Die religiösen Bezüge des Lautgedichts kommen nicht zuletzt in der Vortragssituation zum Ausdruck. Für Ball ist Dichtung, zumal Lautdichtung, nicht „am Schreibtisch erklügelt“, sondern „für die Ohren lebendiger Menschen gefertigt“.23 Und so wurden Balls Texte von vornherein für den Vortrag vor Publikum geschrieben, aus dem dann oftmals ein großes Spektakel wurde. Als Ball seine ersten Lautgedichte im Cabaret Voltaire aufführte, trug er ein selbstgemachtes Kostüm mit Schamanenhut:
Abb.1: Hugo Ball beim Vortrag seiner Lautgedichte im Cabaret Voltaire
Die Form des Vortrags scheint hier noch durchaus improvisiert, wenn man Balls Beschreibung Glauben schenken darf:
Ich merkte sehr bald, daß meine Ausdrucksmittel, wenn ich ernst bleiben wollte (und das wollte ich um jeden Preis) dem Pomp meiner Inszenierung nicht würden gewachsen sein. […] Da bemerkte ich, daß meine Stimme, der kein anderer Weg mehr blieb, die uralte Kadenz der priesterlichen Lamentation annahm […]. Ich weiß nicht, was mir diese Musik eingab. Aber ich begann meine Vokalreihen rezitativartig im Kirchenstile zu singen […].24
Wie ernst man diese Beschreibung nehmen soll, kann offen bleiben. Wichtig ist jedoch zu betonen, dass Ball hier mit dem religiösen Kultus ein kulturelles Referenzsystem ins Spiel bringt, das für ihn als selbsternannten „magische[n] Bischof“25 offenbar nahelag, das jedoch nicht das einzig mögliche ist. Kurt Schwitters wird dieses religiöse Referenzsystem dezidiert nicht teilen, sondern – wie wir sehen werden – durch den profanen bürgerlichen Musikbetrieb ersetzen.
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