»Janna, ich kann meinen Teddy nicht finden!«, jammerte die achtjährige Susanna und polterte die Treppe herunter. »Ohne meinen Teddy fahre ich nicht ins Pfadfinderlager.«
»Baby!«, hänselte ihr Zwillingsbruder, der ihr auf dem Fuß gefolgt war.
»Blödian!«, schrie das Mädchen und schubste ihn.
»Ziege!«, zankte er zurück und zog sie an ihrem blonden Zopf.
»Lass mich! Janna, Till hat mich an den Haaren gezogen. Ich will meinen Teddy. Bestimmt hat Till ihn versteckt, um mich zu ärgern.«
»Hab ich gar nicht, du dumme Nuss. Kann ich was dafür, wenn du den Teddy verschluderst? Ich brauch jedenfalls keinen. Bin ja kein Baaaaby mehr.«
»Ich bin kein Baby!«
»Bist du wohl.«
Kurz schloss Janna die Augen und zählte langsam bis fünf, bevor sie zurück in den Flur ging, wo ihre beiden Pflegekinder mittlerweile heftig miteinander rangen. »Schluss jetzt, ihr beiden«, sagte sie und setzte eine strenge Miene auf, die sie sich für solche Situationen zugelegt hatte. »Wenn ihr den Quatsch nicht sofort bleibenlasst, sage ich eurem Betreuer, dass ihr nicht mit ins Lager fahrt, weil ihr euch nicht benehmen könnt.«
Sogleich ließen die beiden Streithähne voneinander ab.
Janna griff nach Susannas signalrotem Rucksack und zog den Reißverschluss auf. »Hier ist dein Teddy. Du hast ihn doch gestern Abend schon eingepackt.«
»Oh.« Verlegen, aber erleichtert griff das Mädchen nach dem Rucksack und zog sorgfältig den Reißverschluss wieder zu.
»Entschuldige dich bei Till dafür, dass du ihn einen Blödian genannt hast.«
»Aber ...«
»Ätsch!« Till grinste breit.
Janna bedachte ihn mit einem scharfen Blick. »Und Till, du entschuldigst dich dafür, dass du Susanna ein Baby und eine dumme Nuss genannt hast.«
»Menno.«
Abwartend stemmte Janna die Hände in die Hüften. »Wird’s bald? Ich höre den Bus gerade vorfahren. Es dauert nur einen Augenblick, Bernd Bescheid zu sagen, dass ihr hierbleibt.«
Die Zwillinge maßen einander mit genervten Blicken.
»Entschuldigung, Till.« – »Entschuldigung, Susanna«, sagten sie gleichzeitig und schüttelten einander halbherzig die Hände.
»Okay, noch mal Glück gehabt. Und nun schnappt euch euer Gepäck, damit der Busfahrer nicht so lange warten muss.«
Während die Kinder mit lautem Gejohle zur Haustür hinausstürmten, holte Janna den Proviantkorb. Vor dem Haus traf sie auf ihre Eltern Linda und Bernhard, die sich von den Kindern verabschieden wollten.
»Habt ihr auch an alles gedacht?«, fragte Linda besorgt und strich sich ihr kupferrotes, kinnlanges Haar hinters Ohr, während sie sich zu den Zwillingen hinabbeugte. Beide drückte sie kurz an sich. »Nichts Wichtiges vergessen? Zahnbürste? Schlafanzug? Teddybär?«
»Nee, alles da«, zwitscherte Susanna. »Ich hab gedacht, Till hätte meinen Teddy versteckt, dabei hatte ich ihn schon längst in den Rucksack gepackt. Janna hat ihn gefunden.«
»Na, so ein Glück.«
»Und wie. Ohne meinen Teddy kann ich doch nicht wegfahren. Janna?« Das Mädchen hob die Arme, und Janna zog sie fest an sich. »Ja, mein Schatz?«
»Das Lager wird bestimmt ganz ganz schön. Aber am Donnerstag kommen wir schon zurück.«
»Ich weiß.«
»Und am Freitag haben wir Geburtstag.«
»Tatsächlich?«
»Das weißt du doch!«
Janna lachte. »Klar weiß ich das.«
»Backst du uns einen Kuchen?«
»Das hatte ich vor.«
»Und am Samstag fahren wir mit unseren Freunden ins Schwimmbad.«
»So ist es geplant.«
»Janna?«
»Ja?«
»Ich freu mich schon ganz doll. Wir werden neun!«
»Ein biblisches Alter.« Zärtlich strich Janna ihrer Pflegetochter übers Haar.
»Mensch, Susanna, komm endlich. Sonst fahren wir ohne dich!«, rief Till durch die offene Bustür.
»Habt ihr auch wirklich nichts vergessen?« Janna richtete sich auf und blickte zu ihrem Vater. »Papa, guckst du sicherheitshalber noch mal nach, ob alle Gepäckstücke, die im Flur lagen, im Bus sind?«
»Bin schon unterwegs.« Bernhard Berg zwinkerte ihr zu und begab sich in das kleine ehemalige Gesindehaus, das links neben dem alten Gutshaus stand, in dem Jannas Eltern wohnten. Noch wohnten, um genau zu sein, denn zum Jahresende würden sie die Wohnungen tauschen, damit Janna und die Kinder mehr Platz hatten.
Janna reichte einem der Betreuer, die den Pfadfinderausflug beaufsichtigten, den Proviantkorb. »Hier, ein bisschen Wegzehrung für euch. Wie versprochen Kekse und Muffins für die ganze Truppe. Und für Till und Susanna hab ich noch ein bisschen O-Saft dazugepackt.«
»Danke, du bist ein Schatz.« Bernd nahm den Korb strahlend entgegen. »Schade, dass du diesmal nicht mitfahren kannst.«
»Ja, lässt sich leider nicht ändern. Wir stecken derart in der Renovierung, dass ich kaum weiß, wo mir der Kopf steht. Und arbeiten muss ich ja auch noch, also ...«
»Vielleicht klappt es beim nächsten Mal. Lena würde sich sehr freuen.«
»Ja, ich auch. Grüß deine Frau von mir. Ist sie schon im Lager?«
»Ja, sie ist schon um sechs Uhr früh vorgefahren, um mit Alex und Pfarrer Heitmann alles vorzubereiten.«
»Viel Spaß euch allen.« Janna blickte sich suchend um. »Till? Wo steckst du? Hast du nicht etwas vergessen?«
Der Junge sprang noch einmal aus dem Bus. »Tschüss, Janna!« Er umarmte sie kurz, aber heftig und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Macht’s gut, ihr beiden. Viel Spaß!« Janna sah zu, wie der Busfahrer den Gepäckraum schloss, nachdem Bernhard versichert hatte, dass sämtliche Gepäckstücke der Zwillinge verstaut seien. Sie blieb in der Auffahrt stehen, bis der Bus sich in Bewegung setzte, und winkte den Kindern noch einmal zu, bevor sie sich seufzend abwandte. »Puh!«
Ihr Vater lachte und legte ihr seinen rechten Arm um die Schultern. »Ganz schön anstrengend, die beiden.«
»Das kannst du laut sagen. Waren wir auch so schlimm, wenn wir auf Pfadfinderfahrt gegangen sind?«
»Soll ich ehrlich sein?« Bernhard lachte. »Fast noch schlimmer. Und ihr wart zu dritt. Obwohl, na ja, bis Feli so weit war, dass sie mitfahren konnte, wart ihr ja schon Teenager, da ging es dann allmählich.«
»Ich glaube, ich werde jetzt erst mal rasch das Chaos beseitigen, das sie im Bad und in ihrem Zimmer hinterlassen haben.«
»Tu das. Ich muss noch mal kurz in die Kanzlei, bin aber am frühen Nachmittag wieder zurück. Später kommt dann noch der Fliesenleger wegen der neuen Fliesen in den Bädern.«
»Gut, bis dahin müsste ich mit meiner Arbeit fertig sein.«
»Soll ich dir bei irgendwas helfen?«, fragte Jannas Mutter prompt.
Doch Janna winkte ab. »Danke, nicht nötig, Mama. Bis nachher dann.« Eilig kehrte sie ins Haus zurück und machte sich daran, die herumliegenden Kleidungsstücke und Spielsachen im Kinderzimmer aus dem Weg zu schaffen, damit sie wenigstens kurz staubsaugen konnte. Den Rest würden die Zwillinge nach ihrer Rückkehr selbst aufräumen müssen.
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