»Dreckskerl!« krächzte er tonlos.
Dann sah er einen kleinen Jungen über die Straße laufen.
»He, Joe!«
»Ich heiße nicht Joe, Mister. Ich bin Billy Garcia.«
»Bill, ich wußte es doch. Hör zu, Bill. Willst du dir – sagen wir, fünf Cent verdienen?«
»Fünf Cent? Mister, die bekomme ich pro Woche, wenn ich den Reverend immer grüße, wenn ich ihm begegne, und wenn ich meinem Vater die Pfeife reinige, pro Tag. Ich müßte schon wissen, wie sehr ich mich dafür schinden soll.
»Gar nicht. Du brauchst mir nur etwas zu holen.«
Der Bengel wischte sich über die Nase.
»Holen? He, Eddi Bertram hat für Jube Lancaster ein rotäugiges Kaninchen geholt, aus einem fremden Stall, das kam ihm erheblich teurer zu stehen, und zwar so sehr, daß er nun nicht mehr sitzen kann.«
»Nichts da, Boy – du holst mir ein Stück Brot und etwas Käse. Und ein Glas Bier.«
Wohin soll ich das bringen?«
»Hierher.«
»Was denn, hier auf die Straße?«
»Ja, ich warte hier auf einen Freund, er ist hier mit mir verabredet. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als hier stehenzubleiben. Verstehst du?«
»Nein – ich komme aus Nevada.«
»Ah, da soll es viele Mustangs geben, nicht wahr?«
»Ja, sehr viele.«
»Haben Sie schon eine Menge gefangen?«
»Sicher.«
»Erzählen Sie mir nachher davon?«
»Vielleicht. So, und jetzt beeile dich. Hier ist ein Dollar. Und sieh zu, daß du dich sputest.«
»Ist gemacht, Mister!«
Der Junge nahm das Geld, ließ es in der rechten Hosentasche verschwinden und rannte davon.
Tancred blickte ihm nach.
Der Kleine verschwand in der schräg gegenüberliegenden Gasse.
Zehn Minuten waren vergangen.
Tancred starrte gebannt auf die Gassenmündung, aus der der Junge zurückkommen mußte.
Aber er kam nicht.
Er dachte gar nicht daran, zurückzukommen. So leicht hatte der kleine Billy Huston noch niemals einen Dollar gemacht. Er war der Sohn eines Rustlers, der schon fünf Jahre im Jail von Garden City saß, und hatte eine bittere Jugend hinter sich, ohne Vater, mit einer kranken Mutter und neun Geschwistern.
Sein Freund hieß Garcia, und immer wenn es ihm nützlich erschien, benutzte er den Namen des kleinen Italienerjungen.
Nein, er dachte gar nicht daran, dem Fremden Brot, Bier und Käse zu bringen. Der Mann würde ihm das restliche Geld abnehmen und ihm eine Ohrfeige statt der versprochenen fünf Cent geben. Und niemand würde ihm dann helfen.
Besser einen Dollar in der Tasche als fünf Cent noch gegen eine Ohrfeige eintauschen müssen.
So wartete denn der Horseman in der Mainstreet bei den Cowboypferden und starrte unverwandt auf die Gassenmündung, aus der er den Jungen erwartete.
Plötzlich schlug er sich gegen die Stirn und stieß eine rauhe Lache aus.
Natürlich, der Schuft würde nicht zurückkommen. Und wie sollte er ihn in diesem Gewimmel von Menschen wiederfinden? Der Name, den er genannt hatte, mußte ja falsch sein…
Genau in dieser Minute ritt unten von Südwesten her Marshal Earp in die Stadt ein, begleitet von dem Georgier John Henry Holliday.
Tancred hätte die beiden Reiter kurz darauf sehen können, wenn er einmal nach rechts geblickt hätte.
Aber er nahm den Blick immer noch nicht von der Gassenmündung, obgleich er nun längst davon überzeugt war, seinen einzigen Dollar verschenkt zu haben…
Als die beiden Reiter vor der Ecke hielten, begann eine dramatische Viertelstunde.
Doc Holliday deutete auf die von mehreren Windlichtern erleuchtete Inschrift vor dem großen Ecksaloon.
»Spielcasino.«
»Vielleicht kein Platz für unseren Mann, aber ich sähe doch gern einmal hinein. Schließlich kann er nicht bis zum Jüngsten Tag im Sattel bleiben.«
Der Marshal sah zur anderen Straßenseite hinüber.
»Dort ist das Sheriff Office, ich werde da einen Besuch machen.«
Wyatt dachte daran, daß es dem Gambler nicht zum erstenmal gelingen würde, einen ihm unbekannten Mann in der Menge zu entdecken. Vor allem ein Mann, der einen scharfen, anstrengenden Ritt hinter sich hatte, konnte ein so scharfsichtiger Beobachter wie Doc Holliday unschwer zwischen den ausgeruhten Gestalten anderer Saloonbesucher herausfinden.
Sie stiegen von den Pferden, warfen die Zügelleinen über die Querholme und trennten sich.
Doc Holliday stieg auf den Vorbau und hielt auf den Eingang an der Ecke zu, während sich der Marshal zwischen zwei großen hier abgestellten Planwagen hindurchzwängte und gerade die Straßenmitte erreicht hatte, als es geschah.
Der Georgier hatte die mit Buntglaspapier beklebte Tür eben geöffnet und kaum einen ersten Blick in den rauchigen menschenüberfüllten Schankraum geworfen, als ihm urplötzlich ein Schuß aus einem Revolver entgegenbrüllte.
Welch ein Glück, daß der ewig Vorsichtige nicht in ganzer breiter Front im Eingang gestanden hatte – die Kugel fehlte ihn.
Reaktionsschnell warf sich der Spieler zurück und stieß die Tür zu.
Mit zwei großen Sätzen hatte er eine große Regentonne an der Vorbauecke erkannt.
Der Marshal war stehengeblieben und sah sich um.
»Lopez!« rief ihm der Georgier nur zu.
Der Zuruf traf den Missourier wie ein Schlag.
Rico Lopez! Der Bandenführer aus New Mexico! Sollte es denn möglich sein?
Vor mehr als zwei Jahren waren sie unten in Las Cruces mit dem gerissenen Banditen zusammengestoßen. Es war eine harte Sache gewesen. Lopez war ein gefährlicher Schießer, ein jähzorniger, rachsüchtiger und tyrannischer Mensch, der eine ganze Anzahl von gleichartigen Männern um sich geschart hatte.
Es war mit größter Gefahr verbunden, sich gegen ihn zu wenden. Selbst der Richter des Dona Countys hatte den Missourier damals gewarnt: »Lassen Sie die Finger von Lopez! Er ist der Herr des Countys, hat ein oder zwei Dutzend Männer hinter sich, die ebensogut in Höhlen hausen wie auch Besitzer von Cantinas sein können.«
Aber der Marshal war nicht vor dem gefährlichen Desperado zurückgeschreckt. Lopez hatte einen bettelarmen Barbier überfallen und schwer mißhandelt, weil er vermutete, daß der Barbier sich seinetwegen an die Regierung gewandt hatte, was nicht stimmte.
Wyatt hatte es erfahren und sofort den Kampf mit Rico Lopez aufgenommen. Weil er es von jeher ganz besonders gehaßt hatte, daß kleine, arme und hilflose Leute getreten wurden.
Er hatte Lopez in einem ausgetrockneten, neun Yard breiten Wassergraben, der quer durch die heiße staubige Stadt führte, zusammen mit Doc Holliday eine empfindliche Niederlage beigebracht.
Lopez hatte flüchten müssen, leicht am rechten Oberarm verletzt, war er damals nur mit zwei seiner Leute entkommen. Sieben waren teils leicht, teils schwer verwundet auf dem Plan geblieben.
Einer der Verbrecher hatte das Feuergefecht mit dem Leben bezahlt.
Doc Holliday hatte dabei eine Fleischwunde am linken Oberschenkel davongetragen, und der Marshal war von Lopez selbst so schwer am Hals verletzt worden, daß er wochenlang in der südlichen Hitze da unten einen