Der neue Sonnenwinkel Box 9 – Familienroman. Michaela Dornberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michaela Dornberg
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Sonnenwinkel Box
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740970222
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Dafür hatte sie Roberta schon immer bewundert. Das ganze Ärzteteam hatte in schwierigen Fällen herumgerätselt, und da hatte Roberta bereits die richtige Diagnose befunden. Für jeden Arzt war es ein ganz großes Glück, mit einer solchen Person arbeiten zu dürfen, denn etwas färbte immer ab.

      Claire wollte gerade am Haus der Kepplers vorbeifahren, als sie ganz spontan auf die Bremse trat. Sie hatten in der Praxis nichts mehr von Astrid Keppler gehört, und weder Roberta noch sie hatten sich weiter gekümmert. Dazu hatten sie überhaupt keine Zeit.

      Aber jetzt, Claire wusste auch nicht, was sie veranlasste, aus ihren Auto auszusteigen, auf die Klingel zu drücken, zu warten.

      Nach einiger Zeit wurde die Tür geöffnet, von Astrid persönlich, dabei hatte Claire eigentlich erwartet, dass die nette Hausangestellte öffnen würde oder die Kleine.

      Astrid erkannte Claire, ihr Gesicht bekam einen entsetzten Ausdruck, und dann stammelte sie: »Ich …, aber ich …, ich habe Sie nicht gerufen.«

      »Nein, Frau Keppler«, antwortete Claire. »Ich kam zufällig vorbei«, genau, wie es bei Roberta einmal gewesen war, »und da wollte ich nach Ihnen sehen.«

      Sichtbar waren auf jeden Fall die Schrammen und die blaugelben Verfärbungen der Stirn.

      Astrid Keppler schien aufzuatmen, Claire konnte sich sogar des Eindrucks nicht erwehren, dass sie sich freute, denn sie bat Claire herein, und sie hatten noch nicht einmal das stylische Wohnzimmer erreicht, als Astrid sagte: »Gut, dass Sie gekommen sind, Frau Dr. Müller, und gut, dass Sie mir den Kopf gewaschen haben, Sie und Frau Dr. Steinfeld. Es war egoistisch von mir, Sie zu rufen.«

      Sie nahmen Platz, Astrid bot ihr etwas zu trinken an, doch Claire lehnte ab, so lange wollte sie nun auch nicht bleiben, und es war auch kein Freundschaftsbesuch, sondern insgeheim machte sie sich Sorgen um diese junge Frau, die offensichtlich mit ihrem Leben nicht zurechtkam.

      In erster Linie war sie Ärztin, und deswegen erkundigte sie sich nach dem Befinden der Patientin.

      Astrid wurde rot.

      »Dass Sie mich das noch fragen, nachdem sowohl Sie als auch Frau Dr. Steinfeld wissen, dass ich mir die Verletzungen selbst zugefügt habe, wobei das mit dem verstauchten Fuß dumm gelaufen ist. Das wollte ich nicht, doch dass ich mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen bin, das habe ich …« Sie brach ihren Satz ab, und Claire fragte nicht, sie wusste schließlich alles.

      »Wo ist denn Ihre kleine Tochter, Frau Keppler?«, lenkte sie ab.

      »Die wollte unbedingt mit zu Frau Wolfram und auch bei der schlafen. Ich weiß nicht, was ich an mir habe, weil niemand mehr bei mir sein will.«

      »Frau Keppler, ab einem gewissen Alter, wenn sie aufgehört haben sie fremdeln, finden alle Kinder es großartig, anderswo zu schlafen. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass es bei mir ebenfalls so war, ich wollte unbedingt immer mit einer Tante mitgehen.«

      Astrid seufzte.

      »Tante, aber nicht mit einer fremden Frau«, bemerkte sie.

      Darauf wollte Claire jetzt wirklich nicht näher eingehen. »Frau Keppler, es spielt keine Rolle, ob man miteinander verwandt ist oder nicht, es ist eine Sache des Vertrauens, des Zutrauens. Ich kenne Frau Wolfram zwar nicht näher, doch auf mich macht sie einen sehr freundlichen, zuverlässigen Eindruck.«

      Wieder seufzte Astrid, und Claire bereute schon, hergekommen zu sein.

      »Ja, das ist sie.«

      »Sehen Sie, dann müssen Sie sich auch keine Sorgen machen. Jetzt sind Sie ungestört, und vielleicht sollten Sie diese Gelegenheit nutzen, sich ein paar Gedanken um sich zu machen, was Sie aus Ihrem Leben machen möchte. Sie sind jung, und es kann nicht sein, dass Sie nur danach trachten, wie Sie sich verletzen können, um Ihren Ehemann zu zwingen, zu Ihnen zu kommen. Frau Keppler, ich weiß nicht, was sich bei Ihnen abspielt, doch das, was Sie tun, das ist …, entschuldigen Sie bitte den Ausdruck, ungesund. Was immer für Probleme Sie auch haben, Sie müssen darüber reden. Und wenn Sie etwas loswerden wollen, dann bin ich bereit, Ihnen zuzuhören. Vielleicht finden wir gemeinsam einen Weg aus diesem Dilemma.«

      Astrid blickte sie dankbar an.

      »Frau Doktor, ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist, doch wenn etwas passiert, dann ist Oskar zur Stelle, und das ist es doch, was ich möchte. Er hat sich so verändert, und es kann nicht an mir liegen, denn wenn wir uns sehen, dann ist alles in Ordnung, dann spüre ich sein Verlangen nach mir. Und das ist es auch, was uns anfangs miteinander verband. Wir lernten uns bei einer Vernissage kennen. Ich fing zufällig einen seiner Blicke auf, und dann war es um uns geschehen. Wir konnten nicht voneinander lassen, und so war es die ganze Zeit über, bis …«, sie machte eine kurze Pause, »bis er plötzlich mehr arbeitete, auch mal über Nacht wegblieb, und dann mussten wir Knall auf Fall umziehen. Wenn es nicht grotesk wäre, könnte man beinahe annehmen, es sei eine Flucht gewesen, denn ich konnte mich von meinen Freunden kaum verabschieden, nur wenigen meine neue Adresse hinterlassen. Aber hierher will ohnehin keiner kommen, was sollen sie auch hier. Hier gibt es nur Bäume. …«

      »Und den See«, wandte Claire ein, »nicht zu vergessen die Felsenburg.«

      Astrid winkte ab.

      »Ein verfallenes Gemäuer, was ist das schon.«

      Claire merkte, dass sie so nicht weiterkam, Astrid Keppler wollte am Sonnenwinkel nichts Schönes finden.

      »Und wie hat Ihr Mann es erklärt, dass Sie hergezogen sind?«, wollte Claire wissen.

      »Er hat tausend Gründe gefunden, aber uns ging es vorher gut, wir hatten alles. Unser Leben war schön, seit wir hier sind, fliegt es mir um die Ohren, und Oskar kommt immer seltener nach Hause.«

      »Und haben Sie mal mit Ihrem Mann geredet?«

      »Ich weiß doch, was dann kommt, dass er es für uns tut, damit es uns an nichts mangelt, dass er auch gern mehr Zeit mit uns verbringen würde, dass wir sein Leben sind, und dann vertröstet er mich auf später, bittet mich, Geduld zu haben, und was soll ich dann machen, mich mit ihm streiten? Ich bin doch froh, dass er da ist, weil ich ihn liebe, und er liebt mich auch, das weiß ich ja, aber da ist was …«

      Auf eine Ratestunde wollte Claire sich jetzt nicht einlassen, und so schlug sie Astrid vor, Eigeninitiative zu entwickeln.

      »Sie haben Frau Wolfram, die sich um Amelie kümmern kann, dann den Kindergarten. Wer hindert Sie daran, wenigstens den Vormittag für sich zu nutzen. Im Tierheim in Hohenborn wird jede Hand gebraucht. Und Ihnen gehört doch der kleine rote Flitzer vor der Tür, oder?«

      Das bestätigte Astrid, doch dann fügte sie hinzu: »Ich habe es nicht so mit Tieren, außerdem habe ich eine Tierhaarallergie.« Das hatte sie auch schon Roberta erzählt.

      Ehe sie weitere Vorschläge machte, erkundigte Claire sich: »Und gibt es etwas, was Sie interessiert, Frau Keppler?«

      Jetzt erwachte die junge Frau ein wenig aus ihrer Lethargie. »Mode«, kam es wie aus der Pistole geschossen, »Mode interessiert mich sehr.«

      Na endlich.

      Claire schlug ihr vor, sich dann doch in einer der Boutiquen und anderen Bekleidungsgeschäften einen Teilzeitjob zu suchen. Schon war Astrid wieder mutlos.

      »Da sucht bestimmt niemand eine Aushilfe.«

      Da widersprach Claire sofort.

      »Also gestern habe ich noch in Hohenborn in dem angesagten Textilladen ›Outfit‹ ein großes Schild gesehen, dass Teilzeitkräfte gesucht werden. Und ich verstehe zwar nicht viel von Mode, doch ich finde, vom Typ her passen Sie genau in solch ein Geschäft. Anstatt Trübsal zu blasen, sollten Sie sich hübsch machen und nach Hohenborn fahren und sich vorstellen.«

      Astrid zögerte.

      »Für mich wäre das jetzt eine Herausforderung, ich würde hinfahren, und ich würde alles dransetzen, dass man mich nimmt. Und ich weiß, dass Sie das können, Sie müssen es nur wollen.«

      Astrid zögerte noch immer,