»Das darf doch nicht wahr sein!« Will schnaufte wütend. »Fahr’ weiter, vielleicht hält der Butler irgend-wo … Was ist denn?«
»Der zweite Reifen im Eimer!« Clark heulte vor Wut. »Das gibt’s doch überhaupt nicht!«
»Das … Das kann nie Zufall sein«, behauptete Will prophetisch.
»Nee … Der dritte Reifen ist nämlich auch schon platt.«
Der Kastenlieferwagen hoppelte in ungemütlichen Stößen über den an sich glatten Asphalt der Straße. Er ließ sich nicht mehr auf Geschwindigkeit bringen und torkelte auf seinen Felgen und gequetschten Pneus wie betrunken herum.
Clark mußte bremsen und dann halten.
»Genau vor unserem Club«, freute sich Will.
»Und Parker ist futsch!« fügte Clark hinzu, öffnete die Tür und sprang hinaus auf die Straße. Er ging um den Wagen herum und untersuchte die luftleeren und bereits in Fetzen herunterhängenden Reifen.
»Ich habe gerade den Boß angerufen«, sagte Will, der nun ebenfalls ausgestiegen war.
»Und!?«
»Der scheint nicht gerade begeistert zu sein, Clark.«
Will glaubte, die Stimmung des Boß richtig beschrieben zu haben, doch er hatte sehr untertrieben.
Hampton kam aus dem Club und warf die glatte, schwarz lackierte Tür wütend wieder hinter sich ins Schloß. Er lief über die Fahrbahn und baute sich vor seinen beiden Profis auf. Wenig später begann er wie ein Waschmittel zu schäumen, das im geöffneten Paket von einem Platzregen überrascht wurde.
»Ihr Riesenkamele«, schnauzte er los, »ihr Anfänger! Ihr Riesentrottel! Wie konnte denn das passieren?«
»Das hier hat uns geschafft, Boß.« Clark präsentierte Hampton drei sogenannte Krähenfüße, über Kreuz zusammengeschweißte, nadelspitze Stahldorne, die jeden Reifen erleichterten, den sie erwischten.
»Er hat die ganze Zeit über gewußt, daß er verfolgt wurde«, sagte Hampton sich zur Ruhe zwingend, »und er hat euch hier vor dem Club verladen. Genau vor dem Club! Verschwindet, oder ich bringe euch um!«
Charles Hampton war ein sichtlich gebrochener Mann, als er langsam zurück zum Club ging. Wenn er jetzt noch an das große Geld kommen wollte, mußte er sich etwas einfallen lassen. Er wußte nur noch nicht was …
*
Josuah Parker, der die totale Panne des Kastenlieferwagens sehr genau im Rückspiegel verfolgt hatte, war mit sich zufrieden. Er hatte sich nämlich leicht ausgerechnet, daß Hampton sich an ihn hängen würde. Dies war nun nicht mehr der Fall, wie sich gezeigt hatte.
Parker hatte die Krähenfüße auf den Asphalt fallen lassen. Der Druck auf einen der vielen Knöpfe seines reichhaltig ausgestatteten Armaturenbretts hatte einen Blechkasten unter dem Wagen geöffnet und die scharfdornigen Kleinsthindernisse freigegeben. Damit waren Hampton und seine Mitarbeiter erst mal außer Gefecht gesetzt worden.
Jetzt mußte nach Parkers Berechnung auch der Gangsterboß aktiv werden und seine Verbindungen nut-zen. Auf leichte Art und Weise konnte Hampton das Lösegeld nicht mehr verdienen. Er mußte sich an die eigentlichen Kidnapper heranmachen, und gerade das wollte der Butler. Er brauchte immer noch die unfrei-willige Mitarbeit dieses Gangsters.
Parker befand sich auf dem Weg zur Stadtwohnung der Lady Simpson.
Unterwegs vergewisserte er sich immer wieder, ob ihm weitere Verfolger auf den Fersen waren. Andere Mitglieder der Unterwelt konnten unterwegs sein, für ausreichende Publizität hatte er ja über Lorenzo Pades-te gesorgt.
Shepherd’s Market kam in Sicht, jenes idyllische Fleckchen Erde inmitten von London, das noch deutlich einen dörflichen Charakter auswies. Altehrwürdige Fachwerkhäuser kontrastierten ungemein reizvoll mit modernen Bauten. Hier war noch eine Oase relativer Ruhe inmitten der hektischen Millionenstadt.
Parker erreichte das Haus der Lady Simpson, hielt an und stieg aus. Dabei sah er sich verstohlen nach allen Seiten um. Er konnte sich gut vorstellen, daß die Kidnapper ihn hier bereits erwarteten. Er unterschätzte sei-ne Gegner nie und lebte daher noch.
Der kleine quadratische Platz, an dem das Stadthaus lag, war nur sparsam beleuchtet. Vor den Häusern gab es Hecken und Sträucher, Verstecke also genug für Leute, die auf ein ganz bestimmtes Ereignis warte-ten.
Parker holte die beiden Koffer aus dem Fond des Wagens, schloß die Türen sorgfältig ab und marschierte aufrecht und gemessen auf die Haustür zu. Den unvermeidlichen Regenschirm, auf den er fast nie verzichte-te, hatte er sich unter den linken Arm geklemmt.
Es tat sich nichts …, worüber der Butler sich bereits leicht wunderte. Die Kidnapper wußten doch mit letzter Sicherheit, welch ein Vermögen er in Händen hielt. Warum versuchten sie nicht jetzt und hier an das große Geld heranzukommen?
Oder saß diesen Gangstern das permanente Mißtrauen im Nacken? Fürchteten sie eine Falle? Rechneten sie vielleicht damit, daß die Polizei verständigt worden war?
Doch dann passierte es plötzlich …!
Der Butler hatte die Tür noch nicht ganz erreicht, als er hinter sich schnelle, leichte Schritte hörte.
Er drehte sich um und sah sich zwei Männern gegenüber, die auf ihn einen sehr harten und entschlossenen Eindruck machten. Parker erkannte sofort, daß es sich um üble Typen handelte, die aus der tiefsten Unter-welt stammten. Sie trugen übrigens keine Schußwaffen, sondern hatten sich mit Fahrradketten ausgerüstet.
Einer von ihnen hatte eine hüftlange Lederjacke an, der zweite eine dunkle Lederkombination, wie sie von Motorradfahrern verwendet wird. Die beiden waren etwa 25 Jahre alt.
»Rück? die Koffer schon raus«, sagte der Mann in der Lederjacke.
»Und dabei ganz schön ruhig bleiben«, verlangte der Mann in der Kombination. Sie schwangen die Fahr-radketten und kamen auf den Butler zu. Beide Männer trugen kräftige Schnauzbärte, die offensichtlich falsch waren.
»Ihr Wunsch ist mir selbstverständlich Befehl«, gab der Butler höflich zurück und ließ die beiden kleinen Koffer aus der Hand fallen. Sie landeten neben seinen Füßen auf dem Boden und … spuckten in Sekunden-bruchteilen dichte Nebelwolken aus, die jede Sicht nahmen. Parker und die Koffer verschwanden hinter ei-ner undurchdringlichen Wand, die keine Personenortung mehr zuließ.
Die beiden Rockertypen waren irritiert.
Mit solch einem Ereignis hatten sie wirklich nicht gerechnet. Sie wußten nicht, was sie mit ihren Fahrrad-ketten anfangen sollten, droschen aber sicherheitshalber in den dichten Nebel hinein. Dabei gerieten sie na-türlich in einen gewissen Dunstkreis und verloren sich aus den Augen.
Hart waren sie tatsächlich, wie sich zeigte.
Die langen, ungemein gefährlichen Fahrradketten zischten durch die Nebelschwaden und suchten ein Ziel.
Sie suchten und fanden!
Die beiden Männer verdroschen sich gegenseitig und knallten sich kraftvoll ihre Totschläger um die Oh-ren. Sie schonten sich nicht, brüllten, wenn sie getroffen wurden, und gaben nach einem Treffer doppelt und dreifach zurück.
Dieser Kampf im Nebel dauerte etwa drei Minuten.
Dann waren die beiden Typen restlos groggy.
Keuchend und aus Rißwunden blutend, fielen sie sich entkräftet in die Arme, verabreichten sich noch ei-nige Boxhiebe und gingen dann fast gleichzeitig zu Boden.
Parker, der sich im Schutz der Nebelwand samt Koffern in das Haus zurückgezogen hatte, schloß die klei-ne Sichtklappe in der Tür, durch die er den Zweikampf beobachtet hatte. Er öffnete die Tür, trat hinaus ins Freie und befaßte sich mit den beiden Schlägern.
Widerstandslos und vielleicht auch ein wenig erleichtert ließen