Großer Herren Häuser. Georg Hamann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Hamann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783903083721
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kaiserlichen Hof auch in Schönbrunn, Kaiserebersdorf und Laxenburg eingesetzt, und die Namen seiner übrigen Auftraggeber lesen sich wie ein »Who is Who« der österreichischen Hocharistokratie.

      Oedtl sah sich bald nach der Grundsteinlegung für die Hof- und Staatskanzlei im September 1717 mit einem großen Problem konfrontiert: Es gab kein Geld. Zwar war geplant, den Bau durch eine eben erst eingeführte Rindfleischsteuer zu finanzieren (»auf jedes bey allhiesiger Stadt Wienn und in denen Vorstätten … aushackenden Pfund Rindfleisch«), doch musste Kaiser Karl zur gleichen Zeit auch seinen Beamten eine Gehaltserhöhung zugestehen, weshalb die Mittel gefährlich knapp wurden. Die Handwerker und Maurer begannen bald schon zu murren, sie mussten »täglich um ihre Bezahlung laufen, bitten und schreien«. Erst nachdem man sich bei den niederösterreichischen Ständen neues Geld bewilligen ließ, konnte der Bau 1721 fertiggestellt werden.

      Der erste Kanzler, der in das neue Gebäude einzog, war Philipp Ludwig Graf Sinzendorf, ein verdienstvoller Beamter und Diplomat, dem allerdings nachgesagt wurde, in erster Linie »stets seines Vortheils eingedenk« zu sein und es mit jenen zu halten, »von denen er irgend einen Gewinn sich versprechen konnte« (so heißt es jedenfalls in Wurzbachs Biographischem Lexikon des Kaiserthums Oesterreich).

      Die außenpolitischen Belange führte unter ihm der ehrgeizige, fleißige und fähige Staatssekretär Johann Christoph Bartenstein, Sohn eines bürgerlichen und wohlgemerkt evangelischen Professors aus Straßburg. Erst mit seinem Übertritt zur katholischen Konfession begann seine Karriere in Wien, die dann aber sehr erfolgreich verlief: 1719 wurde er in den Ritterstand erhoben, 1732 in den Freiherrenstand. Bartenstein war damals unbestritten der eigentlich verantwortliche Kopf der österreichischen Außenpolitik und wurde von Maria Theresia wegen seiner Verlässlichkeit und seines Arbeitseifers sehr geschätzt: »Ohne Seiner wäre alles zu Grund gegangen«, schrieb sie einmal.

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      Die unter Karl VI. errichtete Hof- und Staatskanzlei (heute Bundeskanzleramt). Rechts das nicht mehr existierende Haus des Freiherrn Scalvinioni, das einen großen Teil des Ballhausplatzes einnahm

      Kurz nach ihrem Regierungsantritt verfügte sie 1742 die Trennung von Hof- und Staatskanzlei. Erstere übersiedelte in das Gebäude der Böhmischen Hofkanzlei in der Wipplingerstraße, Zweitere blieb am Ballhausplatz und wurde zur selbstständigen Behörde aufgewertet. Bis ins Jahr 2005 sollte hier der Sitz des österreichischen Außenamts bestehen bleiben.

      Auch unter Sinzendorfs Nachfolger Anton Graf Ulfeld blieb Staatssekretär Bartenstein unverzichtbar, ja, er war nun sogar noch viel wichtiger als bislang, denn sein neuer Chef schien eine glatte Fehlbesetzung zu sein, man attestierte ihm bald schon »peinliche Unfähigkeit«, sein Amt zu versehen. Da er sich sonst aber nichts zuschulden kommen ließ, konnte man ihn nicht einfach entlassen, sondern musste auf einen geeigneten Moment warten, ihn »wegzuloben«. Als 1751 der ehrenvolle Posten des kaiserlichen Obersthofmeisters frei wurde, erhielt ihn Ulfeld sofort.

      Sein Nachfolger als Staatskanzler wurde aber nicht etwa der mittlerweile 64-jährige Bartenstein, sondern ein Mann, von dem Maria Theresia eine noch höhere Meinung hatte: Wenzel Anton Graf Kaunitz-Rietberg. Ein knappes halbes Jahrhundert sollte er nicht bloß die österreichische Außenpolitik leiten, sondern auch maßgeblich die gesamteuropäische Diplomatie mitbestimmen.

      Wenzel Anton Graf Kaunitz – die graue Eminenz unter Maria Theresia

      Der bayrische Aufklärer Johann Pezzl, ein glühender Verehrer Kaiser Josefs II. und ebenso kluger wie scharfzüngiger Chronist der Zustände in Wien, scheute sich für gewöhnlich nicht, Autoritäten infrage zu stellen, was ihn so manches Mal in Schwierigkeiten (namentlich mit der katholischen Kirche) brachte. Wenn es aber um Staatskanzler Kaunitz ging, geriet er regelrecht ins Schwärmen: »Ich beneide denjenigen, welchem einst das Los wird, Kaunitz’ Biograph zu sein. Es stärkt Geist und Herz und macht einen stolz auf seine Menschenwürde, wenn man, ohne den Verdacht von Schmeichelei zu erregen, einen Mann zu schildern bekommt, dessen ganzes Leben eine fortlaufende Kette von Zügen der Rechtschaffenheit, Großmut, Wohltätigkeit und erleuchteter Denkart ist.« Weiter schrieb er: »In der Tat ist Kaunitz einzig in seiner Art: eine solche Geradheit, so viel Uneigennützigkeit, jene edle und große Art, die aus allen seinen Handlungen hervorstrahlt, hat man noch bei wenigen Ministern gefunden.«

      Pezzl, der seit 1785 als gut bezahlter Bibliothekar, Sekretär und Vorleser in Diensten des greisen Kaunitz stand, hatte dessen positive Charaktereigenschaften vielleicht bloß besser kennengelernt als andere, denkbar ist aber auch, dass er die Persönlichkeit seines Chefs möglichst wohlwollend beschreiben wollte. Gar so perfekt kann der legendäre Kaunitz jedenfalls nicht gewesen sein. Seine großartigen Leistungen als Diplomat und Politiker sollen durch den Hinweis auf seine komplizierte Natur jedoch nicht geschmälert werden: Er galt als Hypochonder, klagte ständig über echte oder eingebildete Krankheiten und litt unter der geradezu pathologischen Angst vor Ansteckung, Siechtum und Tod (strikt weigerte er sich etwa, den sterbenden Kaiser Josef ein letztes Mal zu besuchen). Auch dass Kaunitz gerne über sein angeblich schwaches Gedächtnis klagte, kann nicht mehr als Koketterie gewesen sein, denn einen brillanteren Kopf als den seinen kann man sich schwerlich vorstellen. Zudem dürfte er eitel und selbstverliebt gewesen sein, schrieb ein englischer Diplomat doch: »Er spricht gut und mit großer Ausdrucksgewalt, so gut, daß ich ihn in Verdacht habe, er liebe es, sich selbst sprechen zu hören.«

      Als Minister in den Österreichischen Niederlanden und als Botschafter in Paris hatte der studierte Jurist Kaunitz seine Karriere begonnen. Gerade die Beziehung zu Frankreich war damals, gegen Mitte des 18. Jahrhunderts, von entscheidender Bedeutung für Österreichs Zukunft – und Kaunitz sollte bald dafür sorgen, dass es diesbezüglich zu einer regelrechten diplomatischen Revolution kam, zum sogenannten renversement des alliances, also zum radikalen Wechsel der bislang bestehenden militärischen Allianzen.

      Wenn man damals nämlich von einer scheinbar schicksalsgegebenen Konstante innerhalb der europäischen Mächteverhältnisse sprechen konnte, so war es die bittere Feindschaft zwischen den Häusern Habsburg und Bourbon. Ohne jegliche Bedenken hatten die Franzosen bislang noch jeden Gegner Österreichs militärisch und finanziell unterstützt, um eigene Interessen durchsetzen zu können: die Ungarn, die Schweden und die Türken. Auch an direkt ausgetragenen militärischen Konflikten mangelte es nicht, man denke nur an den Pfälzischen, den Spanischen, den Polnischen und den Österreichischen Erbfolgekrieg.

      Die Österreicher waren traditionell mit den Engländern verbündet, die Franzosen hingegen mit Preußen, dem zweiten Feind Habsburgs, der immer selbstbewusster und aggressiver auftrat.

      Nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg (1740–48), in dem die junge Maria Theresia Schlesien an den preußischen König Friedrich II. verloren geben musste, stand die Wiedergewinnung dieser reichen Provinz im Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Doch in London maß man dieser Frage keineswegs jene Bedeutung zu, die sie für Wien hatte, vielmehr war man dort am Ausbau der eigenen überseeischen Kolonien interessiert als am Streit zweier Rivalen innerhalb des Heiligen Römischen Reiches. Österreich fühlte sich nicht ausreichend vom englischen Partner unterstützt, man war von dessen mangelndem Engagement enttäuscht. Zwischen den Verbündeten kühlte die Freundschaft merklich ab.

      Überhaupt hatte der 1748 geschlossene Frieden von Aachen viele Unzufriedene hinterlassen. Alle Beteiligten fühlten sich übervorteilt, selbst der Preußenkönig Friedrich war nervös, lag er doch mit seinen Nachbarn weiterhin im Streit und fürchtete um den Verlust des eben erst gewonnenen Schlesiens. Seinen französischen Verbündeten fiel er bald als argwöhnischer und reizbarer Partner lästig. Kurz: Jede der Parteien, so schreibt der französische Historiker Pierre Gaxotte, »fühlte dumpf, dass das altüberkommene Koalitionssystem des siebzehnten Jahrhunderts den tatsächlichen Bedingungen des europäischen Gleichgewichts nicht mehr entsprach«.

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      Wenzel Anton Fürst Kaunitz, der legendäre Staatskanzler unter Maria Theresia