Aber nein, wie sich herausstellte, war sie meine Nachbarin. Zugegeben, ihre Haustür befand sich einen Kilometer die Küste rauf, aber sie war dennoch der nächste Mensch weit und breit.
»Ich bin Virginia Fraser«, sagte sie, während ich mit meinem Namen immer noch nicht herausgerückt war.
»John … äh, Black«, sagte ich, wobei ich mich zu erinnern versuchte, ob das tatsächlich der Name war, unter dem ich das Grundstück gekauft hatte. Meine Pseudonyme waren meistens Black, Stoker, Ash, und manchmal, wenn ich besonders faul war und mich nicht damit aufhalten wollte, mir was Kluges auszudenken, Cole.
»Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Black. Gibt es hier im Haus auch eine Mrs. Black?«, fragte sie mit der gesammelten Subtilität eines kürzlich entlassenen Vergewaltigers.
»Nicht mehr, leider«, log ich mit einem traurigen Kopfschütteln. Mit den Jahren hatte ich festgestellt, dass die Menschen weitaus mehr Verständnis für Witwer als für Junggesellen hatten. Als Witwer darf man nämlich ein bisschen distanziert daherkommen, aber benimmt man sich als Junggeselle so, dann wird man sofort von jedem verdächtigt, wann immer eine Katze im Viertel verschwindet.
»Das tut mir leid. Das Problem mit der Einsamkeit verstehe ich nur zu gut«, sagte sie. Es wirkte fast schon wie ein Angebot. Sie war durchaus eine attraktive Frau, Mitte fünfzig, mit flammend rotem Haar und windgeküssten Wangen, aber ich war mir nicht sicher, ob sie wirklich mein Typ war. Auf der anderen Seite war es so lange her, seit ich einen Typ gehabt hatte, dass ich mir heutzutage über gar nichts mehr sicher war, besonders wenn es um Frauen ging. Mit Vampiren, Geistern, Werwölfen und Dämonen konnte ich umgehen, aber Frauen jagten mir immer noch eine Heidenangst ein.
In dem Moment erinnerte sich Virginia offenbar an die Blumen, die sie mir mitgebracht hatte, und reichte mir einen kleinen Strauß weißer Lilien, die sie mit einem zu einer säuberlichen Schleife gebundenen Seidenband umwickelt hatte.
»Danke«, sagte ich, weil es sich wie etwas anfühlte, das ich unter diesen Umständen sagen sollte. Aber um ehrlich zu sein, habe ich nie begriffen, was der Reiz an Blumen sein soll. Sie sind schließlich nichts weiter als Fortpflanzungsorgane von Pflanzen, aber aus irgendeinem Grund lieben die Menschen es, sie abzuschneiden und sie einander zu schenken.
»Wenn Sie die Stiele noch mal anschneiden und ein bisschen Zucker ins Wasser geben, werden sie bis zu zwei Wochen halten«, erklärte sie, was ich ebenfalls für einen kranken Gedanken hielt. Falls ich mich jemals verstümmelt oder geköpft wiederfinden sollte, würde es mir gerade noch fehlen, dass der kranke Bastard, der mich geköpft hat, meinen Tod so lange wie möglich hinauszögert, nur weil ich auf dem Kaminsims so toll aussehe.
»Ich werde bestimmt ein schönes Plätzchen für sie finden«, sagte ich zu ihr, aber dieses Versprechen war Virginia offenbar nicht entschieden genug, denn sie bat sich jetzt einfach selbst ins Haus und ging direkt in meine baufällige Küche.
»Sie erlauben«, sagte sie, als sie eine Fläche freiräumte und die Blumen von dem Band befreite. Sie hatte sogar eine Vase mitgebracht, ein grässliches schwarzes, mit keltischen Symbolen verziertes Ding, das aussah, als wäre es in einem Ofen gebrannt worden und hätte dabei einen Herzanfall erlitten.
»Ich ziehe sie selbst in meinem Gewächshaus«, erzählte sie mir nun, während sie die Stiele kürzte und sie mit unendlicher Vorsicht in die schreckliche Vase stellte. »Zucker?«, fragte sie mit einem Blick zur Vorratskammer, doch ich hielt sie schnell auf, bevor sie noch weiter ins Haus vordringen konnte.
»Tut mir leid, aber ich muss da drin erst sauber machen, bevor ich dort Lebensmittel einlagere. Momentan ist da alles voller Spinnen und Nacktschnecken.«
»Oh, das tut mir leid. Ich hätte ja vor Ihrer Ankunft für Sie geputzt, aber wir haben erst gestern Nachmittag erfahren, dass das Cottage wieder einen Besitzer hat«, sagte sie, sehr zu meiner Verwirrung.
So wie es aussah, war Virginia nicht nur meine Nachbarin, sondern auch die Grundbesitzerin. Ich hatte anscheinend lediglich den Pachtbesitz gekauft. Während das Cottage mir gehörte, gehörte das Land, auf dem es stand, Virginia. Zusammen mit einem weiteren großen Gebiet des Küstenstrichs. Das sollte mir eine Lehre sein, in Zukunft unbedingt auch das Kleingedruckte zu lesen.
»Dieses Haus stand jetzt schon so lange leer, dass wir leider zugelassen haben, dass es ein bisschen verfällt«, erklärte sie, was ja wohl die Mutter aller Untertreibungen war, daher war ich beinahe versucht, sie zu fragen, ob sich nicht eher eine der RAF-Bomben hierher verirrt hatte. Stattdessen fragte ich allerdings etwas noch Dümmeres.
»Wir?«
Virginias Lippen kräuselten sich zu einem schmalen kleinen Lächeln und ich trat mir deshalb innerlich auf der Stelle in den Hintern. »Meine Schwester und ich«, meinte sie mit einem verstohlenen Zwinkern und mein Herz wurde bei dem Gedanken daran, dass demnächst zwei von der Sorte regelmäßig auf meiner Türschwelle auftauchen könnten, unendlich schwer. »Wenn Sie etwas brauchen – und ich meine, egal was – können Sie einfach jederzeit vorbeikommen«, drängte sie mich mit einer Offenheit, die sogar ihre Lilien zum Erröten bringen musste.
Sie hörte jetzt auf, die Blumen in der Vase zu drapieren, und reichte sie mir.
»So, bitte. Wo werden Sie sie denn hinstellen?«
Beim Komposthaufen draußen, war mein erster Gedanke gewesen, aber sie hatte sich so viel Mühe gegeben, dass ich glaubte, es ihr zu schulden, sie an einem etwas schöneren Platz auszustellen. Die Küche wäre zu warm, sagte mir Virginia, und das Schlafzimmer zu kalt, also ordnete sie an, sie auf das Sideboard im Flur zu stellen, das sich genau im Herzen des Hauses befand.
»Hier beleben sie das Haus doch ungemein, finden Sie nicht?«, fragte sie jetzt, ohne zu würdigen, dass das Haus bereits von allen Arten von Flora und Fauna belebt wurde. Virginia warf einen Blick auf das Ölgemälde des Cottages, das an der gegenüberliegenden Wand hing, und fasste sich dann an die Brust.
»Es ist mein absoluter Traum, dieses alte Haus wieder so zu sehen, wie es früher einmal gewesen ist«, sagte sie.
»Ich werde mein Bestes geben«, sagte ich zu ihr. »Danke fürs Vorbeikommen.« Ich hielt ihr die Haustür auf, für den Fall, dass sie jetzt von mir erwartete, dass ich den Kessel aufsetzte. Zum Glück verstand sie den Wink.
»War mir ein Vergnügen«, antwortete sie. »Es war so schön, Sie kennenzulernen, John. Als Nächstes werden Sie uns mal besuchen kommen, nicht wahr? Wir wohnen direkt die Küste runter, Milly und ich, und wir backen unheimlich gern.«
»Dann werde ich einfach meiner Nase folgen«, versprach ich ihr, was ihre Lippen sofort zum Beben brachte.
»Auf Wiedersehen und bis bald hoffentlich«, sagte sie und zwängte sich so langsam wie nur möglich an mir vorbei. Ich presste mich flach gegen die Wand, versuchte aber gleichzeitig, nicht zu fest zu drücken, damit nicht die ganze Decke über uns runterkam. Virginia nutzte das sofort voll aus, indem sie sich übertrieben an mir vorbeischob. So langsam begriff ich, warum es früher immer Lehnsfrau geheißen hatte.
»Entschuldigung«, hauchte sie, meinte es aber ganz offensichtlich kein Bisschen ernst.
Sobald sie draußen war, drehte sie sich wieder um und betrachtete mich wie eine Katze einen verwundeten Spatzen. »Ich bin mir sicher, dass Sie hier sehr glücklich werden«, sagte sie, bevor sie sich endlich losriss, um mich meinem Frühstück zu überlassen.
Mir kam plötzlich ein spontaner Gedanke, deshalb rief ich ihr hinterher, bevor sie ganz verschwunden war.
»Was bedeutet Taigh nam Marbh eigentlich?«, fragte ich und zeigte auf das rissige Holzschild, das neben der Vordertür herabhing.
»Haus der Toten«, antwortete sie und bedachte mich mit einem letzten, langen Blick, bevor sie die Küste hinauf nach Hause zu ihrer Schwester ging.
III
Das Haus der Toten hatte sich