Der Gesang des Sturms. Liane Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liane Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959913478
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      Sie begannen mit dem Reitunterricht und bald stellte sich heraus, dass das Aufsteigen das größte Problem für Sirany war. Sobald sie sich auf dem Rücken des Tieres befand, fühlte sie sich so wohl wie ein Fisch im Wasser. Beim Nahkampf stellte sich Sirany recht geschickt an, während sie den Schwertunterricht sehr schnell aufgaben. Die Waffe war zu schwer, Sirany zu ungeschickt und Elendar hatte Angst, dass sie sich dabei versehentlich umbrachte. Außerdem nahm er nicht an, dass sie jemals ein Schwert besitzen würde. Zu teuer und außerdem streng verboten.

      Nicht lange nach Beginn ihres Unterrichts begriff Elendar, dass sich das Mädchen nur äußerst ungern von ihm anfassen ließ. Erst hatte er gedacht, er würde sich das einbilden, doch ihre Körper­haltung war oft eindeutig. Schließlich akzeptierte er diese Eigenart.

      Anscheinend war und blieb Elendar ein Fremder für sie. Ein netter Fremder, und dennoch …

      Vielleicht war das auch besser so. Je weiter sie auf Abstand blieben, desto sicherer war Sirany. Die Situation war auch so schon kompliziert genug, zumal Elendar mit jedem verstreichenden Monat unruhiger wurde.

      Es war nie gut, so lange nichts von seinem Erzfeind zu hören. Plante er etwas? Wollte er ihn in Sicherheit wiegen? Elendar war ratlos, beschloss dann aber, die Atempause zu nutzen.

      Sirany lenkte ihn auch hinreichend ab. Die wahre Gefahr erschien ihm seltsam weit fort. Als sei er in einem anderen Leben gefangen, das es möglicherweise etwas besser mit ihm meinte.

      Ein schöner Traum. Elendar hatte nur Angst, daraus zu erwachen.

      Er behielt zunächst unrecht, was den Abzug der Besatzungs­truppen betraf. Sie blieben länger als gewöhnlich, was zum einen an dem schlechten Wetter lag, das nun seit fast zwei Jahren das Land in seinen Fängen hielt, zum anderen am Reichtum der Farreyn.

      Ihre Schätze erstreckten sich von fruchtbarem Ackerland über reiches Viehaufkommen bis zu den hübschen Frauen mit dunklen, ausdrucksstarken Augen. Das alles fesselte die Shari an dieses Land und beschäftigte sie so sehr, dass zunächst an einen Abzug nicht zu denken war.

      Siranys Leute hatten sich weitestgehend an das Leben als versklavtes Volk angepasst und fanden sich mit ihrem Los ab. Viele Farreyn träumten weiterhin heimlich von Freiheit, doch niemand dachte mehr an einen Aufstand.

      Was Sirany betraf, war auch sie zufrieden mit ihrem Leben. Das Essen war weiterhin knapp. Zumindest blieb ihre Familie gesund und das war das Wichtigste. Nach dem Tod des Soldaten war es sehr unruhig im Dorf gewesen. Seine Vorgesetzten wollten den Vorfall untersuchen, wurden aber glücklicherweise wieder abgerufen und nahmen die meisten ihrer Leute gleich mit. Die strenge Bewachung lockerte sich also, was Sirany mehr Freiraum verschaffte. Außerdem hielt sie die Übungsstunden mit Elendar aufrecht. Auf die freute sie sich wie ein kleines Kind.

      Nach fast einem Jahr kannte sie jede Menge Tricks, um einen Mann von sich fernzuhalten. Von allen Lehrstunden mochte sie das Reiten am liebsten. Elendars Stute hatte sich als gutes Lehrpferd erwiesen, meistens lieb und freundlich, manchmal auch stur und übellaunig.

      Wie sich herausstellte, hatte das Tier keinen Namen. Elendar nannte es seit Jahren nur Zicke, was Sirany ausgesprochen gemein fand.

      Sie fragte, was Zicke in Elendars Sprache hieß und fortan hieß die Stute für Sirany Chuaya. Elendar blieb der Sinn dahinter verborgen, einem Pony den gleichen Namen in einer anderen Sprache zu geben. Er beließ es einfach dabei, ohne nachzufragen.

      Elendar fing an, sich in Siranys Nähe wohlzufühlen. Sie war munter wie ein Fisch im Wasser und strahlte eine Lebensenergie aus, die auch auf ihn übersprang. Wenn er mit ihr zusammen war, lachte er mehr als in den zwei Wochen, in denen sie getrennt gewesen waren.

      Irgendwann stellte er sogar fest, dass er sie vermisste, wenn sie mehrere Tage oder sogar Wochen nicht zu ihm gekommen war.

      Anfangs hatten seine Männer den Treffen ähnlich wie Efnor ausgesprochen misstrauisch gegenübergestanden, doch allmählich gewöhnten sie sich an Siranys heitere Art. Auch sie entspannten sich ein klein wenig und verdrängten die Bedrohung, die über ihren Köpfen schwebte.

      Als Ausgleich zu Elendars freundlichen Lektionen zeigte Sirany seinen Männern, wie man schmackhafter kochen konnte. Hier und da ein paar gesammelte Beeren ergänzten von nun an den Speiseplan der Assaren. Zuerst sehr ungern gegessen, fingen die Männer sogar an, die von Sirany angebotenen Speisen zu mögen. Irgendwann ertappten sie einander dabei, wie sie, anstatt mit einem Speer bewaffnet auf Hirschjagd zu gehen, lieber einen Korb ergriffen, um Beeren zu sammeln.

      Elendar enthielt sich diesbezüglich jeden Kommentars. Solange Sirany ihnen nicht zeigte, wie man aus Schwertern Essbesteck herstellte, hatte er nichts dagegen.

      Immer öfter blieb Sirany bis spät in die Nacht, hörte den derben Geschichten der Männer zu und lachte mit ihnen. Erst wenn die Letzten müde in ihre Zelte krochen, brachen auch Elendar und Sirany auf. Er brachte sie auf Chuaya an den Waldrand, ließ dort das Pony zurück und begleitete sie bis zum Rand des Dorfes. Eingehüllt in seinen schwarzen Umhang verschmolz er mit der Nacht und fiel nicht weiter neben der jungen Frau auf.

      Natürlich blieb Siranys Fortbleiben nicht unbemerkt. Das Dorf war klein und jeder war froh über Klatsch und Tratsch. Siranys Eltern verloren niemals ein Wort über die nächtlichen Aktivitäten ihrer Tochter, sosehr man sie auch bedrängte. Sie selbst fragten selten von sich aus nach, was Sirany erlebt hatte.

      Manchmal erzählte sie von den Männern, mit denen sie ihre Zeit verbrachte. Am meisten berichtete sie jedoch von Elendar, was ihre Eltern bald zu der Annahme verleitete, die beiden könnten ein Liebes­paar sein. Sowohl Vater als auch Mutter beließen es dabei, ohne näher in Siranys Privatsphäre einzudringen – obwohl sich große Sorge in ihre Herzen schlich.

      Die Gerüchte um die Assaren waren beunruhigend. Vor allem die um ihren Anführer. Angeblich bekam er seine Befehle von ganz oben. Vom König der Shari persönlich. Alexej Karamu. Dem größten und schrecklichsten Feldherrn der Welt. Selbst ernannter Gottkönig und grausamer Völkermörder.

      Und wenn man den Gerüchten glaubte, waren er und der Anführer der Assaren auf eine Weise miteinander verbunden, die nichts Gutes erahnen ließ.

      Kapitel 4

      Sirany und Elendar waren dabei, mit Pfeil und Bogen zu üben. Es war offensichtlich, dass hier Siranys größtes Talent lag, obwohl sie sich oft bei den unzähligen Übungen langweilte. Fast immer traf sie, und wenn nicht, verfehlte sie ihr Ziel nur um einen Hauch. Heute hatte Elendar ein kleines Stück Fell an einen Baum genagelt, das es zu beschießen galt. Leider war Siranys Lehrer nicht bei der Sache. Er war übellaunig und brummig, sobald Sirany nicht traf. Die endlose Geduld, die Sirany sonst an ihm so schätzte, fehlte ihm heute vollkommen.

      »Du bist unkonzentriert«, schimpfte er, als Sirany zum dritten Mal danebenschoss.

      »Und du bist schlecht gelaunt.«

      »Gib her. Ich zeig es dir noch mal.« Elendar nahm ihr die Waffe aus der Hand, legte einen Pfeil auf und schoss auf das Ziel. Er traf es nicht nur, die Spitze durchschlug sogar das Holz.

      Sirany riss erstaunt die Augen auf. »So was geht?«

      »Mit den Bögen der Assaren durchaus. Die Waffen der Korun sind sogar noch besser. Wir haben bislang nicht herausfinden können, warum das so ist.«

      »Korun? Kennst du das Land? Warst du schon mal dort?«

      Elendar zögerte kurz. Sein Gesicht verdüsterte sich dabei. »Korun grenzt direkt an meine Heimat. Es ging vor uns unter. Ich … lass uns nicht über die Korun sprechen. Das erinnert mich zu sehr an meine Vergangenheit.«

      »Du hast das Thema begonnen. Dann lass uns weiter über Bögen sprechen. Kann man damit auch zwei Menschen gleichzeitig durchbohren?«

      »Vermutlich schon.