»Nein, mein Freund, du tust, was ich sage«, erklärte Dr. Metzler streng. »Es wäre Wahnsinn, dich hierzulassen. Jede Sekunde, die du ungeschützt bei deinem Vater verbringst, erhöht die Gefahr der Ansteckung.«
»Ich kann doch…«
»Nein!« fiel Dr. Metzler ihm ins Wort. »Dein Vater würde mich vierteilen, wenn ich dir das durchgehen ließe. Du kommst umgehend in ein anderes Zimmer, und dann können wir nur hoffen, daß die Krankheit bei dir nicht auch noch ausbricht.«
Stefan sah ein, daß er sich fügen mußte, dabei fiel es ihm unsagbar schwer, seinen Vater gerade jetzt allein zu lassen. Doch Dr. Metzler gab ihm keine Gelegenheit mehr, die Diskussion fortzusetzen, sondern brachte den jungen Assistenzarzt persönlich ins Nebenzimmer.
»Du hast hier ein Telefon, Stefan, also kannst du deinen Vater jederzeit anrufen«, erklärte Dr. Metzler. »Es kann sich höchstens noch um ein paar Stunden handeln, bis die Kopfschmerzen weg sind, dann kann er dir bestätigen, daß das, was wir getan haben, richtig war. Wir dürfen die Ansteckung nicht auch noch provozieren.«
Mit einer fahrigen Handbewegung strich sich Stefan über die Stirn. »Ich weiß schon, Wolfgang, aber… es geht um meinen Vater. Ich habe Angst… ich… ich will ihn nicht verlieren.«
»Ich werde für ihn tun, was ich kann«, versprach Dr. Metzler, klopfte Stefan aufmunternd auf die Schulter und verließ dann den Raum, um bei Dr. Daniel die Behandlung einzuleiten.
»Ich weiß, daß du mich hören kannst, Robert«, erklärte er, während er die Infusionsflasche auf den Ständer hängte und das Infusionsbesteck bereitlegte. »Die Schmerzen werden bald vergehen. Rein gefühlsmäßig würde ich sagen, daß sie nicht mehr länger als zwei Stunden andauern werden. Ich weiß, daß das für dich im Moment ganz furchtbar klingen muß, aber einen anderen Trost kann ich dir nicht bieten.« Er legte einen Gurt um Dr. Daniels Oberarm. »Ich muß dir jetzt ein bißchen Blut abnehmen.« Rasch und geschickt führte Dr. Metzler die Blutabnahme durch und legte dann das gefüllte Röhrchen zur Seite. »So, Robert, nun muß ich dir zusätzlich zu deinen Kopfschmerzen auch noch ein bißchen weh tun. Das Einführen der Infusionskanüle wird wohl etwas schmerzhaft sein.«
Sehr gewissenhaft betrachete Dr. Metzler den Unterarm seines Patienten, wählte eine Vene aus und setzte dann die Nadel an.
»Nicht erschrecken, Robert, jetzt tut’s ein bißchen weh«, erklärte er und stach gleichzeitig in die Vene ein, dann zog er die Nadel vorsichtig zurück, während er die Kanüle weiter in die Vene vorschob. Er fixierte sie mit Heftpflaster, schloß die Infusion an und regelte die Tropfgeschwindigkeit.
»Das war’s fürs erste«, meinte er. »Mehr kann ich im Augenblick nicht für dich tun. Ich muß jetzt noch nach den anderen Patienten sehen, dann komme ich wieder zu dir.«
Er warf Dr. Daniel einen letzten Blick zu, bevor er das Zimmer verließ. Einen Moment blieb er auf dem Flur stehen. Er fühlte sich müde und erschöpft. Seit Tagen arbeitete er praktisch nur noch in Doppelschichten, schlief ein paar Stunden auf der Untersuchungsliege im Ärztezimmer und arbeitete dann weiter.
Mit einem tiefen Seufzer stieß er sich schließlich von der Wand ab und setzte seinen Weg fort. Seine Patienten brauchten ihn.
*
Bei der Allgemeinmedizinerin Dr. Manon Carisi und ihrer Sprechstundenhilfe konnte die Quarantäne aufgehoben werden. Doch Manon erschrak zutiefst, als sie erfuhr, daß Dr. Daniel an dem Asien-Syndrom erkrankt war.
»Sie können ihm doch helfen, oder?« stieß sie besorgt hervor.
Dr. Metzler zögerte. »Ich hoffe es.« Er seufzte tief auf. »Das Medikament, das in Japan entwickelt wurde, ist erstklassig, und in den meisten Fällen hilft es, vor allem, wenn die Krankheit im Frühstadium entdeckt wird. Aber manchmal…« Er zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht, woran es liegt, daß das Medikament gelegentlich total versagt. Zum Beispiel bei Herrn Klein, den Sie ja an mich überwiesen haben. Obwohl er vom ersten Tag an Infusionen bekommen hat, verschlechtert sich sein Zustand ganz rapide.« Niedergeschlagen fuhr er sich durch die dichten dunklen Locken. »Ich weiß bald nicht mehr weiter.«
Mitleid stieg in Manon hoch. In der Sorge um Dr. Daniel war ihr nicht gleich aufgefallen, wie abgekämpft Dr. Metzler aussah. Impulsiv legte sie ihm eine Hand auf die Schulter.
»Herr Kollege, wenn ich Ihnen helfen kann…«
»Wolfgang«, berichtigte er. »Sagen Sie nur Wolfgang zu mir, das ist einfacher. Und für Ihr Angebot, mir zu helfen, danke ich Ihnen, aber… ich weiß nicht, was Sie tun können.«
»Hören Sie zu, Wolfgang, Sie sind völlig übermüdet«, stellte Manon fest. »Sie werden sich jetzt ein bißchen hinlegen und schlafen.«
»Aber wenn ein Krankheitsfall auftritt…«, entgegnete Dr. Metzler ohne rechte Überzeugung.
»Was nützt es Ihren Patienten, wenn Sie zusammenbrechen?« entgegnete Manon ernst. »Sollte es zu einem weiteren Krankheitsfall kommen, bin ich bestimmt in der Lage, Sie zu wecken. Im übrigen könnten Sie mir auch zeigen, was in einem solchen Fall zu tun ist. Immerhin bin ich ja Ärztin und durchaus in der Lage, eine Infusion zu legen.«
»Damit würden Sie sich erneut in Gefahr begeben«, wandte Dr. Metzler ein, doch Manon zuckte die Schultern. »Mit Mundschutz und Handschuhen ist die Gefahr nicht sehr groß.«
»Also schön«, stimmte Dr. Metzler zu. »Wahrscheinlich haben Sie recht. Ein bißchen Schlaf könnte mir wirklich nicht schaden, und im Grunde können wir für die Erkrankten ohnehin nicht viel tun. Es kommt eigentlich nur darauf an, ob das Medikament wirkt oder nicht.«
Weiter kam Dr. Metzler nicht mehr, denn die Oberschwester lief in heller Aufregung auf ihn zu.
»Herr Doktor, Frau Doschek und ihr Baby!« stieß sie hervor.
»Nein! Um Himmels willen, nein!«
Im Laufschritt folgte Dr. Metzler der Oberschwester und legte sich nebenbei den Mundschutz an. Manon tat es ihm gleich und betrat unmittelbar nach ihm das Patientenzimmer.
»Die Kopfschmerzen werden immer schlimmer«, brachte Valerie Doschek mühsam hervor, während der kleine Tobias in seinem Bettchen aus Leibeskräften schrie.
Dr. Metzler half der jungen Patientin, sich ins Bett zu legen. In der Zwischenzeit holte Manon das Baby und wiegte es zärtlich in den Armen, doch sein Schreien ließ nicht nach. Es war offensichtlich, daß der Kleine Schmerzen hatte.
»Tobi«, flüsterte Valerie und streckte beide Arme nach ihrem Kind aus, doch dann sackten sie langsam nach unten.
Erschüttert sah Manon zuerst die junge Frau, dann Dr. Metzler an.
»Was ist mit ihr?« wollte sie wissen.
»Die Schmerzen lähmen den gesamten Körper«, erklärte Dr. Metzler. »Die Patienten sind nicht mehr fähig, sich zu bewegen oder auch nur zu sprechen.«
Wie zur Bestätigung für seine Worte verwandelte sich das Schreien des Babys allmählich in ein klägliches Wimmern und verstummte schließlich ganz. Manon hielt das wie leblos wirkende Baby in den Armen und hätte weinen mögen vor Mitleid und innerer Qual.
Währenddessen sprach Dr. Metzler beruhigend auf Valerie Doschek ein und erklärte ihr jeden Handgriff, den er vornahm. Dann war die Infusion angeschlossen, und Manon legte das Baby ins Bett zurück, weil sie davon ausging, daß sich Dr. Metzler auch um den kleinen Jungen kümmern würde. Um so erstaunter war sie, als er ihr bedeutete, das Zimmer zu verlassen.
»Was geschieht mit dem Kind?« wollte Manon wissen.
Dr. Metzler zuckte die Schultern. »Wenn ich das richtig dosierte Medikament nicht rechtzeitig bekomme, dann wird es sterben.« Verzweifelt schlug er die Hände vors Gesicht. »Ich habe hier alles, was ich für Erwachsene und Kinder brauche, aber ein sieben Tage alter Säugling… Vor drei Tagen, als die Frau und ihr Baby in Quarantäne gekommen sind, habe ich in Japan das passende Medikament angefordert… für alle Fälle. Und jetzt… ich kann nur warten und