begraben zu werden, ist bei mir noch so stark wie vor fünf Jahren, und ich weiß jetzt – denn ich glaube nicht, daß es jemals eine so starke Liebe gab wie die meinige zu ihr – daß sich diese Sehnsucht niemals vermindern wird. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, von ihrem Staube ausgeschlossen zu sein. Es schiene mir, daß ich sie zum zweiten Male verliere.« Auch während seiner zweiten amerikanischen Reise glaubte er, daß ihr Geist ihn immer umschwebe.
Wenn man dies nun alles wortwörtlich nähme, so würde die arme Katharine von Anfang an einen schweren Stand neben ihrem Manne gehabt haben. Aber Dickens war Dichter, und wie es innerlich mit seinen Liebesneigungen stand, hat er im Copperfield in seinem Verhältnis zu Klein-Emily, Dora und Agnes geschildert: es wird wohl etwas Übertreibung und etwas Einbildung seine Hand dabei mit im Spiele gehabt haben. Marys Grabschrift, von ihm geschrieben, ist auf einem Grabstein des Kirchhofs in Kensal-Green zu lesen:
»Jung, schön und gut, zählte sie Gott in seiner Gnade in dem frühen Alter von siebenzehn Jahren seinen Engeln zu.«
Es ist hier der Ort, darauf hinzuweisen, daß Käthe nicht in der Dora porträtiert ist, die wir aus dem Copperfield so liebgewonnen haben. Eine Bostoner Gesellschaft von Bücherliebhabern veröffentlichte vor kurzem die Liebesbriefe des Dichters an Maria Beadnell. Diese Publikation beweist nun wiederum die Tatsache, daß Dickens David Copperfield selbst ist und daß Maria Dora ist. Der letzte Brief des 22jährigen an die, einem reichen Mann angeheiratete, schloß: »Ich habe nie jemand vor Dir geliebt und kann auch kein menschliches Wesen außer Dir lieben! Und die Liebe, die ich jetzt zu Dir hege, ist so rein und so ewig wie zu irgend einer Zeit unseres Briefwechsels. Meine Gefühle wurden früh auf ein einziges Ziel gerichtet, und sie waren stark und werden ewig dauern.«
Nach 23 Jahren, nachdem Maria von den Fittichen des Schicksals hart geschlagen worden war, schrieben sich die beiden wieder. Einer der rührendsten Briefe von Dickens an Mrs. Winter lautet:
»Was ich heute an Einbildungskraft, Erzählungstalent, Energie, Leidenschaft, Streben und Entschlossenheit besitze habe ich nie getrennt und werde ich nie trennen von der hartherzigen kleinen Frau ... von Ihnen ... für die ich buchstäblich mit der größten Bereitwilligkeit gestorben wäre. Mir ist vollständig klar, daß ich meinen Weg aus der Armut und der Verborgenheit zu erkämpfen anfing mit dem beständigen Gedanken an Sie .... Meine große Hingebung und meine unnütze Zärtlichkeit in jenen harten Jahren, derer ich mich seitdem teils mit Freude, teils mit Grauen erinnere, haben auf mich einen solchen Einfluß ausgeübt, daß ich auf diese Zeit der Unterdrückung meiner Gefühle meine jetzige Zurückhaltung zurückführen muß, die sicherlich nicht ein Teil meiner ursprünglichen Natur ist, aber die mich jetzt abhält, meine Gefühle zu zeigen, selbst meinen Kindern gegenüber, außer wenn sie noch ganz klein sind ... Dies alles sind Dinge, die ich in meiner Brust verschlossen hielt und von denen ich nie glaubte, daß ich sie einmal sehen lassen würde. Aber jetzt, wo ich wieder an Sie schreibe, ... an Sie ganz allein ... wie könnte ich es unterlassen, Sie in mich hineinsehen zu lassen, um Ihnen zu zeigen, daß sie immer noch da sind. Wenn die reinsten, die glühendsten und die selbstlosesten Tage meines Lebens Sie als Sonne hatten ... und es war wirklich so ... und wenn ich weiß, daß der Traum, in dem ich damals lebte, mir gut tat, mein Herz läuterte und mich geduldig und standhaft machte, und wenn der Traum nur Sie kannte .. Gott weiß, daß es so war ... wie kann ich von Ihnen Vertrautes erfahren und Sie Vertrautes von mir hören, wenn ich Ihnen vorheuchelte, daß dies alles bei mir ausgelöscht wäre?« Später einmal schreibt Dickens an Mrs. Winter:
»Sie sind und bleiben immer dieselbe in meiner Erinnerung. Und wenn Sie sagen, daß Sie ›zahnlos, dick, alt und häßlich‹ geworden seien (was ich nebenbei nicht glaube), dann eile ich in Gedanken zu dem Hause in Lombard Street, das ebenso wie meine Luftschlösser verschwunden ist und dessen Backsteine und Mörtel zerfallen sind, und ich sehe Sie in einem himbeerfarbigen Kleide, mit einer kleinen schwarzen Einfassung oben ... aus schwarzem Plüsch, scheint es ... in Zackenspitzen geschnitten ... in unzähligen Zackenspitzen ... und mich mit meinem jugendlichen Herzen wie ein gefangener Schmetterling auf jeder Spitze aufgespießt.«
Von Käthe selbst hören wir erst aus der amerikanischen Reise (1842) etwas ausführlicher. Er schildert ihr Wesen dort recht humoristisch. Käthe hat allerdings die ständige Neigung anzustoßen: aus jeder Droschke zu fallen, sich den Fuß zu verstauchen, mit der Stirn an alle Laternenpfähle anzurennen. Doch gibt ihr Dickens das Zeugnis einer in jeder Hinsicht bewundernswürdigen Reisegefährtin. Sie ist nie müde, nie verstimmt, klagt nie und beklagt sich über nichts, obgleich er ihr starke Anstrengungen zumutet; sie ist immer willig und heiter: »kurz« – so schließt Dickens – »sie hat mir sehr gut gefallen.« Selbst seinem Wunsche, gleich ihm eine Rolle auf dem Theater zu übernehmen, gibt sie nach, obwohl nicht gerne. »Ich spielte das ganze Stück hindurch unter lautem Gelächter; was sagst Du aber dazu,« schreibt Dickens aus Montreal an Forster, »daß Käthe spielte, und zwar verteufelt gut, wie ich Dir versichern kann?«
Mit der Parlamentssession von 1836 endete übrigens seine Tätigkeit als Berichterstatter, und einige Früchte seiner vermehrten Muße zeigten sich noch vor dem Schlusse dieses Jahres. Die musikalischen Talente und Verbindungen seiner ältesten Schwester hatten ihn mit vielen Freunden und Professoren dieser Kunst bekanntgemacht. So kam es, daß er sich lebhaft für Brahams Unternehmen an dem St. James-Theater interessierte. Braham war ein damals bekannter englischer Sänger und Komponist, der in diesem Jahre den Versuch machte, im St. James-Theater eine englische Oper zu begründen. Dickens schrieb zu seinem Besten eine auf einer seiner Skizzen beruhende Posse und das Textbuch für eine Oper, zu der sein Freund Hullah die