Guter Gott, ist Fee ganz und gar verrückt, schoss es Daniel durch den Sinn. Wie kann sie nur dieses Spiel so weit treiben?
Doch Fee schien die richtige Intuition gehabt zu haben.
»Bob wollte mich dorthin bringen?«, fragte Christina mehr sich selbst, aber ihre Stimme hatte viel mehr Klang als zuvor. »Er hat mir gesagt, dass das Ziel unserer Hochzeitsreise eine Überraschung für mich sein solle. Die Insel der Hoffnung!« Sie machte eine kleine Pause. »Warum hast du mich nicht dorthin gebracht, Björn?«, fragte sie aggressiv.
»Ich dachte nicht an die Insel«, erwiderte er tonlos und mit erstarrtem Gesicht.
»Du wolltest nur, dass ich Bob vergesse«, sagte Christina erregt. »Du wolltest, dass ich alles vergesse.« Ein zitternder Seufzer folgte. »Dabei muss ich mich doch erst wiederfinden. Ich erinnere mich doch nur an Bob, nur an Bob.«
Sie schluchzte laut auf und lief dann schnell aus dem Zimmer.
»Es war ein bisschen viel, Fee«, sagte Daniel mit sanftem Vorwurf.
»Die einzige Möglichkeit, sie aufzurütteln«, erklärte Fee darauf.
»Ich bewundere Sie, gnädige Frau«, sagte Björn.
»Wollen wir der Einfachheit halber doch nicht so formell sein«, meinte Fee. »Es ist auch besser, wenn Christina uns für gute Freunde hält. Sie müssen uns sehr viel von Ihrem Bruder erzählen, damit die Lüge glaubwürdig wird.«
»Wie bist du nur darauf gekommen, Fee?«, fragte Daniel, der sich von seiner Verblüffung allmählich erholte.
»Weiß ich selbst nicht. Es war eine Eingebung. Ich denke jetzt, dass eine Frau sie besser versteht als ein Mann. Wo ist ihr Zimmer?«
»Himmel, riskiere nicht zu viel«, sagte Daniel warnend.
»Es war das erste Mal, dass Christina wie ein lebendiges Wesen reagierte«, erklärte Björn. »Schlimmer, noch schlimmer kann es doch gar nicht mehr werden. Ich vertraue Ihrer Frau, Daniel Norden. So, wie meine Mutter Ihrem Vater vertraute.«
»Dann kapituliere ich«, sagte Daniel.
*
Fee stand vor der Zimmertür, zu der Björn sie geführt hatte. Sie vernahm ein erschütterndes Schluchzen, das ihr sehr zu Herzen ging. Aber jetzt gab es für sie kein Zurück mehr. Sie hatte A gesagt, nun musste sie auch B sagen. Bevor sie die Klinke niederdrückte, schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel.
Das Zimmer war hell und luftig. Christina lag auf einem breiten Bett, das mit einer zartgrünen Decke bedeckt war. Zartgrün waren auch die Vorhänge, weiß und flauschig der Teppich. Es war ein bezauberndes Jungmädchenzimmer, und nun wurde es Fee erst so richtig bewusst, dass dieses schluchzende Geschöpf noch ein halbes Kind war.
Sie setzte sich auf den Bettrand und legte sanft die Hand auf den schmalen Rücken. Christina zuckte zusammen, aber sie wehrte die streichelnde Hand nicht ab.
Es dauerte lange, bis das Schluchzen verebbte, aber Fee sprach nicht auf Christina ein, sondern streichelte nur ihr Haar, das unter ihren Fingern knisterte.
»Sie haben Bob auch gerngehabt, nicht wahr?«, fragte Christina bebend.
»Dazu kannten wir uns zu wenig«, erwiderte Fee ausweichend und, wie sie hoffte, diplomatisch genug, um nicht widersprüchliche Empfindungen in Christina zu wecken.
»Man musste ihn doch gernhaben. Jeder hatte ihn gern«, flüsterte das Mädchen. »Alle haben mich beneidet. Ich wollte glücklich mit ihm sein.«
Fee horchte auf. Sie wollte glücklich mit ihm sein – eine eigenartige Formulierung. Hätte Christina nicht eigentlich sagen müssen: ›Ich war mit ihm glücklich?‹
»Wir können über Bob sprechen, Christina«, sagte sie behutsam.
»Ich möchte zu der Insel der Hoffnung. Das ist mein einziger Wunsch, aber Björn wird es verhindern. Er will nicht, dass ich an Bob denke.«
Fee sah Christina an und schüttelte leicht den Kopf.
»Er meint es gut mit Ihnen und wird Ihnen diesen Wunsch bestimmt erfüllen«, sagte Fee.
»Er hasst Bob«, schluchzte Christina erneut auf. »Ich fühle es doch. Er ist sein Bruder, aber er hasst ihn.«
Und wenn das stimmt, dann hasst er ihn, weil er dieses Kind aus seinem Leben gestrichen hat, ging es Fee durch den Sinn. Das konnte bedeuten, dass er sich nicht nur verantwortlich für Christina fühlte, sondern dass er sie liebte!
Guter Gott, wohin verirrten sich ihre Gedanken? Ihre Phantasie ging wieder einmal mit ihr durch … Es konnte auch ganz andere Gründe haben, dass Björn Reuwen seinen Bruder hasste, wenn Christinas Vermutung überhaupt Bedeutung beizumessen war.
Aber jetzt lebte dieses Mädchen. Es war keine Marionette mehr, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein Mensch, der etwas wünschte.
»Wir werden Sie zur Insel der Hoffnung bringen, Christina«, sagte Fee.
»Gegen Björns Willen?«, fragte das Mädchen.
»Er wird nicht widersprechen.«
Christina wandte ihr nun das Gesicht zu und blickte sie aus tränenvollen Augen an. »Sie kennen Björn nicht«, sagte sie leise. »Er hat Bob nie gemocht. Und Bob hat es gewusst!«
»Wir werden sehen, was Björn sagt«, erklärte Fee ruhig. »Sollte er widersprechen, werden wir Sie auch gegen seinen Willen auf die Insel bringen. Das verspreche ich Ihnen, Christina.«
Sie konnte sicher sein, dass Björn Reuwen nicht widersprechen würde. Er war es ja, der Christina dorthin bringen wollte. Es war sein Ziel gewesen. Deshalb war er zu Daniel gekommen. Björn hatte nur gefürchtet, dass Christina nicht einverstanden sein würde.
Zwei Menschen wohnten unter einem Dach, die aneinander vorbeilebten. Oder lebte Christina nur an Björn vorbei, weil sie ihn als Bobs Feind betrachtete?
Gewaltsam schob Fee ihre Grübeleien beiseite.
»So, jetzt werden die Tränen getrocknet«, sagte sie sehr bestimmt. »Dann gehen wir hinunter und sagen es Björn, dass Sie zur Insel der Hoffnung wollen. Wir können morgen früh fahren.«
Christina richtete sich auf. Lange sah sie Fee an, ohne etwas zu sagen.
»Sie bekommen ein Baby«, flüsterte sie schließlich. »Warum bekomme ich keines? Wenn man heiratet, bekommt man doch auch ein Kind. Wenn ich doch wenigstens ein Kind hätte!«
Armes kleines Mädchen, dachte Fee, nichts, aber auch gar nichts hast du gewusst, als du als Braut an der Seite deines Vaters zur Kirche fuhrst, alles war nur ein Traum. Nein, kein Traum, ein Trauma war es. Es war höchste Zeit, dass Christina sich ihres wirklichen Lebens bewusst wurde.
*
Mit schweren Schritten ging Björn indessen im Zimmer auf und ab.
»Es dauert lange, entsetzlich lange«, murmelte er. Dann blieb er stehen und lauschte. Er vernahm Schritte und sah Daniel mit unsicherem Blick an.
»Sie kommen beide«, sagte Daniel. »Nehmen Sie sich jetzt zusammen, Björn.«
Sie hatten ein langes gutes Gespräch miteinander geführt. So manches hatte Daniel über Bob und auch über Björn Reuwens ganz persönliche Einstellung erfahren. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass dieser Mann genauso Hilfe brauchte wie Christina, für die er sie erbeten hatte.
Fee und Christina kamen zur Tür herein. Fee hatte den Arm um das Mädchen gelegt.
»Ich habe Ihnen etwas zu sagen, Björn«, erklärte Fee, die sich diese Einleitung schon überlegt hatte, während Christina ihr Gesicht kühlte. »Christina möchte so bald wie möglich zur Insel der Hoffnung. Ich habe vorgeschlagen, dass wir sie morgen dorthin bringen könnten.«
Starr war Christinas