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Das Apartmenthaus machte einen seriösen Eindruck.
Parker betrat die Eingangshalle und suchte nach dem Namen der Gouvernante, die Mary Delonge hieß.
Sie wohnte in der dritten Etage des großen Hauses.
Parker fuhr mit dem Lift hinauf, ging ein Stück den Korridor hinunter und blieb dann vor der Tür stehen, die das Namensschild der Erzieherin trug.
Er läutete diskret.
Es dauerte eine Weile, bis im Türspion ein Auge zu erkennen war. Mary Delonge schätzte wahrscheinlich ihren neuen Schüler ein. Dann wurde ein Riegel zur Seite geschoben, eine Türkette rasselte, und schließlich sah sich Parker der Gouvernante gegenüber.
Sie war etwa dreißig Jahre alt, groß, vollschlank und wirkte ausgesprochen herrisch. Ihr gekonntes Make-up betonte besonders die dunklen Augen und die sinnlich aufgeworfenen Lippen. Das schwarze Haar der strengen Dame war straff zurückgekämmt, die Wangenknochen betont. Mary Delonge trug einen weitfallenden Hausmantel, der am Hals züchtig geschlossen war. In Höhe der Oberschenkel klaffte dieses Gewand ein wenig auf und zeigte knielange, schwarze Stiefel aus weichem Leder.
„Darf ich mir erlauben, Ihnen meine Verehrung zu Füßen zu legen?“ fragte Parker und schwenkte seine schwarze Melone. „Ich schätze mich glücklich, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen.“
„Wer sind Sie?“ fragte sie streng.
„Ein Hoffender“, stellte Parker sich vor.
„Wer hat Sie zu mir geschickt?“ An seinem wirklichen Namen schien sie nicht interessiert zu sein.
„Eine lange und vielleicht auch recht komplizierte Geschichte“, erklärte der Butler gemessen. „Darf ich ein wenig näher treten, gestrenge Herrin? Ich möchte nicht unbedingt gesehen und erkannt werden, denn meine Stellung als Butler einer angesehenen Familie verbietet es mir …“
„Herein mit Ihnen!“ Sie ließ ihn nicht ausreden, denn sie wußte mit ihm eindeutig nichts anzufangen. Ihre Stimme war knapp und auch ein wenig ärgerlich.
„Nur zu gern, Madam“, freute sich Parker und betrat das Apartment. Hinter einem völlig normal und regulär eingerichteten Vorraum betrat er den eigentlichen Erziehungsraum, der recht ungewöhnlich eingerichtet war.
Schwarze Seide ersetzte die Tapeten. Sie tarnte wahrscheinlich schallschluckende Wandelemente und lenkte gleichzeitig den Blick auf das riesige Lotterbett, das mit weißen Fellen bedeckt war. In zwei beleuchteten Glasvitrinen entdeckte der Butler höchst ungewöhnliche Ausstellungsstücke: Lederpeitschen aller Art, Halsbänder, Lederriemen und sogar Sattelzeug.
„Sie sehen mich etwas verlegen, Madam“, gestand Butler Parker höflich.
„Das werde ich Ihnen schon noch austreiben“, behauptete sie. „Also, wer hat sie geschickt?“
Mary Delonge hatte sich breitbeinig vor ihm aufgebaut und sah ihn spöttisch und überlegen an. Wie durch Zauberei hielt sie eine Reitgerte in der rechten Hand, mit der sie ungeduldig gegen ihre Stiefel schlug.
„Sagt Ihnen der Name Sir Henry etwas?“ fragte Parker, einen Dutzendnamen verwendend. Er hoffte, damit einen Treffer zu erzielen.
„Ach der!“ Parkers Rechnung ging auf. Sie lächelte mokant. Einen Sir Henry hatte sie also mit Sicherheit bereits in ihrer Sammlung.
„Ich hoffe, Madam, Sie haben ein wenig Zeit für mich“, sagte der Butler gemessen.
„Ohne Voranmeldung? Sie sind wohl restlos verrückt, wie? Wie stellen Sie sich das vor?“
„Das überlasse ich vollkommen Ihnen. Ich beuge mich Ihren Entschlüssen und Befehlen, mögen sie auch noch so streng ausfallen.“
„Auf die Knie, Sklave!“ kommandierte sie ohne Überzeugung, womit Parker jedoch überhaupt nicht einverstanden war.
„Wenn Madam vielleicht noch einen Moment warten wollen“, antwortete er höflich. „Könnte man vorher nicht noch gewisse Dinge regeln?“
„Über Geld rede ich nicht mit Ihnen. Ich werde Ihnen später meinen Preis nennen. Haben Sie mich verstanden?“
„Ich dachte weniger an Geld“, korrigierte Parker die strenge Erzieherin. „Ich dachte eigentlich mehr an Mr. Burt Lister!“
Der Name Lister war für die gestrenge Dame ein Reizwort.
Sie starrte den Butler völlig entgeistert an, schnappte nach Luft und suchte gleichzeitig nach Worten.
„Lister?“ wiederholte sie schließlich.
„Der Mann, der in der vergangenen Nacht tödlich verunglückte“, bestätigte Parker. „Aber das werden Sie ja wohl schon den Zeitungen und dem Rundfunk entnommen haben.“
„Wer sind Sie?“
„Ein Butler“, antwortete Parker wahrheitsgemäß, „und ich bin gekommen, um Dinge abzuholen, die Mr. Laster hier bei Ihnen abgestellt hat. Ich denke, daß Sie danach mit dieser ganzen Sache nichts mehr zu tun haben werden.“
Sie überlegte einen kurzen Moment.
„Warten Sie“, sagte sie dann, „ich werde den Koffer holen. Ich bin sofort wieder zurück.“
Parker ließ sie gehen. Er wollte ihr die Chance geben, gewisse Vorbereitungen zu treffen. Sie kam schon nach knapp einer Minute wieder zurück, trug einen kleinen Koffer in der Hand und legte ihn auf das Fußende des Bettes.
„Hoffentlich haben Sie sich nicht geschnitten“, sagte sie. „Viel ist es nicht.“
Parker nickte, beugte sich über den Koffer und beschäftigte sich mit den beiden Schlössern. Er machte dabei einen völlig ahnungslosen Eindruck, kümmerte sich in Wirklichkeit aber überhaupt nicht um den Koffer, sondern beobachtete die Seidenbespannung rechts an der Wand.
Ohne daß die strenge Gouvernante etwas merkte, blieb seine linke Hand auf dem Schaft seines Universal-Regenschirms. Sein Zeigefinger löste einen Schuß …
Das Zischen der sich schlagartig öffnenden Kohlensäurepatrone war kaum zu hören. Der stricknadelgroße Blasrohrpfeil blieb so gut wie unsichtbar, als er durch die Luft hinüber zur Seidenbespannung der Wand jagte.
Dafür war das Opfer dieses Blasrohrpfeils aber gut zu hören!
Eine Männerstimme jaulte unterdrückt auf, dann geriet die Bespannung in heftige Bewegeung, beulte sich aus, zerriß und teilte sich schließlich.
Ein etwa dreißigjähriger Mann, untersetzt, stämmig, etwas zu auffallend gekleidet, taumelte ins Zimmer und starrte entgeistert auf den Blasrohrpfeil, der in seinem linken Oberschenkel steckte.
Das Lähmungsgift – im Endeffekt nicht gesundheitsschädlich – tat bereits seine Wirkung.
Der Mann wurde von einem jähen Schlafbedürfnis erfaßt, lallte einige leider unverständliche Worte und machte es sich dann auf der Felldecke der Lagerstatt bequem.
Die strenge Gouvernante brauchte einige Zeit, bis ihr das sprichwörtliche Licht aufging.
Dann allerdings wurde sie jähzornig und wollte den Butler mit ihrer Reitpeitsche attackieren. Ihr Gesicht war wutverzerrt, als sie die Gerte hochriß.
Parker hob warnend den Zeigefinger.
„Tun Sie es besser nicht, meine Dame“, sagte er höflich. „Ich sehe mich sonst gezwungen, ein wenig das zu tun, was man aus der Rolle fallen nennt.“
Sie pfiff auf seine Warnung. Natürlich nicht laut, sondern mehr innerlich. Sie schlug auf den Butler ein, der die Schläge allerdings leicht mit seinem Regenschirm abblockte. Daß die Frau nicht in besonders guter Form war, zeigte sich bereits nach einer Minute. Nachdem sie erkannt hatte,