Neuland unter den Sandalen. Christoph Müller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Müller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783702232764
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wich sie keinen Zentimeter mehr von meiner Seite und folgte mir überallhin.

      Als für die Weiterreise alles bereitstand, lockte ich meine kleine Freundin hinter eine Baracke und gab ihr dort ein Stück glitzernde Alufolie. Das lenkte sie für einen kurzen Moment ab. Schnell rannte ich zum Rad und machte mich aus dem Staub. Ich ließ ein leicht frustriertes Elsterchen zurück.

      Schon näherte ich mich Le Puy, einer der bedeutenden Etappen am Jakobsweg. Ich besuchte die Basilika, die hoch über der Stadt thront, und war überrascht, da oben eine Quelle mit Trinkwasser zu finden. Als verwöhnter Schweizer musste ich lernen, dass es in vielen Gegenden Frankreichs kaum Brunnen gibt. Die Suche nach dem lebensnotwendigen Nass wurde zu einer der Hauptsorgen auf dem Weg, besonders bei meiner Fahrt durch das französische Zentralmassiv, wo man selbst in größeren Ortschaften vergeblich nach Wasser sucht.

      Bald nach Le Puy folgte eine böse Überraschung. Meine Landstraße mutierte unversehens zu einer Schnellstraße. Das Radfahrverbot war unübersehbar, aber niemand hatte an uns Radfahrer gedacht. So fuhr ich einfach weiter, als ob nichts wäre.

      Aber nach 20 Kilometern war endgültig Schluss. Die Schnellstraße mündete nämlich in eine mehrspurige Autobahn. Nur mit größter Mühe hob ich mein schwer beladenes Rad über die Leitplanken. Nach Überquerung einer hässlichen Baustelle kam ich auf einen kleinen Feldweg. Der Sonne nach zu schließen führte er nach Westen, und so vertraute ich mich ihm blind an.

      Doch schon bald wurde ich missmutig. Es war heiß und staubig, und ich hatte viel Zeit verloren. Am liebsten hätte ich mich flach auf den Boden gelegt, die Augen geschlossen und alles vergessen!

      Da bog der Weg in eine Straße ein, und nach kurzer Zeit fuhr das Rad wieder wie von selber. Es ging unaufhaltsam bergab, die Abfahrt wollte und wollte nicht enden. Ich wähnte mich schon bald unter dem Meeresspiegel.

      Aber es kam keine rechte Freude auf. Eine dunkle Ahnung sagte mir, dass es auf der anderen Talseite ebenso unaufhörlich wieder bergauf gehen könnte. Und so war es auch. Nur mit größter Mühe schaffte ich den Aufstieg. Mein ursprünglicher Plan, auch den Rückweg der Pilgerreise mit dem Rad zurückzulegen, bekam einen ersten Dämpfer. Und es sollten noch weitere folgen! Für den Moment stand fest: Das werde ich mir, koste es, was es wolle, kein zweites Mal antun.

      Bei Sonnenuntergang erreichte ich eine verträumte Kleinstadt. Ich war am Ende meiner Kräfte. Nichts wies auf einen Zeltplatz hin. Doch ein Hotel kam für meinen Geldbeutel nicht in Frage. In meinem verschwitzten und armseligen Outfit hätte man mich wohl auch gar nicht aufgenommen.

      Da kam ein guter Engel in Gestalt einer alten Frau auf mich zu. Sie wies mich auf eine versteckte Campingmöglichkeit hin, gleich um die Ecke. Was für ein Paradies erwartete mich da! Der von einem kleinen Fluss umspülte Platz war genau das, was ich jetzt brauchte. Schnell stieg ich ins kühle Nass. Hier konnte ich den Schweiß und die Sorgen, aber auch die Freude und die Dankbarkeit dem träge dahinströmenden Wasser anvertrauen.

      An diesem Punkt der Reise wurde mir klar: Die Heimat lag nun endgültig hinter mir. Es gab keine Absicherung mehr, kein Zurück. Es blieb nur der Blick vorwärts, nach Westen, Tag für Tag, ohne recht zu wissen, was jeder dieser Tage mit sich bringen würde. Was ich in meinem Heimatkloster Einsiedeln jahrelang, oft gedankenlos, beim nächtlichen Gebet gesungen hatte, hier nun klang es echt und überzeugt: „Herr, auf dich vertraue ich. In deine Hände lege ich mein Leben.“

       FLUCHPSALMEN UND KULINARISCHE KÖSTLICHKEITEN

      10. Juli

      War das eine gute Nacht! Erst die morgendlichen Sonnenstrahlen, die die Luft im Innern des Zeltes spürbar erwärmten, weckten mich auf. Ich hatte es aber keineswegs eilig. Alles tat ein bisschen weh, die Muskeln, die Knochen, die Hände, vor allem das Hinterteil. Als das Zelt endlich eingepackt war, ging es schon auf zehn Uhr zu.

      Ich schwang mich auf mein Rad. Da ich in den Niederungen eines kleinen Flusstales gezeltet hatte, begann der Tag wieder mit einem Aufstieg. Nach nur zwei Kilometern lud eine kleine Kapelle zum Verweilen ein. Das ist eine willkommene Gelegenheit, um ein Morgengebet zu verrichten, sagte ich mir.

      Es war aber eher Faulheit als Frömmigkeit, die mich da eintreten ließ. Beten konnte ich ja auch auf dem Fahrrad. Durch mein dreißigjähriges Klosterleben kannte ich manche der Psalmen auswendig.

      Wenn mir aber gar nichts in den Sinn kommen wollte, dann dachte ich zurück an jenen russischen Bauern, dessen Wagen auf der Rückkehr vom Markt ein Rad verlor. Dem Armen blieb nichts anderes übrig, als im Wald zu übernachten. Nach seiner Gewohnheit legte er sich aber nie zur Ruhe, ohne seine Gebete zu verrichten. Doch hatte er diesmal kein Gebetbuch bei sich. Und auswendig konnte er kein einziges! Da sprach er zu sich selbst: „Was ich kann, ist nur das Alphabet. Also werde ich dieses dreimal nacheinander aufsagen. Und der Liebe Gott, der alles vermag, wird sich aus den Buchstaben schon selber ein Gebet formen!“ – Wahrlich, Gott hörte das, heißt es in der Geschichte, und er sprach zu seinen Engeln: „Heute ist kein schöneres Gebet in den Himmel gedrungen als das Gebet dieses einfachen Bauern.“ Ungefähr so gestaltete ich meine Andacht in der Kapelle. Aber bald darauf hieß es wieder aufbrechen.

      Nach etwa einer Stunde Steigung war eine größere Umleitung signalisiert, und zwar dermaßen schlecht, dass ich über viele Kilometer in die falsche Richtung fuhr und wertvolle Zeit verlor. Nur mein geistlicher Stand verbot es mir, meinem Ärger über diese Schlamperei durch lautes Fluchen Luft zu verschaffen. Fluchpsalmen (solche gibt es) wären jetzt genau das Richtige gewesen, aber die hatte ich nicht auf Lager, da wir sie in Einsiedeln leider überspringen.

      Da ich kein rechtes Frühstück eingenommen hatte, war mein Hunger groß. Endlich erreichte ich auf 1180 Meter Höhe ein Dorf mit dem originellen Namen „Nasbinals“. Ich beschloss, was sonst eher selten der Fall war, in ein Restaurant einzukehren, um wieder einmal richtig zu essen. Es gab ein Nasbinalser Menü zu zwölf Euro, alles inbegriffen: Es war wie im Schlaraffenland. Zuerst brachte man mir zu meinem Erstaunen einen ganzen Liter Wein, dazu frisches Brot. Es folgte Kartoffelsalat mit Tomaten, dann eine äußerst delikate, sehr heiße Lauchspezialität. Abgelöst wurde sie durch ein Hähnchen, das auf einem feinen Risottobett lag. Schließlich ruhten meine Augen auf einer großen Platte mit verschiedenen Käsesorten, von denen ich nach Belieben abschneiden konnte. Gekrönt wurde das Essen schließlich von drei großen Eiskugeln.

      In einem günstigen Moment, da ich mich unbeobachtet fühlte, goss ich den Rest des Weines heimlich in eine Plastikflasche und packte auch die Brotreste mit ein. Es nahte der Sonntag. Ich wusste nicht, ob ich mich morgen einer zum Gottesdienst versammelten Gemeinde würde anschließen können. Vielleicht musste ich in dieser kargen Einöde alleine Gottesdienst feiern?

      Mehr als satt und leicht beduselt verließ ich das Lokal. Der Wirt murmelte noch irgendetwas von einer letzten Passhöhe, die es zu überwinden galt. Aber ich hatte zu viel Wein getrunken und schaffte es nicht mehr hinauf. Tapfer kämpfte ich mich noch ein Stück weit Richtung Pass hinauf, aber dann überfiel mich eine solche Müdigkeit, dass ich eine Siesta einlegen musste. Ich fiel in einen tiefen Schlaf. Die schweren Brummer, die an mir vorüberdonnerten, vermochten mich nicht zu wecken.

      Und doch wurde ich bald um den Schlaf gebracht: Eine Ameise fand den Weg in mein Hemd und rief all ihre Kolleginnen herbei. Da half nur schleunigste Flucht. Bei späteren Nickerchen habe ich den Siestaplatz immer sehr sorgfältig nach diesen hartnäckigen Tierchen abgesucht.

      Nur mit Mühe schaffte ich den Aufstieg zum Pass. Nun war das Zentralmassiv endgültig überwunden. Vor mir lag die vom Wirt angekündigte, endlose Abfahrt. Der frische Wind und das Wissen, dass es keine weiteren Anstiege mehr gab, machten mich restlos glücklich.

      Doch je näher die Ebene kam, umso häufiger schlugen mir ganze Wellen von heißen Luftschichten entgegen. Um 16.00 Uhr unten angekommen, konnte ich, als ich vom Fahrrad stieg, kaum mehr atmen. Es war eine Atmosphäre wie in einer Gießerei. Die Hitze hielt alles im Griff. Sie brachte alles Leben zum Stillstand. Nicht einmal der Schatten bot Linderung. Rasch floh ich in einen Laden, wo ich mir ein Eis kaufte, dessen Inhalt sich an einen kleinen Holzstecken zu klammern versuchte. Doch kaum war ich