»Vielleicht hat er aber auch nur Zeit gebraucht, um neue Pläne zu schmieden«, fiel Melanie ihm ins Wort.
»Dazu komme ich jetzt.« Gabriel lächelte ihr zu, woraufhin sie die Stirn runzelte.
»Dann komm zum Punkt.«
»Ungeduldig wie immer, unsere liebe Melli.« Nun wurde aus Gabriels Lächeln ein freches Grinsen.
»Nenn mich nicht so.«
»Warum nicht? Erinnert es dich zu sehr daran, dass unter den Designerklamotten ein lebendiger Mensch steckt?«
»Halt die Klappe, Gabriel.«
»Eben noch sollte ich auf den Punkt kommen.«
Verblüfft verfolgte Janna das Geplänkel der beiden, bis Walter Bernstein sich vernehmlich räusperte. »Kinder, hört auf zu streiten. Eure privaten Animositäten könnt ihr in eurer Freizeit austragen.«
»Es gibt zwischen uns keine privaten Animositäten.« Melanies wütender Blick traf Gabriel, der jedoch weiter grinste. »Schon gut, Walter. Melli braucht nur manchmal ein paar kleine Nadelstiche, damit sie sich daran erinnert, dass sie nicht aus Stein ist. Also, wo war ich gerade stehen geblieben? Ach ja, Peckert.« Er wurde wieder ernst. »Melanie könnte insofern recht haben, als wir seit einiger Zeit diverse Aktivitäten rund um den Globus beobachten, die darauf schließen lassen, dass erhöhtes Interesse an einigen neuen deutschen Waffen- und Waffenabwehrsystemen bestehen könnte.«
»Gibt es da schon konkrete Hinweise?« Gespannt beugte Bernstein sich vor.
»Offiziell noch nicht.« Gabriel schüttelte den Kopf. »Aber inoffiziell habe ich ein paar Vorgänge analysiert, die darauf schließen lassen, dass Luchs B in den Fokus der einen oder anderen terroristischen Organisation gerückt sein könnte. Ebenso wie ins Visier einiger derzeit politisch instabiler Staaten.«
Bernstein verzog die Lippen. »Das ist weniger gut.«
»Was ist denn Luchs B?« Die Frage war Janna herausgerutscht, noch bevor sie sich bremsen konnte. Sie errötete leicht.
»Ein neues Langstreckenraketen-Abwehrsystem.« Markus rieb sich über den Nacken. »Entwickelt von deutschen Spezialisten und auch hier gebaut. Es soll innerhalb der kommenden zwei oder drei Monate betriebsbereit sein und der Regierung vorgestellt werden.«
»Der Haken an diesem System«, setzte Bernstein fort, »oder auch sein Vorteil, je nachdem, wie man es betrachtet, ist die Tatsache, dass es mit wenigen Modifikationen auch zu einer effektiven Raketenbasis umfunktioniert werden kann.« Er hielt kurz inne. »Damit wäre es exakt Peckerts Kragenweite. Mit Sicherheit würde er im Handumdrehen eine Auktion mit mehreren Bietern auf die Beine stellen können.«
»Die Sache ist nur die«, übernahm Melanie das Wort. »Es ist praktisch unmöglich, Luchs B zu stehlen oder auch nur an die Pläne heranzukommen. Die Ingenieure und alle, die daran arbeiten, unterliegen den höchsten Sicherheitsstandards und werden rund um die Uhr überwacht. Der Bau erfolgt unter hermetischer Abriegelung. Da kommt auch ein Reinhard Peckert nicht hinein.«
»Solche Kleinigkeiten haben ihn auch früher nicht davon abgehalten, es zumindest zu versuchen«, wandte Gabriel ein. »Seine Erfolgsquote ist zu hoch, um die mögliche Bedrohung außer Acht zu lassen.«
»Analysieren Sie weiter, Gabriel.« Walter seufzte. »Diesem Mann ist leider alles zuzutrauen. Und nun, da Susanne Krause wieder auf freiem Fuß ist, müssen wir doppelte Vorsicht walten lassen. Sie hat sich bisher kaum im Waffenhandel hervorgetan, sondern agiert als Auftragsmörderin. Wenn Peckert ihr zur Flucht verholfen haben sollte, dann aus einem bestimmten Grund, und den müssen wir so schnell wie möglich in Erfahrung bringen. Janna, Sie sehen so blass aus? Stimmt etwas nicht?«
Janna hatte leicht gefröstelt und zog nun die Schultern hoch. »Nein, entschuldigen Sie, es ist nichts. Nur ... Na ja, meine Tochter ... Pflegetochter, heißt Susanna. Die Namensähnlichkeit lässt mich jedes Mal schaudern.«
»Völlig irrational.« Melanie lächelte schmal. »Namen sagen über das Wesen eines Menschen nichts aus. Außerdem ist anzunehmen, dass Susanne Krause lediglich ein Deckname ist. Wie diese Frau in Wahrheit heißt, ist uns nicht bekannt.«
»Stimmt, sie ist auch schon mal mit dem Vornamen Annabelle aufgetreten.« Gabriel hüstelte. »Aber ich würde Frau Bergs Unwohlsein nicht als irrational abtun. Wir alle verbinden Vorstellungen oder Gefühle mit bestimmten Namen. Ist es nicht so, Melli?«
»Hör endlich auf, mich so zu nennen, du Arsch!«
»He, he!« Bernstein warf ihr einen strafenden Blick zu.
Gabriel lachte. »I rest my case.«
»Was ist nun unser erster Schritt?« Sichtlich angestrengt ließ Markus die Schultern kreisen. »Die Überwachung von Krauses früherem Umfeld?«
»Da sind wir schon dran.« Bernstein musterte ihn eingehend. »Sie gehen jetzt erst mal nach Hause, Markus, und schlafen sich aus. Sobald wir konkrete Hinweise haben, die nicht schon von der Polizei bearbeitet werden, gebe ich Ihnen Bescheid. Und Sie, Janna«, er hielt erneut kurz inne, »Sie könnten in der Tat zweierlei für uns tun.«
»Ja?« Überrascht hob Janna den Kopf. »Was denn?«
»Gehen Sie zu Hause gedanklich noch einmal jede Einzelheit zu Ihren Begegnungen mit Susanne Krause durch. Jede Kleinigkeit, an die Sie sich erinnern, kann wichtig sein. Notieren Sie alles in einer E-Mail, die Sie mir oder Melanie oder auch Markus schicken können.« Er wandte sich an Murat. »Wie laufen die Vorbereitungen?«
Murat wandte sich halb an Bernstein, halb an Janna. »In diesem Moment sind die Kollegen unter der Leitung von Hinnerk Schmitz bereits dabei, eine verschlüsselte E-Mail-Verbindung für Sie herzustellen, Frau Berg. Die Zugangsdaten für Ihren PC zu Hause sowie die entsprechende App für Ihr Smartphone erhalten Sie später, bevor Sie wieder nach Hause fahren.«
»Sehr gut.« Zufrieden nickte Bernstein ihm zu. »Wenn es Ihnen sinnvoller erscheint, können Sie natürlich auch herkommen, um mündlich Bericht zu erstatten. Verhalten Sie sich ansonsten vollkommen normal und unauffällig und geben Sie vor allem Ihrer Familie keinen Grund zu besonderer Aufmerksamkeit.«
»Okay.« Janna zupfte an ihrem Namensschild herum. »Und was wäre meine zweite Aufgabe?«
Bernstein lächelte jovial. »Ihr Arbeitsvertrag soll zwar erst Anfang Juli in Kraft treten, aber wären Sie vielleicht schon jetzt zeitlich in der Lage, hin und wieder ein paar Stunden herzukommen, um bei der Gestaltung der neuen Abteilung, speziell des Büros, mitzuwirken? Ab dem zweiten Mai sollten die Räumlichkeiten bezugsfertig sein, und ich halte es für sinnvoll, wenn Sie von Anfang an mit dabei sind.«
»Tja, also ...« Überrascht runzelte Janna die Stirn. »Warum nicht? Ich habe zwar noch einiges zu regeln, um meinen Kunden den Wechsel zu einem anderen Büroservice so einfach wie möglich zu machen, aber bestimmt könnte ich ein paar Stunden in der Woche erübrigen. Vormittags vielleicht, wenn die Kinder in der Schule sind. Nachmittags möchte ich gerne zu Hause sein, um den beiden bei den Hausaufgaben helfen zu können. Ab kommendem Schuljahr werden sie in die Ganztagsbetreuung wechseln, aber bis dahin ...«
»Ausgezeichnet.« Bernstein erhob sich. »Sprechen Sie sich mit Markus ab, er wird Ihnen dann am Mittwoch alles zeigen. Ich muss jetzt zu einer Sitzung mit Dr. Schwartz und der Chefetage. Murat, weisen Sie Janna bitte in die nötigen Formalitäten bezüglich des neuen E-Mail-Accounts ein. Melanie, Sie suchen bitte Jannas Bericht zu den Vorfällen im November