Großer Herren Häuser. Georg Hamann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Hamann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783903083721
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Franzosen eingehen? Könnte Frankreich – als kontinentale Macht und als direkter Nachbar des Heiligen Römischen Reiches – nicht viel eher geeignet sein, an Österreichs Seite den preußischen König in die Schranken zu weisen? War die gemeinsame katholische Konfession der Österreicher und der Franzosen nicht ohnehin ein kräftiges, verbindendes Element gegenüber protestantischen Engländern und Preußen, also »ungläubigen Emporkömmlingen« (wie Stefan Zweig in seiner Biografie Marie Antoinettes schrieb)?

      Kaunitz propagierte seine Überlegungen sowohl bei Maria Theresia in Wien als auch als Botschafter in Versailles. Freilich dauerte es (immerhin nach Jahrhunderte währender Feindschaft und so kurz nach dem letzten Krieg) eine gewisse Zeit, bis sein Plan von beiden Seiten angenommen wurde, aber durch Madame de Pompadour, die einflussreiche Mätresse König Ludwigs XV., fand er am französischen Hof Gehör. Er muss dort mit großer Eloquenz beeindruckt haben, mit Charme, Witz und geschmeidigem Agieren. Die Pompadour setzte sich jedenfalls hingebungsvoll für ihn und seine neue Strategie ein.

      Im Jahr 1752 bot Maria Theresia, die an Kaunitz’ spektakulärem außenpolitischen Konzept ebenfalls Gefallen fand, ihm den Posten des Staatskanzlers an. Kaunitz sagte zu, wenngleich er auch – wegen seiner angeblich so schwachen Gesundheit – nur kurze Zeit in dieser Stellung zu bleiben gedachte. Sehr selbstbewusst stellte er darüber hinaus die Bedingung, diese nur dann zu übernehmen, wenn ihm freie Hand bei der sofortigen Neuorganisation der Staatskanzlei zugestanden würde.

      An Maria Theresias 36. Geburtstag, dem 13. Mai 1753, wurde Graf Kaunitz offiziell zum österreichischen Staatskanzler ernannt. An seiner neuen Arbeitsstätte, dem Palais am Ballhausplatz, suchte er sich übrigens das finsterste Zimmer als Büro aus, denn grelles Sonnenlicht konnte er partout nicht vertragen.

      Dass unter Kaunitz’ Leitung ein frischer Wind wehte, fiel ausländischen Diplomaten sehr bald auf. Ihn umgab ein persönlich ausgewählter Stab an loyalen, gut geschulten Mitarbeitern, denen keine vertraulichen Informationen mehr zu entlocken waren. Der preußische Staatskanzler Kupferberg schrieb sichtlich enttäuscht: »Unter Uhlfeld und Bartenstein war es leichter, die Geheimnisse zu erfahren. Auch hatte man andere Wege, zum Ziele zu kommen«, Kaunitz sei »nicht allein unbestechlich und viel zu umsichtig, sich zu verraten; auch seine Subalternen sind beinahe unzugänglich«.

      Die Staatskanzlei gewann unter Kaunitz’ Leitung stetig an Bedeutung, denn immer mehr Agenden gliederte er seiner Behörde ein: Die Angelegenheiten der Österreichischen Niederlande und der Lombardei und auch die Beziehungen zum Osmanischen Reich fielen nun in seinen Aufgabenbereich (und nicht mehr in jenen des Hofkriegsrates). Sein Einfluss war unübersehbar. So berichtete ein britischer Diplomat: »Zweifellos ist Kaunitz jene Persönlichkeit in Wien, die das meiste Ansehen und Vertrauen genießt. In gleich hohem Maß erfreut er sich der Gnade und der Gunst des Kaisers und der Kaiserin.«

      Am 1. Mai 1756 war es schließlich so weit. Nach jahrelangem Drängen, Schmeicheln und Drohen konnte der Bündnisvertrag von Versailles unterzeichnet werden, der die Freundschaft zwischen Frankreich und Österreich besiegelte (die Preußen hatten sich mittlerweile ihrerseits mit den Engländern verbündet). Der noch im selben Jahr ausbrechende Siebenjährige Krieg wurde zur Bewährungsprobe der neuen Allianz, und zu deren endgültiger Festigung wurden bald mehrere Heiraten zwischen den Häusern Habsburg und Bourbon organisiert, darunter die Erzherzog Josefs (des baldigen Kaisers Josef II.) mit der Enkelin des französischen Königs, Isabella von Bourbon-Parma, sowie jene Erzherzogin Maria Antonias (Marie Antoinettes) mit dem französischen Thronfolger (dem späteren König Ludwig XVI.).

      Zwar konnte der grauenhafte, verlustreiche Siebenjährige Krieg nicht gewonnen werden, doch er wurde auch nicht verloren (siehe Seite 144f.); mit den Leistungen ihres Staatskanzlers war Maria Theresia jedenfalls höchst zufrieden. In einem persönlichen Brief schreib sie ihm: »Europa muß Ihnen die Gerechtigkeit erzeigen, daß ich den größten Staatsmann besitze.«

      Kaunitz wurde 1764 in den Reichsfürstenstand erhoben und blieb auch unter Kaiser Josef II. ein unentbehrlicher Mitarbeiter. Der Monarch und sein Staatskanzler vertraten ähnliche Überzeugungen in wichtigen Fragen der Außenpolitik, der Kirchenpolitik und bei der Beschneidung bislang unhinterfragter adeliger Privilegien. Doch als Josef nach dem Tod seiner Mutter begann, hastig eine Reform nach der anderen voranzutreiben, schien der alternde Kaunitz zunehmend beunruhigt. Manches Mal sorgten die unterschiedlichen Temperamente der zwei Männer für Konflikte, und Josefs Tod stellte letztlich eine Erleichterung für Kaunitz dar.

      Josefs Bruder Leopold hatte bereits 1778 in seiner Charakterisierung der hohen österreichischen Diplomaten, Beamten und Militärs geschrieben: »Kanzler ist der Fürst Kaunitz, ein Mann von großem Talent, Geist und Fähigkeit, Anhänglichkeit, und der die Dinge im Großen sieht, aber ein altgewordener Faulpelz, der seine Bequemlichkeit sehr liebt und fast nicht mehr arbeiten will …« Weiter hieß es: »… vor allem der Kaiser macht sich öffentlich über ihn lustig. Er ist nicht mehr fähig, seinen Dienst zu verrichten.« Leopold wurde 1790 selbst Kaiser. Kaunitz’ große Zeit war nun endgültig vorbei, denn das Verhältnis zwischen den beiden war spannungsreich.

      Als Kaunitz im Alter von 81 Jahren seinen Abschied nahm, hatte sich die Welt um ihn grundlegend verändert: Die Bourbonen, mit denen er einst das spektakuläre Bündnis zustande gebracht hatte, waren von der Französischen Revolution hinweggefegt worden, die »Kabinettskriege« früherer Zeiten wurden abgelöst durch die Koalitionskriege. Eine komplette Neuordnung der europäischen Machtverhältnisse durch Napoleon Bonaparte sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen.

      Kaunitz zeigte zwar weiterhin am politischen Geschehen reges Interesse, beobachtete und kommentierte die Entwicklungen, doch wurde er längst als schrulliger alter Herr belächelt. 1794 starb er im Alter von 83 Jahren in seinem (nicht mehr bestehenden) Gartenpalais in der heutigen Amerlingstraße im 6. Bezirk. Sein offizielles Amts- und Wohnpalais, die Staatskanzlei, war mittlerweile durch Nikolaus Pacassi umgebaut und erweitert worden, auch stand das erwähnte Haus des Freiherrn Scalvinioni nicht mehr – der offene Ballhaus-»Platz« war somit entstanden.

      Im mährischen Austerlitz (tschech. Slavkov) bei Brünn, neben dem prachtvollen Schloss, das Domenico Martinelli einst seinem Großvater errichtet hatte, wurde Fürst Kaunitz in der Familiengruft begraben. Doch es ist nicht der ehemalige Staatskanzler, an den man heute zuerst denkt, wenn man »Austerlitz« hört. Elf Jahre nach seinem Tod, im Dezember 1805, kam es nämlich nur wenige Kilometer vom Schloss entfernt zu jener weltberühmten »Drei-Kaiser-Schlacht«, in der Napoleons Armee über die miteinander verbündeten Österreicher und Russen triumphierte.

      Die Ära Metternich – der »Kutscher Europas«

      Hatte Kaunitz rund vier Jahrzehnte hindurch sein Amt ausgeübt, so wechselten seine Nachfolger einander in rascher Folge ab. An der Spitze der österreichischen Außenpolitik herrschten Unsicherheit und Überforderung, denn man fand in Wien einfach kein probates Mittel gegen Frankreich – nicht gegen die revolutionäre Republik und schon gar nicht gegen Napoleon.

      Selbst das Jahr 1809, das mit dem Tiroler Volksaufstand und der siegreichen Schlacht bei Aspern vielversprechende Erfolge mit sich gebracht hatte, endete letztlich in einer Katastrophe: Wien wurde zum zweiten Mal durch die französischen Truppen besetzt und Napoleon diktierte den demütigenden Friedensvertrag von Schönbrunn. Österreich verlor mit einem Federstrich ein Siebentel seines Territoriums (rund 100 000 Quadratkilometer) und weit über drei Millionen Untertanen.

      Der damalige Staatskanzler Johann Philipp Graf Stadion wurde von Kaiser Franz entlassen und ein 36-jähriger Diplomat erhielt die Leitung der Außenpolitik, ein Mann, der zuvor als Gesandter in Dresden und Berlin und zuletzt als Botschafter in Paris tätig gewesen war: Clemens Wenzel Graf (ab 1818 Fürst) Metternich-Winneburg.

      Er stammte aus altem rheinländischen Adel, doch seine Familie hatte durch das Vordringen der französischen Armee den größten Teil ihrer dortigen Güter verloren. Metternich folgte seinem Vater, der als Diplomat bereits lange in Diensten der Habsburger gestanden war, nach Wien.

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