Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961183197
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hoffe ich, das Vergnügen zu haben, Sie und Ihren Freund auf meinem Zimmer zu sehen, damit wir nach diesem widerwärtigen Mißverständnis noch einen vergnügten Abend miteinander zubringen«, sagte der kleine Doktor. »Sie sind doch nicht für heute versagt?«

      »Wir haben noch einige Freunde hier«, versetzte Herr Winkle, »von denen wir uns ungern trennen möchten. Vielleicht besuchen Sie und Ihre Freunde uns im Ochsen?«

      »Mit vielem Vergnügen«, entgegnete der kleine Doktor. »Wird zehn Uhr zu spät sein, um noch ein halbes Stündchen bei Ihnen vorzusprechen?«

      »Durchaus nicht«, erwiderte Herr Winkle. »Ich werde mich glücklich schätzen, Sie meinen Freunden, Herrn Pickwick und Herrn Tupman, vorzustellen.«

      »Wird mir eine große Ehre sein«, meinte Doktor Slammer, der sich nicht träumen ließ, wer wohl Herr Tupman wäre.

      »Wir dürfen also auf Sie zählen?« sagte Herr Snodgraß.

      »Gewiß.«

      Inzwischen hatten sie die Landstraße wieder erreicht. Sie nahmen herzlichen Abschied voneinander und trennten sich. Doktor Slammer begab sich mit seinen Freunden nach der Kaserne, und Herr Winkle kehrte, von Herrn Snodgraß begleitet, nach dem Gasthofe zurück.

      Drittes Kapitel: Eine neue Bekanntschaft. Die Erzählung des wandernden Schauspielers. Eine unangenehme Störung und ein unerfreuliches Zusammentreffen.

      Herr Pickwick war in Sorgen wegen des ungewöhnlich langen Ausbleibens seiner zwei Freunde, und ihr geheimnisvolles Benehmen während des ganzen Morgens trug keineswegs dazu bei, sie zu vermindern. Um so größer war seine Freude, als er sie wieder ins Zimmer treten sah; und nun ging es an ein Fragen, was ihn so lang ihrer Gesellschaft beraubt hätte. Herr Snodgraß schickte sich eben zur Beantwortung dieser Fragen an, eine getreue, umständliche Erzählung der Ereignisse des Tages zu beginnen, als er plötzlich innehielt, denn er bemerkte, daß außer Herrn Tupman auch noch ihr Reisegefährte von gestern und ein zweiter Fremder von gleich wunderlichem Äußeren zugegen waren. Der letztere war ein Mann, dessen fahles Gesicht und eingesunkene Augen die Spuren von Kummer trugen, während das straffe schwarze Haar, das ihm wirr über die Stirn herunterhing, die von Natur schon genug ausgeprägten Züge nur noch auffallender machte. Seine stechenden Augen hatten einen fast unnatürlichen Glanz, seine Backenknochen traten stark hervor und sein Unterkiefer war so lang und hager, daß man hätte glauben können, seine Züge wären durch Muskelanstrengung für einen Augenblick zusammengepreßt, wenn nicht der halbgeöffnete Mund und der unbewegliche Ausdruck angezeigt hätten, daß dies das natürliche Aussehen des Mannes sei. Um seinen Hals war eine dichte grüne Binde geschlungen, deren breite Enden über die Brust herunterhingen und sogar noch durch die Knopflöcher seiner alten Weste hervorsahen. Außerdem trug er noch einen langen schwarzen Überrock, weite braune Beinkleider und große, ziemlich schadhafte Stiefeln.

      Herrn Winkles Blick fiel zuerst auf diese nicht sehr einladende Erscheinung, als Herr Pickwick mit ausgestreckter Hand auf ihn zuging und ihm den Fremden mit der Meldung: »Ein Freund unseres Freundes hier«, vorstellte.

      »Wir haben diesen Morgen in Erfahrung gebracht,« fuhr er fort, »daß unser Freund mit dem hiesigen Theater in Verbindung steht, obgleich er nicht wünscht, daß es allgemein bekannt werde, und gegenwärtiger Herr ist gleichfalls ein Schauspieler. Er war eben im Begriff, uns mit einer kleinen Theateranekdote zu erfreuen, als Sie eintraten.«

      »Ein wahres Anekdotenbuch«, sagte der Grünrock von gestern in leisem, vertraulichem Tone, indem er auf Herrn Winkle zuging. »Possierlicher Bursche – bloß ein Spieler stummer Rollen – kein eigentlicher Schauspieler – wunderlicher Mensch – Unglück aller Art; wir kennen ihn nur unter dem Namen: trübsinniger Jemmy.«

      Herr Winkle und Herr Snodgraß begrüßten den Herrn, der ihnen als der trübsinnige Jemmy bezeichnet war, höflich, riefen nach Branntwein und Wasser, um es der übrigen Gesellschaft gleich zu tun, und setzten sich an den Tisch.

      »Nun, Sir,« begann Herr Pickwick, »wollen Sie uns das Vergnügen machen, in dem, was Sie uns zu erzählen beabsichtigten, fortzufahren?«

      Der Trübsinnige nahm eine schmutzige Papierrolle au« seiner Tasche und wandte sich mit einer Grabesstimme, die zu seiner äußeren Erscheinung ganz und gar paßte, an Herrn Snodgraß, der eben sein Notizenbuch zur Hand genommen hatte.

      »Sind Sie der Dichter?«

      »Ich – ich versuchte mich bisweilen in poetischen Leistungen«, versetzte Herr Snodgraß etwas verblüfft über diese plötzliche Frage.

      »Ach, Poesie ist für das Leben, was die Lichter und Musik für die Bühne. Nimmt man dem einen seinen falschen Glanz und der andern ihre Illusionen – bleibt dann in der Wirklichkeit noch etwas, für das man sich abmühen möchte?«

      »Sehr wahr, Sir«, versetzte Snodgraß.

      »Vor den Lampen des Proszeniums sitzen,« fuhr der Trübsinnige fort, »heißt soviel, als ein großartiges Hofgepränge schauen und die seidenen Gewänder der prachtliebenden Menge bewundern – hinter ihnen sein ist gleichbedeutend mit dem Verfertigen all dieses Prunks, wobei man unbeachtet bleibt und wo niemand sich darum kümmert, ob die armen Unglücklichen schwimmen oder sinken, leben oder Hungers sterben, wie es gerade das Schicksal fügt.«

      »Sie haben da wohl recht«, entgegnete Herr Snodgraß, denn das eingesunkene Auge des Trübsinnigen ruhte auf ihm, und er fühlte die Notwendigkeit, etwas zu sagen.

      »Weiter, Jemmy,« sagte der spanische Reisende, »nicht alles ins Tragische – kein Lamentieren – frisch – munter!«

      »Wollen Sie sich nicht ein Glas einschenken, ehe Sie anfangen, Sir?« fragte Herr Pickwick.

      Der Trübsinnige faßte diesen Wink auf, mischte sich ein Glas Grog, schluckte langsam die Hälfte herunter, öffnete dann seine Papierrolle und begann die folgende Geschichte, die sich in den Klubakten mit der Aufschrift ›Erzählung des wandernden Schauspielers‹ findet, halb lesend, halb aus dem Gedächtnis vorzutragen.

      Viertes Kapitel: Die Erzählung des wandernden Schauspielers.

      »Es ist nichts Außerordentliches – ja, nicht einmal etwas Ungewöhnliches an dem, was ich jetzt erzählen will«, begann der Trübsinnige. »Mangel und Krankheit sind in manchen Lebenslagen etwas zu Alltägliches, um mehr Aufmerksamkeit zu verdienen, als ihnen bei den gewöhnlichsten Wechselfällen des menschlichen Lebens gezollt wird. Ich habe die folgenden kurzen Notizen gesammelt, weil ich den Mann, von dem ich rede, vor einigen Jahren sehr gut kannte. Ich war Augenzeuge, wie er immer tiefer und tiefer sank, bis er zuletzt jenes Übermaß von Elend erreichte, aus dem er sich nicht wieder erhob.

      Der Mann, von dem ich erzähle, war ein Schauspieler, der in den niedrig-komischen Rollen auftrat, und hatte sich, wie so viele seines Berufes, dem Trunke ergeben. In seinen besseren Tagen, als er noch nicht durch Ausschweifungen geschwächt und durch Krankheit heruntergekommen war, hatte er gute Einnahme, die ihm bei einem geordneten Lebenswandel mehrere – freilich nicht viele – Jahre lang geblieben wäre: denn solche Leute sterben entweder frühzeitig oder verlieren durch übermäßige Anstrengung die körperlichen Fähigkeiten bald, von denen allein ihre Existenz abhängt. Seine Leidenschaft beherrschte ihn in dem Grade, daß man ihn in kurzer Zeit für die Rollen, in denen er etwas leisten konnte, unbrauchbar fand. Das Wirtshaus hatte einen Zauber für ihn, dem er nicht widerstehen konnte. Krankheit ohne Pflege und Armut ohne Hoffnung mußten ebenso gewiß sein Los werden, wie der Tod, wenn er bei seinem Laster beharrte; dennoch ließ er nicht davon; und die Folgen lassen sich denken. Er konnte keine Anstellung mehr finden Und war brotlos.

      Jeder, der nur einigermaßen mit dem Schauspielerstand bekannt ist, weiß, welche Menge armer Schlucker sich gewöhnlich im Gefolge einer größeren Bühne befindet – keine ordentlich angenommenen Schauspieler, sondern Tänzer, Statisten, Gaukler und so weiter, die für eine bestimmte Pantomime oder Lokalposse, die gerade im Schwunge ist, angenommen und dann wieder entlassen werden, bis wieder irgendein besonderes Stück gegeben