Seine Schriften zur Wissenschaftslehre. Max Weber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Weber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9783849612269
Скачать книгу
nicht erfaßten Tuns herausheben. Das »Schöpferische« desselben liegt lediglich darin, daß für unsere »Auffassung« der geschichtlichen Wirklichkeit der kausale Ablauf des Geschehens einen nach Art und Maß wechselnden Sinn empfängt: – m. a. W. das Eingreifen jener Wertungen, an denen unser geschichtliches Interesse verankert ist, läßt aus der Unendlichkeit der an sich historisch sinnlosen und gleichgültigen ursächlichen Komponenten das eine Mal gleichgültige Ergebnisse, das andere Mal aber eine bedeutungsvolle, d.h. in bestimmten Bestandteilen von jenem historischen Interesse erfaßte und gefärbte Konstellation entstehen. Im letzteren Fall sind für unsere »Auffassung« neue Wertbeziehungen gestiftet worden, die vorher fehlten, und wenn wir nun weiterhin diesen Erfolg anthropozentrisch dem »Handeln« der Menschen kausal zurechnen, dann gilt uns dasselbe in solchen Fällen als »schöpferisch«. Nicht nur aber kann, wie gesagt, rein logisch betrachtet, die gleiche Dignität auch reinen »Naturvorgängen« zukommen, – sobald nämlich von jener »objektiv« ja ganz und gar nicht selbstverständlichen anthropozentrischen Zurechnung abstrahiert wird, – und nicht nur kann dies »Schöpferische« natürlich auch – je nach dem »Standpunkt« – mit negativem, herostratischem Vorzeichen versehen sein oder einfach qualitativen Wertwandel ohne eindeutiges Vorzeichen bedeuten, – sondern vor allem ist aus all diesen Gründen selbstverständlich zwischen Sinn und Maß des »Eigenwerts« des »schöpferisch« handelnden Menschen und seines Tuns und demjenigen des ihm zugerechneten Erfolges keinerlei notwendige Beziehung vorhanden. Ein – nach seinem »Eigenwert« bemessen – für uns absolut wert- und geradezu sinnloses Handeln kann in seinem Erfolge durch die Verkettung historischer Schicksale eminent »schöpferisch« werden, und anderseits können menschliche Taten, welche, isoliert »aufgefaßt«, durch unsere »Wertgefühle« mit den grandiosesten Farben getränkt werden, in den ihnen zuzurechnenden Erfolgen in der grauen Unendlichkeit des historisch Gleichgültigen versinken und also für die Geschichte kausal bedeutungslos werden, oder – das in der Geschichte regelmäßig Wiederkehrende – in der Verkettung der historischen Schicksale ihren »Sinn« nach Art und Maß bis zur Unkenntlichkeit ändern.

      Gerade diese letzteren Fälle des historischen Bedeutungswandels pflegen unser historisches Interesse im intensivsten Maße auf sich zu ziehen, und man kann also die spezifisch historische Arbeit der Kulturwissenschaften auch hierin als äußerste Antithese aller auf Kausalgleichungen hinarbeitenden Disziplinen ansehen: Die Kausalungleichung als Wertungleichung ist für sie die entscheidende Kategorie, und lediglich diesen Sinn kann es also auch haben, wenn man von »schöpferischer Synthese« als einem dem Gebiet, sei es des individualpsychischen Geschehens, sei es der Kulturzusammenhänge, oder beider, eigentümlichen Vorgang spricht. Die Art hingegen, wie dieser Begriff von Wundt bei den verschiedensten Gelegenheiten110 verwendet wird, ist, wie ich glauben möchte, nicht haltbar und direkt irreführend, wennschon natürlich niemand diesem hervorragenden Gelehrten den Gebrauch, welchen Historiker wie Lamprecht gelegentlich von dieser Kategorie zu machen versucht haben, zur Last legen wird. – Wundts angeblich »psychologische« Theorie mag hier in gedrängter Skizze analysiert werden.

      Die »psychischen Gebilde« stehen nach Wundt111 zu den sie komponierenden »Elementen« zwar in bestimmten kausalen Beziehungen – d.h. also doch selbstverständlich: sie sind eindeutig determiniert –, aber sie besitzen zugleich »neue Eigenschaften«, die in jenen einzelnen Elementen »nicht enthalten sind«. – Es ist doch wohl zweifellos, daß dies bei allen Naturvorgängen ganz in gleichem Sinn und Maß der Fall ist, wann immer wir sie als qualitative Veränderungen auffassen. Wasser z.B. besitzt, mit bezug auf seine qualitative Eigenart betrachtet, Eigenschaften, die absolut nicht in seinen Elementen »enthalten« sind. Sobald vollends die Beziehung auf Werte erfolgt, gibt es überhaupt keinen Naturvorgang, der nicht gegenüber seinen »Elementen« spezifisch »neue« Eigenschaften enthielte. Auch die rein quantitativen Beziehungen des Sonnensystems, gegenüber den, als seine »Elemente«, isoliert betrachteten einzelnen Planeten oder gegenüber den mechanischen Kräften, die es aus einem hypothetischen Urnebel herausentwickelt haben mögen, macht durchaus in keinem Sinn eine Ausnahme davon, trotzdem doch hier eine Verkettung von rein physikalisch interessierenden Einzelvorgängen vorliegt, deren jeder also in einer Kausalgleichung ausdrückbar wäre. – Aber hören wir zunächst wieder Wundt. Ein Kristall, meint er, könne für den Naturforscher »nichts anderes« sein als »die Summe seiner Moleküle samt den ihnen eignen äußeren Wechselwirkungen«. Das gleiche gelte für eine organische Form, die für den Naturforscher, auch wenn er »das Ganze« noch nicht »kausal abzuleiten« vermöge, nur das »in den Elementen vollständig vorgebildete Produkt dieser Elemente« sei. Das entscheidende Zugeständnis, welches Wundt hier in die Feder geflossen ist, liegt in den Worten: »für den Naturforscher«, – der eben für seine Zwecke von den in der unmittelbar erlebten Wirklichkeit gegebenen Beziehungen zu abstrahieren hat. Denn für den Nationalökonomen, – um unter Außerachtlassung der feineren Zwischenglieder gleich zu ihm zu kommen, – liegt die Sache offenbar anders. Ob die »Wechselbeziehung« der chemischen Elemente eine solche ist, daß durch sie ein für die menschliche Ernährung geeigneter Getreidehalm oder etwa ein Diamant dargestellt wird, oder ob chemisch gleiche Elemente sich in irgendeiner für die Befriedigung menschlicher Nahrungs- oder Schmuckbedürfnisse indifferenten Verbindung befinden, ist für seine Betrachtung ein fundamentaler Unterschied: im ersteren Falle hat der Naturprozeß ein Objekt hervorgebracht, welches ökonomisch bewertbar ist. Würde dagegen nun eingewendet, daß es sich eben deshalb hier um das Hineinspielen »psychologischer« Momente – der mittels »psychischer Kausalität« zu interpretierenden »Wertgefühle« und »Werturteile« – handle, so wäre dieser Einwand zwar in dieser Fassung falsch formuliert, aber in dem, was er sagen möchte, natürlich durchaus richtig. Nur gilt eben für das gesamte »psychische« Geschehen genau das gleiche. »Objektiv« – d.h. hier: unter Abstraktion von allen Wertbeziehungen – betrachtet, stellt es gleichfalls ausschließlich eine Kette qualitativer Veränderungen dar, deren wir uns teils direkt in der eigenen »inneren Erfahrung«, teils indirekt, durch analoge Interpretation von Ausdrucksbewegungen »anderer«, bewußt werden. Es ist ganz und gar nicht abzusehen, warum diese Veränderungsreihen nicht absolut ohne alle Ausnahme in ganz demselben Sinn einer von »Wertungen« freien Betrachtung sollten unterworfen werden können, wie irgendeine Reihe qualitativer Veränderungen in der »toten« Natur112. Wundt freilich stellt dem Kristall und dem organischen Gebilde eine »Vorstellung« als etwas gegenüber, was »niemals bloß die Summe der Empfindungen, in die sie sich zerlegen läßt«, darstelle, und bezeichnet weiter die »intellektuellen Vorgänge«, also z.B. ein Urteil oder einen Schluß, als Gebilde, die sich niemals »als bloße Aggregate einzelner Empfindungen und Vorstellungen begreifen« lassen: denn, so fügt er hinzu, »was diesen Vorgängen erst die Bedeutung gibt, das entsteht« (in streng kausaler Determination, dürfen wir auch hier unzweifelhaft Wundts Ansicht interpretieren) »...aus den Bestandteilen, ohne daß es doch in ihnen enthalten ist«. Sicherlich: aber ist dies etwa bei der Bildung jener »Naturprodukte« anders? War etwa die »Bedeutung«, welche der Diamant oder der Getreidehalm für gewisse menschliche »Wertgefühle« besitzt, in den physikalisch-chemischen Bedingungen ihrer Entstehung in höherem Grade oder in anderem Sinne »vorgebildet«, als dies – bei strenger Durchführung der Kategorie der Kausalität auf psychischem Gebiet – bei den »Elementen« der Fall ist, aus denen sich Vorstellungen und Urteile bilden? Oder – um »historische« Vorgänge »heranzuziehen« – war die Bedeutung des schwarzen Todes für die Sozialgeschichte, oder die Bedeutung des Einbruchs des Dollart für die Geschichte der Kolonisationsbewegung usw. usw. »vorgebildet« in den Bakterien und den anderen Ursachen der Infektion, welche jenes, oder in den geologischen und meteorologischen Ursachen, welche dieses Ereignis bedingten? Es steht mit beiden absolut nicht anders als mit dem Einbruch Gustav Adolfs in Deutschland oder dem Einbruch Dschingis-Chans in Europa. Historisch bedeutsame – d.h. für uns an »Kulturwerten« verankerte – Folgen haben alle jene Vorgänge hinterlassen. Kausal determiniert waren sie, – wenn man, wie Wundt, mit der Universalherrschaft des Kausalprinzips Ernst machen will, – ebenfalls alle. Alle bewirkten »psychisches« ebenso wie »physisches« Geschehen. Daß wir ihnen aber historische »Bedeutung« beilegen, war bei keinem von ihnen aus der Art ihrer kausalen Bedingtheit abzulesen. Insbesondere folgte dies ganz und gar nicht