»Unterbrechung zu befürchten!« dachte Herr Winkle.
»Weiter wäre nichts mehr zu verabreden, denke ich«, sagte der Offizier.
»Ich wüßte gleichfalls nicht, was noch zu sagen wäre«, versetzte Herr Winkle.
»Guten Morgen.«
»Guten Morgen.«
Der Offizier pfiff eine lustige Arie und entfernte sich.
Beim Frühstück herrschte eine ziemlich trübselige Stimmung. Herr Tupman war nach der ungewohnten Nachtschwärmerei nicht in der Lage, aufstehen zu können; Herr Snodgraß schien mit einem Gedicht schwanger zu gehen, und selbst Herr Pickwick zeigte eine ungewöhnliche Vorliebe für Schweigen und Sodawasser. Herr Winkle paßte ängstlich auf eine günstige Gelegenheit, das, was sein Herz bedrückte, anzubringen. Sie blieb nicht lange aus. Herr Snodgraß machte den Vorschlag, das Schloß zu besuchen, und da Herr Winkle der einzige von der Gesellschaft war, der Lust zu einem Spaziergang bezeugte, so gingen sie.
»Snodgraß«, sagte Herr Winkle, als sie die besuchteren Straßen hinter sich hatten; »mein lieber Snodgraß, kann ich mich auf Ihre Verschwiegenheit verlassen?« Als er so sprach, dachte er im innersten seiner Seele: »Ach, wäre es doch nicht der Fall«.
»Sie können es«, versetzte Herr Snodgraß. »Ich will es Ihnen bei allem –«
»Nein, nein«, unterbrach ihn Winkle, erschreckt durch den Gedanken, Herr Snodgraß könnte sich unwillkürlich durch einen Eid die Zunge binden. »Schwören Sie nicht – schwören Sie nicht; es ist ganz und gar unnötig.«
Herr Snodgraß ließ auf diese Aufforderung die Hand, die er in poetischem Schwunge zu den Wolken erhoben hatte, wieder sinken und nahm die Haltung gespannter Aufmerksamkeit an.
»Ich bedarf Ihres Beistandes in einer Ehrensache, lieber Freund«, sagte Herr Winkle.
»Den sollen Sie haben«, versetzte Herr Snodgraß, die Hand seines Freundes drückend.
»Mit einem Doktor – Doktor Slammer beim siebenundneunzigsten Regiment«, sagte Herr Winkle, der die Sache so feierlich wie möglich machen wollte; »eine Ehrensache mit einem Offizier, dem ein anderer Offizier sekundiert – heute abend um Sonnenuntergang, auf einem abgelegenen Felde in der Nähe des Forts Pitt.«
»Ich werde Sie begleiten«, sagte Herr Snodgraß.
Er war zwar erstaunt, aber keineswegs erschrocken. Es ist außerordentlich, wie kaltblütig alle – die Beteiligten ausgenommen – eine solche Sache nehmen. Herr Winkle hatte das außer acht gelassen und die Gefühle seines Freundes nach den eigenen bemessen.
»Die Folgen können schrecklich sein«, sagte Herr Winkle.
»Ich hoffe nicht«, versetzte Herr Snodgraß.
»Der Doktor, glaube ich, ist ein sehr guter Schütze«, sagte Herr Winkle.
»Das sind die meisten beim Militär«, bemerkte Herr Snodgraß ruhig; »aber Sie sind es auch – nicht wahr?«
Herr Winkle bejahte, und da er seinen Gefährten nicht hinreichend bestürzt sah, so änderte er seinen Feldzugsplan.
»Snodgraß,« sagte er mit vor Erregung bebender Stimme, »wenn ich falle, so werden Sie in einem Paket, das ich in Ihre Hände zu geben gedenke, einen Brief finden – an meinen Vater.«
Auch dieser Angriff schlug fehl. Herr Snodgraß war zwar gerührt, aber er übernahm die Besorgung des Schreibens so bereitwillig wie ein Briefträger.
»Wenn ich falle«, fuhr Herr Winkle fort, »oder wenn der Doktor fällt, so werden wir, als bei der Sache beteiligt, vor Gericht gestellt. Soll ich meinen Freund der Gefahr der Strafverbannung – vielleicht gar der seines Lebens aussetzen!«
Herr Snodgraß kratzte sich jetzt zwar ein wenig am Kopfe, aber sein Heldenmut war unüberwindlich.
»In Sachen der Freundschaft«, rief er begeistert, »biete ich allen Gefahren Trotz.«
Wie verwünschte Herr Winkle in seinem Innern die aufopfernde Freundschaft seines Gefährten, als sie einige Minuten schweigend nebeneinandergingen und jeder sich in seinen eigenen Betrachtungen vertiefte. Der Morgen entschwand – und Herr Winkle geriet in Verzweiflung.
»Snodgraß,« sagte er plötzlich haltmachend, »damit aber ja keine Störung dazwischen kommt! Sie dürfen durchaus nicht den Lokalbehörden eine Anzeige machen – keine Polizeibeamte aufrufen, um durch meine oder durch die Verhaftung des Doktors Slammer vom siebenundneunzigsten Regiment, einquartiert in der Chatamkaserne, diesem Duelle vorzubeugen. Ich sage Ihnen, tun Sie es nicht.«
Herr Snodgraß ergriff die Hand seines Freundes mit Wärme und versetzte mit Begeisterung:
»Nein, nicht um die Welt!«
Ein Schauder überlief Herrn Winkles Körper, als er die schreckliche Überzeugung gewann, daß er von der Furcht seines Freundes nichts zu hoffen habe, und daß er bestimmt sei, das lebendige Ziel einer Feuerwaffe zu werden.
Nachdem die Lage der Dinge mit allen Umständen Herrn Snodgraß mitgeteilt worden war, verfügten sich die beiden Freunde nach einem Kaufladen, um sich mit Pistolen, Pulver, Blei und Zündhütchen zu versehen, und kehrten sodann nach ihrem Gasthofe zurück – Herr Winkle, um über den bevorstehenden Kampf nachzudenken, und Herr Snodgraß, um die Waffen für den augenblicklichen Gebrauch instandzusetzen.
Es war ein trüber, unfreundlicher Abend, als sich beide für das unangenehme Geschäft auf den Weg machten. Herr Winkle hatte sich, um der Beobachtung zu entgehen, in einen ungeheuren Mantel gehüllt, und Herr Snodgraß trug unter dem seinigen die Werkzeuge der Zerstörung.
»Haben Sie alles bei sich«, fragte Herr Winkle mit erstickter Stimme.
»Alles«, versetzte Herr Snodgraß. »Auch Munition die Fülle, wenn die ersten Schüsse kein Resultat liefern sollten. Ich habe ein viertel Pfund Pulver in der Schachtel und zwei Zeitungen12 zu Pfröpfen in der Tasche.«
Das waren Freundschaftsproben, für die sich jeder ungemein verpflichtet fühlen mußte. Wir vermuten daher, daß Herrn Winkles Dankesgefühle zu übermächtig waren, um sich in Worten ausdrücken zu lassen, denn er sagte nichts, sondern ging – freilich ziemlich langsam – weiter.
»Wir kommen ganz zur rechten Zeit«, sagte Herr Snodgraß, als sie über die Umzäunung des ersten Feldes wegkletterten. »Die Sonne ist eben im Untergehen begriffen.«
Herr Winkle blickte auf den sich senkenden Feuerball und dachte mit Schmerz an die Möglichkeit seines eigenen »Untergangs«, der ihn in so kurzer Frist treffen konnte.
»Dort ist der Offizier«, rief Herr Winkle, nachdem sie wieder einige Minuten gegangen waren.
»Wo?« fragte Herr Snodgraß.
»Dort! Der Herr im blauen Mantel.«
Herr Snodgraß blickte in die Richtung, die ihm der Finger seines Freundes anzeigte, und gewahrte eine in der beschriebenen Weise verhüllte Gestalt. Der Offizier gab durch ein Winken mit der Hand zu erkennen, daß er ihrer gleichfalls ansichtig geworden, und die Freunde folgten ihm in einiger Entfernung, während er auf den Ort des Stelldicheins losging.
Der Himmel wurde mit jedem Augenblick trüber, und ein melancholischer Wind heulte über die einsamen Felder, ähnlich einem fernen Reisenden, der nach seinem Hunde pfeift. Das Düstere der Umgebung versetzte Herrn Winkle in eine noch schwermütigere Stimmung. Er fuhr zusammen, als er an dem Winkel des Laufgrabens vorbeikam – der Graben sah aus wie ein ungeheures Grab.
Der Offizier bog plötzlich vom Fußpfade ab, klomm über ein Pfahlwerk, stieg über eine Hecke und gelangte auf ein abgeschlossenes Feld. Dort warteten