Er zog eine Augenbraue in die Höhe und musterte mich mit skeptischem Blick. Gut, ich trug ein altes Ramones-Shirt, Jeans und Chucks. Darren war wohl etwas Schickeres gewöhnt, aber ich hatte mich nicht extra dafür auftakeln wollen.
»Komm, lass mich einfach durch, ich erzähle auch niemandem davon.«
Er schnaubte.
»Ich bin doch gleich wieder draußen«, bettelte ich weiter, und die Falte zwischen seinen Brauen wurde immer tiefer. »Du bist nicht gerade gesprächig, was? Na gut, aber wenn Darren davon Wind bekommt, wird es Ärger geben. Bist du dir sicher, dass du das auf dich nehmen möchtest?«
Er schnaubte zweimal, was wohl so viel wie Ja bedeuten sollte. Ich streckte den Kopf an seiner breiten Schulter vorbei und erspähte eine Couchecke aus Leder. Mein Blick wanderte hektisch über die anwesenden Menschen, und geschockt blieb ich an einem ganz bestimmten Gesicht hängen. Da war er! Ich hatte ihn gefunden!
»Darren!«, schrie ich, und der Security hob die Hand vor mein Blickfeld.
»Hey, immer ruhig bleiben!«
»Darren, du Schwein, ignoriere mich nicht!« Tatsächlich drehte er den Kopf und fand meinen Blick. Zuerst sah er überrascht aus, danach umspielte ein fieses Grinsen seinen Mund.
»Wo ist Gini?«, schrie ich weiter, und der Türsteher legte seine fette Pranke auf meine Schulter.
»Hör auf, hier rumzuschreien, Kleine, sonst muss ich dich rausschmeißen!«
Darren hob einen Daumen, machte allerdings keine Anstalten zu mir zu kommen. Ich streckte ihm den Mittelfinger entgegen. Der Türsteher drehte mich fluchend herum und drückte mich zwei Stufen nach unten.
»Ich möchte doch nur kurz mit ihm …« Ich wandte mich aus seinem Griff und versuchte mich an ihm vorbeizuschieben, aber er zog mich nur an meiner Taille zurück, trug mich nach unten und setzte mich auf den ersten beiden Treppenstufen ab.
»Hau ab! Jetzt sofort!«, knurrte er bedrohlich, und ich schüttelte seine Hände ab. Okay, er hatte gewonnen. Dieses Mal.
»Du kannst Darren Malone sagen, dass ich auf ihn warten werde! Egal, wie lange!« Sein Blick sah nicht gerade eingeschüchtert aus. Extrem angepisst stieg ich die zwei Stufen hinunter, und vor mir erstreckte sich ein langer, kühler Flur. Vielleicht kam ich darüber irgendwie nach oben. Ich musste zu ihm und ihn fragen, wo Gini war! Sie musste bei ihm sein, denn ansonsten würde sie uns nicht jeden Monat Geld schicken können. Oder hatte er sie verkauft? Oh Gott! Alles wäre dem Schweinehund zuzutrauen! Nervös strich ich über mein Handgelenk. Ich musste mit ihm sprechen!
Leise schlich ich los und kam mir vor wie eine Einbrecherin. Okay, genau genommen war ich so etwas Ähnliches, denn ich hatte die Schilder, auf denen Unbefugten erhebliche Strafen angedroht wurden, dreist ignoriert.
»Nein, Sam, ich mach das nicht mehr mit!«, vernahm ich die laute Stimme eines Typen und ging weiter.
»Komm schon, Joe! Er muss verarztet werden. Du weißt doch, wie er ist!«
»Es ist mir so langsam scheißegal, wie er ist! Seine Drohungen reichen mir, und die bekomme ich nur, weil ich meinen Job machen möchte! Genug ist genug!« Ich drückte mich mit dem Rücken platt an die Wand, während ein junger Typ wutentbrannt an mir vorbeistürmte. Anscheinend hatte meine Chamäleon-Taktik, mich mit der Umgebung zu verschmelzen, gut funktioniert, denn er bedachte mich keines Blickes.
Ich schlich weiter und sah vor mir einen Schwarzhaarigen in einem Zimmer verschwinden. »Das hast du jetzt davon! Rage, du bist ein Arschloch!«, donnerte ein anderer Kerl.
Rage? Der Name war zu selten, als dass man ihn an zwei aufeinanderfolgenden Tagen mehrmals hörte. Schon in meiner Kindheit, als meine Mum mich im Haus unserer Nachbarn erwischt hatte, hatte sie gesagt, dass ich irgendwann wegen meiner Neugierde ein ziemliches Problem bekommen würde. Aber, meine Güte, es hätten damals wirklich Einbrecher sein können! Ich konnte ja nicht ahnen, dass es nur die alte Mrs. Stone gewesen war, die dort Blumen gegossen und die ich mit dem Rasenrechen zu Tode erschreckt hatte. Trotzdem siegte die Neugier auch dieses Mal, und ich lief weiter.
»Scheiß drauf! Gib mir ein Pflaster, dann mache ich das allein! Fickt euch alle, und lasst mich einfach in Ruhe!« Irgendetwas knallte auf den Boden, und ich zuckte zusammen. Ich sollte hier nicht lauschen, sondern am besten am Zimmer vorbeirennen. Und zwar so schnell wie möglich, denn wenn mich dieser Jemand, der eindeutig ein Aggressionsproblem hatte, erwischte … Ich dachte lieber nicht weiter darüber nach.
»Jetzt reiß dich endlich zusammen, Shawn! Deine Augenbraue ist aufgeplatzt, deine Lippe blutet, dein halber Körper ist geprellt, und du siehst richtig scheiße aus! Du brauchst einen Arzt oder so etwas in der Richtung!«
Seufzend zögerte ich. Ich hatte mein Studium zwar nicht beendet, genau genommen nur zwei Jahre Medizin studiert, aber im Platzwundennähen war ich die unangefochtene Meisterin unseres Unikurses gewesen. Zumindest, was die zahlreichen Versuche mit Schweinehaut betraf. Außerdem hatte ich mir vorgenommen, jedem Menschen zu helfen. Waren sie auch noch so große Arschlöcher. Blöder, lebensmüder Kodex …
Ich ging weiter und spähte vorsichtig in den Raum. Der Typ sah wirklich übel aus. Und es war tatsächlich der von gestern. Er hatte sich zwar einfach aus dem Staub gemacht, trotzdem hatte er mir zuerst helfen wollen. Auch wenn das Wie eine ganz andere Geschichte war.
»Willst du ein Autogramm oder ein Kind von mir?«, knurrte er plötzlich und fixierte mich wütend. Das böse Funkeln gelang ihm nicht vollständig, weil seine Augen mindestens auf das Doppelte angeschwollen waren. Langsam drehten sich der Schwarzhaarige und noch ein weiterer Typ in der Umkleide um und musterten mich entgeistert.
»Keine Fotos!«, sagte der Schwarzhaarige rüde und kam auf mich zu. Wahrscheinlich wollte er die Tür schließen.
»Ich bin Ärztin«, log ich, und er hielt inne. Die Blicke der drei Männer schienen mich zu durchbohren. »Na gut, fast, viertes Semester. Aber eine Platzwunde kriege ich noch hin.« Selbstbewusst betrat ich den Raum und ging auf diesen Rage zu. Seine Miene drückte eine Mischung aus Verwunderung und Abweisung aus. Hätte er allein mit seinem Blick die Temperatur regeln können, wären es garantiert arktische Zustände in der kleinen Umkleidekabine gewesen.
»Wir brauchen keine Hilfe«, murrte er und drehte den Kopf von mir weg. Herrisch fasste ich nach seinem Kinn und zwang ihn, mich wieder anzusehen. Ich musste etwas näher an sein Gesicht herangehen, um mir das gesamte Ausmaß der Katastrophe anschauen zu können, denn ehrlich gesagt, war ich ziemlich weitsichtig. Zum Lesen brauchte ich eigentlich eine Brille, die ich jedoch aus Eitelkeit nie mit mir herumschleppte.
»Ich sehe ja, wie gut ihr das hinbekommt! Klar, die Wunde wächst von ganz allein zu. Allerdings ist sie dann vielleicht so entzündet, dass du auf dem Auge das Sehvermögen verlierst. Aber mach dir nichts draus. Du hast ja zwei Augen.« Ruckartig ließ ich ihn los und sah, wie dem braunhaarigen Typen mit den grauen Schläfen der Mund aufklappte.
»Wo haben Sie Desinfektionszeug?«, wandte ich mich an ihn. »Ich brauche außerdem Nadel und Faden. Es sei denn, Mister Rage möchte heute Nacht noch ins Krankenhaus fahren? Dann kann ich gerne wieder gehen.« Ich sah Rage an und verschränkte die Arme vor der Brust. Wir lieferten uns ein erbittertes Duell im Niederstarren. Als er sich aufrichtete, wehte ein leichter Hauch seines Geruches zu mir herüber, weil er mir somit noch näher kam. Sein Duft war männlich, hart und er roch ein wenig nach Shampoo. Schweiß überzog seinen kompletten Oberkörper, und erst jetzt nahm ich wahr, dass er obenrum nackt war. Sein Körper war wie gemeißelt. Feste Muskeln unter straffer, gleichmäßiger Haut. Seine enormen Brustmuskeln zuckten, als er sich mir ein Stück entgegenstreckte, und ich wartete auf seinen verbalen Angriff. Überraschenderweise hielt er den Mund.
»Hier«, sagte der Schwarzhaarige, drückte mir die Utensilien in die Hand und unterbrach unser Gestarre, bei dem ich kurz davor gewesen war, es zu beenden. Der Blick aus Rages hellen, blauen Augen war so eindringlich, dass es direkt unter meiner Haut kribbelte und ich mir seiner Präsenz mehr als bewusst wurde. Ich hätte mich doch