Der Gesang des Sturms. Liane Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liane Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959913478
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fragte nicht weiter nach, sondern nickte nur und eilte davon, hinein in den Wald. Einen Moment blickte Elendar seinem Freund hinterher, erst danach drehte er sich zu dem Mädchen um.

      Das stand nach wie vor wie zur Salzsäule erstarrt da und zitterte vor sich hin. Wenigstens zitterte es wieder. Das war schon mal ein gutes Zeichen.

      Elendar trat neben die junge Frau, zog ihr die Felle so fest er konnte um den Oberkörper und sah sie streng an.

      »Wir müssen uns bewegen, sonst sind wir so gut wie tot. Versuch es wenigstens.«

      Wie in Trance nickte sie, machte einen zaghaften Schritt und knickte augenblicklich ein. Elendar zog sie seufzend wieder auf die Beine und drängte sie nach vorn.

      »Du musst gehen«, ermahnte er sie und zog sie mehr hinter sich her, als dass sie selbstständig ging. Auch ihm tat mittlerweile alles weh. Außerdem macht er sich heftige Sorgen um seine Zehen, die er kaum spürte. Seine Schuhe waren völlig durchweicht und boten keinen Schutz gegen die Kälte. Wenigstens hatte er welche, im Gegensatz zur jungen Frau.

      Sie verließen das Ufer des Flusses und drangen in den schnee­bedeckten Wald ein. Äste knackten unheimlich unter ihrer Last, hier und da segelte ein Zweig zu Boden. Ansonsten war alles still, nur durchbrochen von den keuchenden Lauten der beiden Menschen.

      Sirany war mittlerweile übel. Wie in einen dichten Nebel gehüllt stolperte sie hinter dem Fremden her, der sie unerbittlich vorwärtsdrängte. Ihr Körper schmerzte heftig und die Brust war wie eingeschnürt. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, die sie dem Mann folgte, eine Ewigkeit, in der sie durch die Hölle ging. Schließlich war sie mit den Kräften am Ende. Der Kampf mit dem Soldaten, die nackte Panik vor einer Vergewaltigung, das alles hatte sie geschwächt, der Sieg über die eisigen Fluten hatte sie an den Rand ihrer Fähigkeiten gebracht. Der Marsch durch diese eisige Hölle überstieg nun ihre Kräfte.

      Elendar fing sie gerade noch auf, als sie zusammenbrach. Er ließ sie in den Schnee gleiten und stützte ihren Oberkörper ab.

      »Ich kann nicht …«, flüsterte sie. Dabei krallte sie sich in seinen Fellumhang, als wollte sie ihn nie wieder loslassen. Elendar gab ebenfalls auf. Auch er konnte sich kaum rühren. Eine eigenartige Müdigkeit umgab ihn. Schweigend zog er das Mädchen dicht an sich heran. Es vergrub sein Gesicht an seiner Brust. So verharrten sie.

      Keine zwei Minuten später kamen endlich die Pferde – und die brachten sie sicher in das Lager. Dort warteten warme Felle und ein heißes Feuer auf sie.

      Später erinnerte sich Elendar nicht mehr vollständig an das Geschehene. Er hatte das Mädchen zu sich auf sein Gebirgspony genommen und war im Jagdgalopp durch den Wald gestürmt, so schnell es der winzige Wanderpfad zuließ. Im Lager angekommen, hatte er das Mädchen vom Rücken seines Tieres gezogen und in sein Zelt getragen, hatte es mit Decken und warmen Steinen bedeckt und war anschließend zu ihm unter die Felle gekrochen.

      Kapitel 2

      Elendar Assaim war ein praktisch denkender Mensch. Mit seinen knapp zwanzig Jahren hatte er sich eine Art mit Menschen umzugehen angewöhnt, die für sein Alter völlig untypisch war. Seine Männer taten gern, was er ihnen auftrug, und sie folgten seinen Befehlen, ohne sie anzuzweifeln.

      Trotz seiner jungen Jahre wirkte Elendar sehr weltgewandt. Beinahe weise. Ruhe und Gelassenheit waren zwei seiner Tugenden, hinzu kamen Klugheit und Führungstalent. Ein gewisser Grad an Skrupellosigkeit, gepaart mit seiner unbändigen Treue zu seinem Volk, formte ihn zu einer ernsthaft gefährlichen Persönlichkeit.

      Jetzt gab er eher eine klägliche Figur ab, als er sich zitternd wie ein Baby an die junge Sirany schmiegte. Ihm war kalt, was man angesichts der eisigen Temperaturen durchaus verstehen konnte, und er suchte verzweifelt jede Art von Körperwärme.

      Sirany war zum Glück so in ihrem Nebel versunken, dass sie den männlichen Körper, der sich so hartnäckig an ihre Seite presste, erst sehr viel später bemerken sollte. Wenn sie bereits zu dieser Zeit bei Sinnen gewesen wäre, um Elendars Haut so dicht an der ihren zu spüren, wäre sie vor Angst gestorben.

      So retteten sie sowohl ihre Nähe zueinander als auch die dicken Decken, die Elendars Männer rasch über sie ausbreiteten. Heiße Steine wurden linkisch unter die Felle, auf denen sie lagen, geschoben und ein kleines Feuer im Zelt errichtet, gerade groß genug, um zu wärmen, und klein genug, um nichts zu verbrennen.

      Dann ließ man die beiden in Ruhe, allerdings nicht ohne einige spitze Bemerkungen über ihren engen Körperkontakt auszutauschen.

      Sirany wurde davon wach, dass ihre Knochen wie wild prickelten. Die Wärme drang langsam durch ihre Haut hindurch, erhitzte ihren Körper und erweckte die erstarrten Muskeln zu neuem Leben.

      Der Schmerz, der dabei entstand, hatte Sirany aus ihrem Erschöpfungs­schlaf gerissen. Einen Moment lag sie völlig orientierungslos da, blickte verwirrt zur Decke und versuchte sich zu erinnern, wo sie war.

      Erst als sie ruhige Atemzüge direkt neben ihrem Ohr vernahm, kam die Erkenntnis schlagartig zurück.

      Sie war in den Fluss gefallen und ein seltsamer Mann hatte sie herausgefischt, sie zu sich ins Lager mitgenommen und sie zugedeckt.

      Jetzt lag er dicht neben ihr, hatte wie selbstverständlich einen Arm um sie geschlungen und hielt sie fest an sich gepresst. Sein Kopf lag genau in der Kuhle zwischen ihrem Kopf, dem Hals und der Schulter, seine Brust schmiegte sich an ihre Seite.

      Augenblicklich erstarrte sie, als sie bei jedem seiner Atemzüge sein Brusthaar an ihrer Seite auf und ab streichen spürte. Sein Arm, der auf ihrem Bauch lag, bewegte sich im gleichen Rhythmus.

      Sirany hatte bisher keinerlei Kontakt zum männlichen Geschlecht gehabt. Sicherlich hatte sie bereits den einen oder anderen Mann nackt gesehen – beim Baden im Teich zum Beispiel, wo sie den alten Ziegenhirten versehentlich überrascht hatte, oder ab und zu mal ihren Vater.

      Sie hatte sogar einmal ein Pärchen gesehen, das sich leidenschaftlich hinter einem Gebüsch geliebt hatte. Vom Stöhnen angelockt, hatte Sirany nachsehen wollen, ob dort nicht jemand verletzt lag und ihre Hilfe benötigte. Erst nach einem intensiven Blick auf das Geschehen hatte sie feststellen müssen, dass diese Laute durchaus einen sehr zufriedenen Ton innehatten.

      Sie selbst war niemals von einem Mann außerhalb ihrer Familie umarmt worden – weder auf die freundschaftliche noch auf die erotische Weise. Der junge Ziegenhirte hatte sie einmal geküsst und sogar kurz ihre Brust betatscht. Dieses Erlebnis hatte sie vorerst Abstand nehmen lassen von jeglicher männlicher Nähe.

      Bis jetzt.

      Sirany wusste nicht recht, was sie denken sollte. Zum einen hatte sie natürlich Angst, denn sie kannte den Mann nicht und es war auch nicht zu leugnen, dass sie beide auf eine höchst unziemliche Art und Weise nebeneinanderlagen. Man hätte es durchaus für eine Szene nach einem sehr intensiven Liebesspiel halten können.

      Zum anderen war Sirany mit einer ausgeprägten Neugierde gesegnet, weswegen sie zugleich auch sehr fasziniert von dem Mann war, der da neben ihr lag.

      Die Wärme, die von ihm ausging, war ausgesprochen beruhigend, die gleichmäßigen Atemzüge gleichsam einschläfernd.

      Eine Weile lag Sirany da, ohne sich zu bewegen, lauschte auf ihre Umgebung und sortierte ihre Eindrücke.

      Sie lag in einem Zelt, das schon reichlich altersschwach aussah. Spärliches Licht fiel durch den angemoderten Stoff, es mochte früher Abend sein. Die Felle, auf denen sie lag und die sich zugleich auf ihr stapelten, waren kratzig und unbequem. Zumindest waren sie warm. Ansonsten konnte sie rein gar nichts erkennen.

      Wie immer, wenn man über seine Lage nachdenkt, kommt einem auf einmal die Art, wie man gerade daliegt, sehr