Als eine der Letzten stand Sirany auf der Tanzfläche, bewegte sich sanft zu den gedämpfteren Klängen und war tief in Gedanken versunken.
Elendar wusste, dass die junge Frau weit mehr getrunken hatte, als für sie gut gewesen war. Er hatte sich nicht als ihr Aufpasser aufspielen wollen und sie einfach machen lassen.
Jetzt beobachtete er schmunzelnd ihre schlenkernden Bewegungen und genoss ihren Anblick, den er trotz der späten Stunde nicht leid geworden war.
Ein Mann nach dem anderen verkroch sich grunzend in sein Zelt. Als sich sogar der letzte verbliebene Musiker verabschiedet hatte, stand auch Elendar auf, um zu Sirany hinüberzugehen.
»Komm«, sagte er freundlich, ergriff ihre Hand und zog sie hinter sich her. Sirany folgte ihm brav wie ein Lämmchen und wehrte sich nicht, als er sie auf sein Lager dirigierte. Undeutlich brummelnd krabbelte sie unter das oberste Fell, rollte sich zu einem Ball zusammen und war eingeschlafen, ehe Elendar seine Schuhe ausgezogen hatte.
Elendar hielt sich an sein Wort. Er machte keinerlei Anstalten, Sirany die Schuhe auszuziehen oder sie sonst zu berühren. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, legte er sich ans andere Ende des Bettes, seufzte tief und versuchte zu schlafen, während er Siranys Atemzügen lauschte.
»Warum trinkst du nichts?«
Siranys Stimme drang undeutlich wie aus weiter Ferne an Elendars Ohr und riss ihn unsanft aus dem Schlaf.
Verwirrt öffnete der Assar die Lider und blickte direkt in Siranys schöne Augen. Die junge Frau hatte sich längs neben ihn gelegt, ihr Gesicht ruhte auf den gefalteten Händen. Ihre schwarze Haarpracht lag wie ein Kunstwerk über den Fellen und umfloss ihr Gesicht. Sie wirkte völlig schlaftrunken und rieb sich wiederholt über die verquollenen, rot geränderten Lider.
Als er nicht antwortete, rückte sie näher, bis ihre Nasenspitzen sich fast berührten. Erst dann fragte sie erneut: »Warum trinkst du nicht?«
Elendar brauchte lange, um sich an den plötzlichen Schock, Sirany auf einmal so nahe zu sein, zu gewöhnen. Verwirrt rückte er von ihr ab und betrachtete sie kritisch.
»Warum trinkst du so viel?«
»Weich nicht aus.«
»Ich darf nicht trinken. Der Verstand des Anführers sollte nicht vom Alkohol vernebelt sein, solange sich seine Männer in Feindesland befinden.«
In Feindesland. Allein das Wort verursachte Sirany eine Gänsehaut. Sie hatten in dem Jahr, das sie zusammen verbracht hatten, dieses Thema nie angeschnitten. Sie war eine Farreyn. Er ein Assar. Machte sie das theoretisch zu Feinden?
»Ich glaube nicht, dass unser Land Feindesland ist«, brachte sie schließlich mutig hervor.
»Ich betrachte alles außerhalb von Assanien als Feindesland.«
»Klingt anstrengend.«
»Das ist es auch.«
Lange Zeit lagen sie einander so dicht gegenüber, dass sie den Atem des anderen auf der Haut spüren konnten. Elendar schloss die Augen und prägte sich dieses Gefühl ein, das Siranys Nähe bei ihm verursachte, atmete tief ihren Geruch ein, der ihm von gestern Abend erzählte.
»Ich muss gleich gehen«, flüsterte Sirany. Auch sie spürte die besondere Atmosphäre, die zwischen ihnen herrschte. »Meine Eltern machen sich sonst wieder Sorgen.«
»Gib mir noch fünf Minuten.«
Fünf Minuten, in deren Verlauf sich Elendar Assaim mit jeder verstreichenden Sekunde klarer wurde, dass er sich Hals über Kopf in Sirany verliebt hatte.
Kapitel 5
Einige Wochen später waren Elendar und seine Männer nicht mehr im Wald zu finden. Das Lager lag einsam und verlassen da, die Pferde waren verschwunden und nur die Zelte standen wie schweigende Hüter herum. In den ersten Tagen machte sich Sirany keinen Kopf darüber, denn die Männer blieben häufig fort. Wenn sie wieder da waren, wusste Sirany, dass sie einige Tage nichts im Lager zu suchen hatte. Elendar war in dieser Zeit ausgesprochen mürrisch und schätzte ihre Gesellschaft ganz und gar nicht. Was immer die Reiterschar zu erledigen hatte, es ging ihrem Anführer offensichtlich an die Substanz.
Sirany fragte nicht näher nach, denn im Grunde wollte sie es nicht wissen. Elendars Arbeit war schmutzig und blutig und passte nicht zu dem Bild, das sie sich von ihm erschaffen hatte.
Die Tage vergingen und allmählich wurde Sirany nervös. Sie waren mittlerweile deutlich länger fort als üblich. War etwas geschehen? Ihre Eltern bemerkten ihre Unruhe, sagten aber nichts. Sobald ihre Tochter wie eine gefangene Tigerin hin und her lief, hatte es etwas mit den Assaren zu tun.
»Ich glaube, sie sind fort«, sagte sie eines Abends und sie klang so traurig, dass ihre Mutter sich bewogen fühlte, sie in den Arm zu nehmen.
»Dann hätte er sich verabschiedet«, erwiderte Aileen und das beruhigte Sirany ein wenig.
Elendar hatte befürchtet, dass sie aus den Wäldern verschwinden mussten. Hatte er womöglich keine Zeit gehabt, sich zu verabschieden? Es überraschte Sirany selbst, wie entsetzlich sie diesen Gedanken fand. Den restlichen Tag über war sie das reinste Nervenbündel.
Dann kam der Abend und die Sonne verabschiedete sich hinter dem Horizont. Die Vögel stellten mit dem schwindenden Licht das Singen ein und während Sirany im letzten verbliebenden Licht die Wäsche hereinholen wollte, sah sie ihn.
Er stand am Waldrand und blickte zu ihr hinüber.
Sirany brauchte nicht lange, um eine Entscheidung zu fällen. In Windeseile klaubte sie das bisschen Wäsche von den Leinen, hastete ins Haus zurück, stellte den Korb in eine Ecke, schnappte sich einen Mantel ihres Vaters und war auch schon wieder hinaus. Kurz bevor die Tür hinter ihr zuschlug, rief sie noch, sie sei mal kurz weg.
Die nächsten Schritte unternahm sie mit Bedacht, denn der Weg in den Wald war weiterhin gefährlich und man musste vorsichtig sein. Die meisten Soldaten waren abgezogen, doch Kumas Wachen patrouillierten weiterhin. Sirany war aber mittlerweile so geübt im Schleichen, dass sie die schützenden Bäume ohne Probleme erreichte.
Elendar erwartete sie schweigend und lächelte, als er Sirany vor sich stehen sah. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet, ansonsten wirkte ihr Gesicht blasser als sonst. Sie trug ihr Haar offen und ihr Kleid war eher zum Schlafen gedacht. Der Mantel, den sie sich angezogen hatte, war definitiv nicht ihr eigener und schleifte aufgrund seiner Überlänge auf dem Erdboden.
»Ich hatte solche Angst, dass ihr fortgegangen seid«, sagte sie voller Inbrunst, dann umarmte sie ihn völlig überraschend.
Als Elendar seine Arme fest um ihren Körper legte, registrierte er zum ersten Mal, wie klein und zierlich sie war. Wie eine zerbrechliche Puppe schmiegte sie sich einen winzigen Moment an ihn, legte ihren Kopf an seine Brust und drückte ihn fest. Es war, als gehörte sie dorthin, als wäre sie genau für ihn erschaffen worden. Es fühlte sich gut und richtig an und bei diesem Gedanken begann Elendars Herz zu rasen und kalter Schweiß brach ihm aus.
»Wir sollten hier nicht gesehen werden«, sagte er leise und löste sich widerwillig von ihr. Er nahm ihre Hand und zog sie in den Wald hinein. Sie folgte ihm.
»Du siehst müde und erschöpft aus.«
»Ich weiß.«
»Du