Valerie nickte. »Bei der nächsten Geburtsvorbereitungsstunde will Frau Lüder uns ohnehin einen Kreißsaal zeigen, und ich nehme an, es wird der von der Waldsee-Klinik sein.«
»Ganz sicher sogar«, stimmte Dr. Daniel zu, zögerte einen Moment und fügte dann hinzu: »Wie gesagt, für Ihre eigene Sicherheit und die Ihres Kindes würde ich Ihnen eine Entbindung in der Klinik empfehlen.«
»Ich werde es mir überlegen«, versprach Valerie, war insgeheim aber schon fest entschlossen, sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen. Ihre eigene Mutter hatte viermal zu Hause entbunden, und nichts war dabei schiefgegangen. Warum sollte es bei ihr anders sein?
*
Der erste schwere Fieberschub traf Ines Holbe ganz unvorbereitet. Sie war gerade dabei, ein ganz besonderes Abendessen zuzubereiten, denn Manfred hatte Geburtstag, und den wollten sie heute gemeinsam feiern. Es würde ihre letzte Feier sein – das war zumindest für Ines klar. Nach diesem Geburtstag wollte sie die Beziehung zu Manfred, die für sie in letzter Zeit mehr und mehr eine Belastung geworden war, beenden.
Gerade gab Ines noch einen Schuß Sahne zu ihrer Soße, als sich plötzlich alles vor ihren Augen zu drehen begann. Haltsuchend griff sie um sich, doch es war nichts in der Nähe, woran sie sich hätte festhalten können. Sie stürzte zu Boden, während sie noch immer das Gefühl hatte, in einem wahnsinnig schnellen Karussell zu sitzen. Dann war der Schwindelanfall mit einem Schlag wieder vorbei, dafür stieg brennende Hitze in Ines auf. Ihr ganzer Körper glühte, der Schweiß brach ihr aus, und sie war unfähig, sich zu bewegen. Es schien, als wäre sie von Kopf bis Fuß gelähmt, dabei zitterte sie wie im Schüttelfrost. Nach einer halben Stunde war dann alles wieder vorbei.
Langsam rappelte sich Ines wieder auf, zog ihren schweißnassen Jogging-Anzug aus, stellte sich unter die Dusche und schlüpfte danach in das Kleid, das sie sich für die Geburtstagsfeier zurechtgelegt hatte.
Als sie in die Küche zurückkehrte, erschrak sie. Der Herd sah aus wie nach einer Explosion, und der stechende Geruch von verbranntem Essen erfüllte den ganzen Raum. Die Soße war übergekocht und der Braten schon leicht angekohlt.
Dunkle Rauchschwaden drangen aus dem Backofen.
Rasch schaltete Ines den Herd aus, dann riß sie beide Fensterflügel weit auf.
»Meine Güte, was ist denn hier passiert?« fragte Manfred entsetzt.
Mit einem verlegenen Lächeln wandte sich Ines ihm zu. »Ich fürchte, wir müssen deine Geburtstagsfeier ins Restaurant verlegen. Mein Essen dürfte nicht mehr genießbar sein.«
Manfred runzelte die Stirn. Noch nie war Ines etwas Ähnliches passiert. Sie war eine gute Köchin, der noch nicht mal ein Schnitzel angebrannt war.
»Ich war am Telefon«, behauptete Ines. »Eine Freundin, von der ich lange nichts mehr gehört hatte, hat angerufen und…« Sie zuckte die Schultern. »Über den vielen Neuigkeiten, die sie zu erzählen hatte, habe ich total vergessen, daß ich was auf dem Herd stehen hatte.«
Manfred spürte, daß das nicht die Wahrheit war, doch er ging kommentarlos darüber hinweg.
»Macht ja nichts«, meinte er. »Gehen wir halt zum Italiener.«
Ines nickte. »Gute Idee.« Dabei war ihr nach dem eben Erlebten der Appetit gründlich vergangen. Und während sie neben Manfred im Auto saß, beschäftigte sie sich in Gedanken zum ersten Mal ganz ausgiebig mit dem, was in ihrer Wohnung vorgefallen war.
Es war genau so ein Anfall gewesen, wie Katsumata ihn an jenem Tag gehabt hatte, als sie Japan verließ. Der Streß an der Universität sei die Ursache dafür, hatte er behauptet.
In letzter Zeit hatte ich ja auch ziemlichen Streß, dachte Ines und versuchte sich damit zu beruhigen, was ihr allerdings nicht gelang. Instinktiv spürte sie, daß dieser Anfall etwas anderes bedeutete, und eigentlich hätte sie nun genau das tun sollen, was sie Katsumata empfohlen hatte: zu einem Arzt gehen! Doch jetzt, da es sie selbst betraf, scheute sie davor zurück.
Es war sicher nur der Streß, redete sie sich ein. Wenn es ein zweites Mal passiert, werde ich zum Arzt gehen.
*
Der nächste Anfall kam fast auf die Stunde genau einen Tag später und lief genauso ab wie beim ersten Mal. Zuerst der Schwindel, dann Schweißausbruch und Fieber. Und nach einer halben Stunde war alles wieder vorbei. Als Manfred gegen sieben Uhr abends zu ihr kam, wies nichts mehr darauf hin, daß sie sich noch eine Stunde zuvor hilflos am Boden gewälzt hatte.
Doch selbst wenn man ihr noch etwas angesehen hätte, hätte Manfred es wohl nicht bemerkt. Er war in einer zärtlichen Stimmung, und obwohl Ines nichts mehr fühlte, wenn er sie streichelte oder küßte, ließ sie sich von seiner Leidenschaft mitreißen.
Stunden später lag sie neben Manfred und lauschte auf seine gleichmäßigen Atemzüge. In ihrem Kopf pochte ein leiser Schmerz, und plötzlich begann sich alles um Ines zu drehen.
»Nein, nicht schon wieder«, flüsterte sie verzweifelt und wußte doch, daß nichts diesen erneuten Anfall aufhalten konnte. Mit letzter Kraft kroch sie aus dem Bett, und obwohl sie durch den heftigen Schwindelanfall vollkommen die Orientierung verloren hatte, schaffte sie es irgendwie, ins Badezimmer zu gelangen. Sie schloß die Tür hinter sich ab, dann stürzte sie zu Boden. Die unerträgliche Hitze ergriff wieder Besitz von ihr und vermittelte ihr das Gefühl, innerlich zu verbrennen. Dann war der Anfall vorbei, doch diesmal war Ines völlig erschöpft davon. Sie schaffte es kaum, sich aufzurichten. Mit Mühe kroch sie zur Duschkabine, setzte sich hinein und schaltete dann das Wasser ein. Angenehm warm prasselte es auf ihren schweißnassen Körper.
»Ines? Bist du da?« hörte sie Manfred fragen. »Was ist los? Ist dir nicht gut?«
»Doch, alles in Ordnung«, behauptete Ines. »Ich hatte einen Alptraum und bin schweißgebadet aufgewacht. Jetzt will ich nur rasch duschen.«
»Ach so.« Manfred schwieg einen Moment. »Und sonst ist wirklich alles okay?«
»Ja, Manfred, ich komme gleich wieder«, erklärte sie und dachte dabei, daß es höchste Zeit sei, diese Beziehung zu beenden. Manfred durfte einen solchen Anfall nicht miterleben. Und sie selbst würde ab jetzt zu Hause bleiben und abwarten, bis diese seltsame Krankheit wieder vergehen würde. Schließlich wollte sie nicht riskieren, mitten auf der Straße einen dieser gräßlichen Anfälle zu bekommen.
*
»Valerie, das ist aber eine nette Überraschung«, erklärte Sigrid Neumeister erfreut, als sie die Wohnungstür öffnete und sich so unverhofft ihrer Freundin gegenübersah.
Valerie Doschek lächelte. »Mir war es zu Hause so langweilig, da dachte ich, ich könnte dich mal besuchen.«
»Du hast goldrichtig gedacht, Valerie«, meinte Sigrid. »Aber daß du dich das überhaupt noch traust. Immerhin könnte es ja jetzt jeden Tag soweit sein.«
Zärtlich streichelte Valerie über ihren Bauch. »Ach was, ich habe noch fast zwei Wochen bis zum Termin. Außerdem ist es von München nach Steinhausen ja nur ein Katzensprung.«
»Na ja, allerdings ein ziemlich großer Katzensprung«, wandte Sig-rid ein, dann lächelte sie. »Aber falls es wirklich losgehen sollte, kann ich dich rasch in die Klinik fahren.«
Doch Valerie schüttelte den Kopf. »Ich werde in keiner Klinik entbinden, sondern zu Hause.«
»Wirklich? Ist das nicht zu riskant?«
»Überhaupt nicht. Ich habe eine erstklassige Hebamme, und der Gynäkologe wohnt praktisch um die Ecke. Dr. Daniel – der beste Arzt, den du in Steinhausen und Umgebung finden kannst.«
Sigrid seufzte. »So einen könnte ich hier auch gut brauchen. Mein Gynäkologe ist zwar gut, aber unglücklicherweise hat er seine Praxis fast am anderen Ende von München, und hier in der Gegend gibt es keinen, der mir zusagen