»Ja, zweite Gouvernante in einer Familie, die Mr. Copperfield als Gast häufig besuchte. Mr. Copperfield war immer sehr freundlich und aufmerksam gegen mich und machte mir zuletzt einen Heiratsantrag. Und ich sagte: Ja. Und so wurden wir Mann und Frau«, sagte meine Mutter ganz schlicht und treuherzig.
»Hm! armes Kind!« murmelte Miß Betsey und sah immer noch grimmig ins Feuer. »Verstehst du denn etwas?«
»Was beliebt, Madame?« entgegnete meine Mutter.
»Na, z.B. von der Wirtschaft?« fragte Miß Betsey.
»Ich fürchte, nicht viel«, erwiderte meine Mutter. »Nicht so viel wie ich wünschen möchte. Aber Mr. Copperfield unterwies mich darin –«
»Verstand selber recht viel davon«, schaltete Miß Betsey ein.
»– Und ich hätte sicherlich Fortschritte darin gemacht, da ich sehr eifrig im Lernen und er sehr geduldig im Lehren war, wenn nicht das große Unglück seines Todes« – meine Mutter verlor wieder die Fassung und konnte nicht weiter sprechen.
»Nun ja, nun ja!« begütigte Miß Betsey.
»Ich führte mein Wirtschaftsbuch regelmäßig und schloß es mit ihm gewissenhaft jeden Abend ab«, rief meine Mutter, in einem neuen Ausbruch des Schmerzes aufschluchzend.
»Nun, nun, weine nur nicht mehr!« sagte Miß Betsey.
»Und es fiel niemals auch nur das kleinste Wort der Uneinigkeit darüber, außer wenn Mr. Copperfield tadelte, daß ich die Drei und Fünf einander so ähnlich und an die Sieben und die Neun Schleifen machte«, schluchzte meine Mutter weiter und sah sich immer wieder von Tranen unterbrochen.
»Du wirst dich noch krank machen«, sagte Miß Betsey fürsorglich, »und das ist weder für dich noch für mein Patchen gut. Komm, komm! «Du mußt das unterlassen!«
Diese Begründung trug einiges zur Beruhigung meiner Mutter bei, obgleich ihr zunehmendes Übelbefinden einen größern Anteil daran hatte. Es folgte eine Pause des Schweigens, das nur unterbrochen würde von einem gelegentlichen »Hm!« der Miß Betsey, die immer noch dasaß, die Füße auf den Kaminvorsetzer gestemmt.
»David hatte sich für sein Geld eine Leibrente gekauft«, sagte sie nach einer Weile. »Was hat er für dich getan?«
»Mr. Copperfield«, sagte meine Mutter mit einiger Anstrengung, »war so rücksichtsvoll und gut gegen mich, mir einen Teil der Leibrente zu sichern.«
»Wieviel?« fragte Miß Betsey.
»Hundertundfünf Pfund jährlich«, sagte meine Mutter.
»Es hatte übler kommen können«, sagte meine Tante.
Das war eine in doppelter Hinsicht treffende Bemerkung, denn der Zustand meiner Mutter hatte sich so sehr verschlimmert, daß Peggotty, die soeben mit Teebrett und Lampe hereintrat und auf den ersten Blick ihren Zustand erkannte, – was Miß Betsey natürlich schon längst bemerkt hätte, wenn das Zimmer nicht so finster gewesen wäre –- daß sie also Peggotty so rasch wie möglich in die Stube hinauf brachte und sofort Ham Peggotty, ihren Neffen, der seit einigen Tagen als immer verfügbarer Bote für unvorhergesehene Fälle im Hause verborgen gewesen war, nach der Hebamme und dem Doktor schickte.
Diese verbündeten Mächte wunderten sich nicht wenig, bei ihrer kurz hintereinander erfolgenden Ankunft eine unbekannte Dame von gewichtigem Aussehen vor dem Feuer sitzen zu sehen, die den Hut an dem zusammengeknüpften Bande über den linken Arm hängen hatte und sich die Ohren mit einer seinen Watte zustopfte. Da Peggotty nichts von ihr wußte und meine Mutter sich über sie nicht geäußert hatte, so blieb sie ein vollständiges Geheimnis in der Wohnstube, und die rätselhafte Tatsache, daß sie ein ganzes Wattemagazin in der Tasche zu haben schien und sich Watte auf besagte Art in die Ohren stopfte, schmälerte die Feierlichkeit ihrer Anwesenheit nicht im mindesten.
Nachdem der Doktor oben gewesen und wieder heruntergekommen war, und nun vermutete, daß er wahrscheinlich mit der unbekannten Dame einige Stunden würde beisammen bleiben müssen, so schickte er sich an, höflich und gesellig zu sein. Es war der sanfteste seines Geschlechts und der gutmütigste aller Männer. Er schob sich immer nur seitwärts durch die Tür, wenn er kam oder ging, um weniger Raum einzunehmen. Er ging so leise wie der Geist im Hamlet, nur noch langsamer. Er trug den Kopf auf eine Seite geneigt, halb in bescheidener Herabsetzung seiner selbst, halb in bescheidener Höflichkeit gegen andere. Er hatte noch nie jemandem ein böses Wort gesagt, selbst einem Hunde nicht! Er hatte kein böses Wort für einen tollen Hund. Ein sanftes Wörtchen höchstens würde er zu ihm gesagt haben, aber ein rauhes Ware ihm unter keiner Bedingung möglich gewesen.
Mr. Chillip sah meine Tante mit dem auf die Seite geneigten Kopfe sanft an, machte eine zierliche Verbeugung und sagte, auf die Watte anspielend, indem er leise sein linkes Ohr berührte: »Lokale Störung, Madame?«
»Was«, entgegnete meine Tante, und riß die Watte wie einen Korkpfropfen aus dem Ohre.
Mr. Chillip erschrak so sehr über ihr barsches Wesen (wie er später meiner Mutter erzählte), daß er schier die Fassung verlor. Aber er wiederholte verbindlich:
»Lokale Störung, Madame?« .
»Unsinn!« erwiderte meine Tante, und stöpselte das Ohr energisch wieder zu.
Mr. Chillip konnte nun weiter nichts tun, als sie schüchtern anzusehen, während sie dasaß und in das Feuer stierte, bis man ihn wieder hinaufrief. Nach viertelstündiger Abwesenheit kehrte er zurück.
»Nun?« sagte meine Tante und nahm die Watte aus dem ihm zugekehrten Ohre.
»Nun, Madame,« entgegnete Mr. Chillip, »es geht langsam vorwärts, Madame.«
»Pa – a – ah!« sagte meine Tante, mit einem vollständigen Triller die verächtliche Ausrufung verlängernd, und schloß ihren Gehörgang wieder zu, wie vorhin.
Wahrhaftig, wahrhaftig (wie Mr. Chillip später meiner Mutter erzählte), er war geradezu entsetzt gewesen. Aber dennoch blickte er sie fast zwei Stunden lang an, wie sie dasaß und ins Feuer starrte, bis man ihn wieder rief.
Nach abermaliger Abwesenheit kehrte er nochmals zurück.
»Nun!« sagte meine Tante und nahm den Wattepfropfen wieder aus demselben Ohr heraus.
»Nun, nun, Madame,« erwiderte Mr. Chillip, »es geht langsam vorwärts, Madame.«
»Wirklich also –« sagte meine Tante in so barschem Tone, daß es Mr. Chillip nun nicht länger aushalten konnte. Es war wirklich danach angetan, ihn ganz kleinlaut und verzagt zu machen, äußerte er später. Er ging lieber hinaus und setzte sich draußen im Dunkeln bei starkem Zug auf die Treppe, bis man wieder nach ihm schickte.
Ham Peggotty, der die Stadtschule besuchte und im Katechismus so fest war, daß er als glaubwürdiger Zeuge betrachtet werden kann, berichtete am nächsten Tage, er habe eine Stunde später zur Stubentür hineingeguckt und sei sofort von Miß Betsey, die in großer Aufregung auf und ab gegangen, bemerkt und erwischt worden, bevor er habe flüchten können. Er berichtete ferner, man habe zuweilen Fußtritte und Summen in den oberen Zimmern gehört, die von der Watte wohl nicht genügend gedämpft worden seien, wie er dies aus dem Umstände geschlossen hätte, daß ihn die Dame ersichtlich als ein Opfer festhielt, an dem sie ihrer überströmenden Aufregung, wenn die Töne am lautesten waren, Luft machen konnte, daß sie ihn beim Kragen gepackt gehalten und in der Stube auf und ab geführt (als ob er zuviel Laudanum genossen), ihn alsdann geschüttelt, ihm in das Haar gefahren, den Kragen zerzaust und die Ohren verstopft, als ob sie diese mit ihren eigenen verwechselte, und ihn auf andere Weise mißhandelt habe. Diese Erzählung wurde teilweise durch seine Tante bestätigt, die ihn halb ein Uhr