»Ines Holbe«, murmelte Dr. Metzler, dann schüttelte der den Kopf. »Ich glaube nicht, daß es für sie noch eine Rettung gibt.«
»Wir werden kämpfen, Wolfgang – bis zuletzt«, erklärte Manon nachdrücklich, dann legte sie beide Hände auf Dr. Metzlers Schultern. »Sie sind erschöpft und mit Ihrer Kraft am Ende. Das ist nach allem, was Sie in letzter Zeit getan haben, ganz natürlich. Aber ich bin sicher – wenn Sie dieser Schwäche jetzt nachgeben und jegliche Hoffnung fahren lassen, dann werden Sie es irgendwann bereuen. Wolfgang, es kann sich doch nur noch um ein paar Tage handeln, bis diese ganze schreckliche Geschichte ausgestanden ist – so oder so. Aber in diesen Tagen sollten wir kämpfen… mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.«
Es war, als hätten diese Worte Dr. Metzler wachgerüttelt. Plötzlich fühlte er, wie ein Teil seiner ursprünglichen Kraft zurückkehrte, und damit erwachte auch seine Entschlossenheit wieder.
»Sie haben recht, Manon, wir werden kämpfen«, erklärte er, dann steuerte er das Labor an. »Kommen Sie mit, wir kümmern uns zuerst um das Baby.«
Gemeinsam werteten sie die Blutproben aus, verglichen die der Erwachsenen mit denen des Babys und stellten fest, daß doch gewisse Unterschiede vorhanden waren.
»Wenn wir den Wirkstoff mit Kochsalzlösung strecken, dann könnte er noch stark genug sein, um die Krankheit zu bekämpfen, ohne dem Baby einen Schaden zuzufügen«, meinte Dr. Metzler, dann sah er Manon an. »Was sagen Sie? Sollen wir es versuchen?«
Manon erwiderte seinen Blick. »Haben wir denn eine andere Wahl? Wenn wir abwarten, bis das Medikament aus Japan kommt, dann könnte es für den Jungen schon zu spät sein, oder wissen Sie, wie die Krankheit bei einem so kleinen Kind verläuft?«
Dr. Metzler schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Aber wenn ich mir den Krankheitsverlauf vor Augen halte, dann kann ich mir durchaus vorstellen, daß ein Säugling sehr viel schneller in einen lebensbedrohlichen Zustand gerät als ein Erwachsener.« Entschlossen stand er auf. »Wir versuchen es.«
Als sie das Zimmer betraten, lagen Valerie Doschek und ihr Baby noch immer regungslos in ihren Betten.
»Das sieht irgendwie gespenstisch aus«, flüsterte Manon.
Dr. Metzler nickte. »Es ist eine grauenhafte Krankheit. Allein die Kopfschmerzen müssen den Patienten schon halb wahnsinnig machen. Sie hören und fühlen alles, können aber weder sprechen noch sich bewegen. Und dabei tobt ein Schmerz in ihrem Kopf, der sich nicht beschreiben läßt. Allerdings sind die nachfolgenden Fieberschübe nicht viel angenehmer, und sie stellen darüber hinaus auch eine extreme Belastung für den Kreislauf dar.«
Während er gesprochen hatte, hatte er schon alles für die Infusion bei dem kleinen Tobias vorbereitet.
»Armes Würmchen«, murmelte er. »Nun hast du schon schreckliche Kopfschmerzen, und das Legen der Infusion wird dir sicher auch noch weh tun.«
Da nahm Manon den Kleinen liebevoll in die Arme. »In dieser Geborgenheit wird es für ihn vielleicht ein bißchen leichter sein.«
Dr. Metzler sah sie an, dann lächelte er. »Robert hat recht. Sie sind nicht nur eine erstklassige Ärztin, sondern auch eine äußerst warmherzige Frau.«
Ein wenig verlegen zuckte Manon die Schultern. »Ich liebe Kinder, aber leider war es mir nicht vergönnt, selbst welche zu haben.«
»Robert hat erwähnt, daß Sie sehr früh Witwe geworden sind.«
Manon nickte nur, und Dr. Metzler spürte, daß es für sie schmerzlich war, über dieses Thema zu sprechen.
»Na, dann wollen wir mal«, lenkte er daher ab und streichelte noch einmal zärtlich über das kleine Köpfchen von Tobias, ehe er die Infusion legte.
»Jetzt heißt es abwarten und hoffen«, meinte er schließlich, dann sah er Manon an. »Danke.«
»Wofür?«
»Dafür, daß Sie mir den Mut wiedergegeben haben.«
*
Völlig erschöpft lag Dr. Daniel in seinem Bett. Gerade hatte er wieder einen dieser fürchterlichen Fieber-anfälle gehabt. Den dritten innerhalb von zwei Stunden. Mühsam drehte sich Dr. Daniel zur Seite, um an den fahrbaren Nachttisch zu gelangen. Er fühlte sich durstig, doch als er nach dem Wasserglas greifen wollte, bemerkte er mit Entsetzen, daß ihm seine rechte Hand nicht mehr gehorchte. Er konnte zwar den Arm heben, doch die Finger blieben bewegungslos.
Mit der anderen Hand begann Dr. Daniel nun, seine Finger zu massieren, doch ohne Erfolg. Die rechte Hand blieb gefühllos.
»Nein, bitte nicht«, flehte Dr. Daniel verzweifelt. Er wußte genau, was diese erste Lähmungserscheinung bedeutete. Es war der Anfang vom Ende – einem grauenhaften Ende!
Gerade als er mit der linken Hand die Klingel betätigen wollte, öffnete sich die Tür, und sein Sohn kam herein.Obwohl er Mundschutz und Handschuhe trug, erschrak Dr. Daniel.
»Stefan, du darfst doch gar nicht…«
»Egal«, fiel sein Sohn ihm ins Wort. »Ich mußte dich einfach sehen. Wie geht’s dir, Papa?«
Dr. Daniel streifte seine gelähmte rechte Hand mit einem kurzen Blick. »Nicht sehr gut, mein Junge.« Er zögerte, entschloß sich dann aber zur Wahrheit. Schließlich würde es noch einiges zu regeln geben, wenn er wirklich unaufhaltsam auf den Tod zusteuern sollte. »Anscheinend gehöre ich zu den Menschen, bei denen das Medikament nicht wirkt.«
Aus weitaufgerissenen, erschrockenen Augen starrte Stefan ihn an. Er war nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen.
»Hör zu, mein Junge, du mußt jetzt sehr stark sein«, fuhr Dr. Daniel fort. » Ich weiß von Wolfgang, daß die erste Lähmungserscheinung nur der Anfang ist. Aber jetzt wird es wohl ziemlich schnell gehen. Die Fieberanfälle werden sich häufen, und mit jedem Mal wird die Lähmung wachsen. Es wird sich wohl nicht vermeiden lassen, daß du…«
»Nein!« begehrte Stefan auf. Es hatte eine Weile gedauert, bis er begriffen hatte, was sein Vater ihm beibringen wollte. »Du darfst nicht sterben! Wolfgang muß dir helfen! Ich lasse nicht zu, daß du…«
»Himmel noch mal, was tust du denn hier?«
Dr. Metzlers tiefe Stimme ließ Stefan herumfahren, aber noch bevor er ein Wort sagen konnte, setzte der Chefarzt mit unüberhörbarer Strenge hinzu: »Mach sofort, daß du in dein Zimmer hinüberkommst! Oder willst du den Virus in der ganzen Klinik verteilen?«
»Mein Vater stirbt!« stieß Stefan mit tränenerstickter Stimme hervor. »Er stirbt, und du tust nichts dagegen!«
Diese Worte schockten Dr. Metzler so sehr, daß er sekundenlang sprachlos war. Doch gerade als er zu einer heftigen Erwiderung ansetzte, erlitt Dr. Daniel wieder einen Anfall.
»Wolfgang«, brachte er mühsam hervor. »Das ist schon… der vierte… innerhalb…« Er konnte nicht mehr weitersprechen.
»Tu doch etwas!« fuhr Stefan den Chefarzt an.
Dieser wandte sich ihm zu. »Ja, Stefan, ich werde etwas tun.«
Er verließ eilig das Zimmer und kam kurz darauf mit einer vorbereiteten Spritze zurück, und ehe sich Stefan versah, hatte Dr. Metzler seinen Oberarm freigemacht, desinfiziert und mit einem kurzen Ruck die Nadel in den Muskel gestochen.
»Was tust du da?« fragte Stefan verwirrt.
»Ich bin dabei, dich ruhigzustellen«, erklärte Dr. Metzler, dann brachte er Stefan in sein Zimmer zurück. »Nun, junger Mann, fühlst du dich wieder besser?«
Das Beruhigungsmittel wirkte schnell und ermüdete Stefan.
»Papa stirbt«, brachte er mit Mühe hervor. »Er stirbt, und du…« Mit letzter Kraft bäumte er sich auf, ergriff Dr. Metzler am Kragen seines Arztkittels und schüttelte ihn. »Ich werde dir niemals verzeihen, wenn du ihn einfach sterben läßt.« Fast unmittelbar danach sank er zurück und