Valerie lächelte. »Stimmt. Auf diese Weise kann ich meine Nachuntersuchungen mit Tobias’ Vorsorgeuntersuchungen verbinden, ohne daß ich von einer Praxis in die andere hetzen muß.«
»Das heißt, wir beide sehen uns dann ebenfalls morgen.«
Valerie nickte. »Allerdings wohl eher zu einem Gespräch.« Sie wurde ernst. »Sie haben vollkommen recht, Herr Doktor. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich diese unangenehmen Erlebnisse verarbeitet habe.«
*
Manfred Klein hatte über Mi-
chaelas Worte lange nachgedacht und war schließlich zu dem Schluß gekommen, daß er noch einmal mit Ines reden müsse, um sich über seine Gefühle für sie endgültig klar zu werden. Bisher hatte er geglaubt, sie zu lieben – so sehr, daß ihn keine andere Frau interessieren könnte. Doch jetzt war er sich dessen nicht mehr so sicher.
Ines erschrak, als sie sich Manfred so unverhofft gegenübersah. Gerade hatte sie wieder eine Fieber-attacke überstanden und fühlte sich noch ein wenig geschwächt.
Besorgt sah Manfred sie an. »Fühlst du dich nicht gut, Ines? Du bist ziemlich blaß.«
Abwehrend schüttelte sie den Kopf.
»Alles in Ordnung«, behauptete sie. »Was willst du von mir? Zwischen uns ist alles gesagt.«
»Findest du?« Manfred schwieg einen Moment und fuhr dann fort: »Je länger ich über alles, was du gesagt hast, nachdenke, um so mehr komme ich zur Ansicht, daß das nur Ausreden waren. Das einzige, was vielleicht stimmt, ist, daß du mich nicht mehr liebst. Aber selbst das muß einen Grund haben.«
Ines zögerte, dann nickte sie. »Es hat auch einen Grund. Ich habe mich in Japan verliebt.«
Völlig fassungslos starrte Manfred sie an. »Das glaube ich nicht. Wenn es die Wahrheit wäre, dann wärst du nicht früher als geplant nach Hause gekommen.«
Mit einem tiefen Seufzer ließ sich Ines auf das Sofa fallen.
»Es ist die Wahrheit, Manfred«, erklärte sie. »Ich wollte es mir selbst nicht eingestehen, aber… ich kann Katsumata nicht vergessen. Und meine Beziehung zu ihm war der Grund, weshalb ich so früh aus Japan zurückgekehrt bin. Sein Vater hat mich praktisch hinausgeworfen.« Mit einer fahrigen Handbewegung strich sie ihr dunkles Haar zurück. »Als alles anfing, war es nur ein Flirt. Katsumata gefiel mir, und ich dachte… nein, wahrscheinlich habe ich überhaupt nichts gedacht. Ich ließ mich auf diese Affäre ein, nur… es war auf einmal mehr als eine Affäre. Das habe ich allerdings erst begriffen, als ich wieder zu Hause war.« Offen sah sie Manfred an. »Wenn ich mit dir zusammen war, habe ich an ihn gedacht, und das hast du nicht verdient.«
Schweigend stand Manfred da und wartete darauf, daß Ines’ Worte schmerzen würden, doch das war nicht der Fall. Wirklich weh getan hatte ihre Abreise nach Japan, doch jetzt… im Grunde hatte sie den Schlußstrich, den sie schon gezogen hatte, nur noch einmal wiederholt. Ihre Behauptung, sie müsse Abstand gewinnen, war lediglich ein Hinauszögern des unvermeidlichen Endes gewesen. Das bewies allein schon der Umstand, daß sie fähig gewesen war, sich in Japan zu verlieben.
»Wirst du… zurückgehen?« wollte er wissen.
Ines zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Sein Vater wäre sicher nicht sehr erfreut, wenn ich wiederkommen würde. Und ich habe keine Ahnung, wie Katsumata zu unserer Beziehung steht. Er hat zwar einmal erwähnt, daß ich vielleicht die Frau wäre, die er heiraten möchte, aber…« Wieder zuckte sie die Schultern. »Ich weiß nur, daß es für mich keinen anderen Mann mehr geben wird als ihn.«
*
Die Anfälle kamen immer häufiger und wurden von Mal zu Mal stärker. Auch die Erholungsphase dauerte nach jedem Anfall ein bißchen länger, und allmählich bekam Ines tatsächlich Angst. Konnten diese Anfälle noch harmlos sein?
Dabei mußte sie wieder einmal Katsumata denken. Ob er wohl sein Versprechen gehalten hatte und zum Arzt gegangen war? Das hatte sie ihm damals dringend geraten, und jetzt… jetzt war sie in der gleichen Situation und verschwieg ihre Krankheit genauso, wie Katsumata es getan hatte.
»Es ist sicher nur der Streß«, redete sie sich ein. »Die Szenen mit Manfred…«
An jenem Tag, als sie ihm ihre Liebe zu Katsumata gestanden hatte, war er gegangen – traurig und einsam. Ines hatte Mitleid verspürt, aber Mitleid war eben nicht Liebe. Und ihre Liebe zu Manfred gab es nicht mehr – vielleicht hatte es sie nie wirklich gegeben. Doch das mit Katsumata saß tiefer, als sie es sich zuerst hatte eingestehen wollen. Seit sie wieder zu Hause war, dachte sie immer öfter an ihn, und die Sehnsucht nach seinen zärtlichen Händen, seinen sanften, dunklen Augen und seiner tiefen, warmen Stimme schnitt ihr ins Herz. Sie wollte zu ihm zurück – mit allen Konsequenzen. Sogar ein Leben, wie Fujiko es führte, würde sie in Kauf nehmen, um bei ihm zu sein, und das war etwas, was sie sich vor ein paar Wochen noch nicht einmal hätte vorstellen können.
»Katsumata«, murmelte sie flehend, während sie schon wieder von diesem fürchterlichen Schwindel erfaßt wurde. Ihm folgten wieder Schweißausbruch und Fieber, doch diesmal stellten sich auch noch heftige Unterleibsschmerzen ein. Der Fieberanfall war nach einer halben Stunde vorbei, doch die Schmerzen im Unterbauch wurden von Stunde zu Stunde schlimmer. Nach zwei Tagen hielt Ines es nicht mehr aus. Die Schmerzen waren so stark geworden, daß sie sich gezwungen sah, Dr. Daniel aufzusuchen.
»Frau Holbe, wir haben uns ja lange nicht gesehen«, meinte der Arzt mit einem freundlichen Lächeln. »Wie ich hörte, waren Sie eine Weile im Ausland.«
Ines mußte lächeln. »In gewisser Hinsicht ist Steinhausen eben immer noch ein Dorf.« Dann nickte sie. »Aber Sie haben recht, Herr Doktor. Ich war für vier Monate in Japan.«
»Ein ausgesprochen interessantes Land«, urteilte Dr. Daniel. »Der Chefarzt der Waldsee-Klinik, Dr. Metzler, hat sich ein paar Jahre dort aufgehalten und mir eine Menge darüber erzählt.«
»Es ist wirklich faszinierend dort«, stimmte Ines zu, und man konnte ihr die Angst dabei nicht anmerken. »Allerdings ist es nicht ganz einfach, die Mentalität dieser Menschen zu begreifen. Wenn ich nur an Fujiko Nakashida denke… Sie lebt für ihre Kinder und ihren Haushalt. Etwas anderes zählt für sie nicht. Das einzige Interesse ihres Mannes gilt dagegen der Firma, in der er arbeitet. Er ist dort lediglich angestellt, trotzdem könnte man den Eindruck gewinnen, die Firma würde ihm gehören, so sehr engagiert er sich dafür. In den vier Monaten, die ich bei der Familie gelebt habe, habe ich ihn höchstens fünfmal gesehen.«
Dr. Daniel nickte. »So etwas in der Art hat Dr. Metzler auch schon erzählt. Die Standesunterschiede zwischen Männern und Frauen sind dort nach wie vor sehr ausgeprägt.« Dann wechselte er das Thema. »Was führt Sie heute zu mir, Frau Holbe? Die normale Routineuntersuchung oder ein spezielles Problem?«
»Ich habe seit ein paar Tagen ganz schreckliche Unterleibsschmerzen«, bekannte Ines. »Dazu einen unangenehmen Ausfluß, und wenn ich auf die Toilette gehe, brennt es richtig.«
Dr. Daniel nickte, dann stand er auf. »Das muß ich mir ansehen, Frau Holbe.« Er ging ihr voran ins Nebenzimmer und wies auf den dezent gemusterten Wandschirm. »Wenn Sie sich bitte freimachen und dann auf dem Untersuchungsstuhl Platz nehmen.«
Rasch kam Ines dieser Aufforderung nach. Sie wollte das alles jetzt möglichst schnell hinter sich haben, schließlich mußte sie jeden Augenblick mit einem dieser heftigen Anfälle rechnen.
Abgesehen von dem Ausfluß konnte Dr. Daniel auf den ersten Blick keine krankhaften Veränderungen feststellen, also nahm er einen Abstrich und untersuchte ihn unter dem Mikroskop, doch auch hier ergab sich kein Hinweis auf eine Pilzinfektion oder eine Geschlechtskrankheit.
»Haben Sie etwas gefunden?« wollte Ines wissen. »Es ist doch hoffentlich nichts Schlimmes.«
»Tja,