»Ärger gehabt?«
»Ja.« Sie sah ihn offen an. »Ich hatte neunhundert Dollar auf der Bank. Sie sind heute morgen geraubt worden. Von einem Fremden. Von einem einzelnen Mann…« Sie brach plötzlich ab und sah Thorpe genauer an.
»Was machen Sie eigentlich hier?«
»Ich suche einen Job. Oben in Prescott sagte mir ein Trader, daß dieses Tomb-
stone eine aufstrebende Stadt sei, in der es mehr Arbeit gäbe, als man sich wünschen könne.«
»Das stimmt ganz sicher nicht«, entgegnete die Frau, die ihren schnellen Verdacht wieder fallengelassen hatte. »Aber vielleicht kommen Sie heute abend mal drüben in den Saloon, vielleicht kann ich Ihnen helfen. Es gibt immer Leute, die tüchtige Männer brauchen.«
Thorpe blickte auf die andere Straßenseite, in die Richtung, die sie ihm mit dem Kopf angegeben hatte.
Da lag der Crystal Palace!
Thorpe zog die Schultern hoch.
»No, thanks, Miß – ich möchte gern noch eine Weile leben.« Und nun war er dumm genug, das auszusprechen, was er für einen Trumpf hielt: »Schließlich habe ich nicht die Absicht, ausgerechnet Doc Holliday in die Quere zu kommen.«
Das Gesicht der Frau veränderte sich jäh. Die Frische wich daraus, eine grünliche blasse Haut blieb zurück.
»Doc Holliday…?« wiederholte die Frau und senkte den Kopf. Der Name schien all ihr Leid, ihr Elend, ihren Schmerz zu beherbergen.
Dann warf sie plötzlich mit einer wilden Gebärde den Kopf hoch.
»Wo ist er? Haben Sie ihn irgendwo gesehen? Haben Sie etwas von ihm gehört? Ganz sicher nicht!«
Wieder sank ihr Kopf auf die Brust. Sie wandte sich ab und überquerte die Straße.
Thorpe rieb sich das Kinn. Zounds! Der Teufel sollte doch die Weiber holen.
*
Sie hatte kein Abenteuer gesucht, die blonde Kate Fisher. Nur einen Menschen, der sie nicht kannte. Sie und ihr Leben. Sie hatte gehofft, daß dieser Fremde nicht wüßte, wer sie war. Es war das, was sie immer hoffte, wenn sie Fremde kennenlernte.
Es hatte ja niemand eine Chance bei ihr. Er war ihr Abgott, der schlanke, nervige, drahtige hochgewachsene Doktor aus Boston, den die Männer dieses gefährlichen Landes den König der Gunfighter nannten, der einen überlegenen Geist hatte, ständig eine scharf spöttische Entgegnung auf den Lippen, und der so eine unnachahmliche Art hatte, zu gehen.
Nachts, wenn sie in ihrem dunklen Zimmer lag und gegen die Decke starrte, sah sie seine eisblauen lang bewimperten ernsten Augen vor sich, in denen eine ungeheure Kraft lag, und die auch einen tiefen Ernst widerspiegelten.
John Henry Holliday, der Mann, der ausgezogen war, um im Westen den Tod zu finden, die Erlösung von seiner unheilbaren Krankheit. So sehr sie sich auch dagegen gewehrt hatte, Doc Holliday war ihr Leben.
Thorpe sah ihr nach, bis drüben die rotgestrichenen Schwingarme der Pendeltür des Crystal Palace hinter ihrem Rücken zusammenschlugen.
Dann ging er weiter die Straße hinunter zum O.K. Corral.
Grinsend stand der kleine Chinese im offenen Tor und sah ihm entgegen.
»Schon wieder wegreiten, Mister?« fragte er.
Thorpe kniff das linke Auge ein.
»No, Brother, die Absicht habe ich nicht. Ich suche mir nur ein besseres Quartier.«
Der Chinese zog beide Brauen hoch.
»Besseres Quartier? Das ist teuer hier in Tombstone.«
»Na und…?«
Damned, hatte der Mann gestern nicht nach einem billigen Quartier gefragt? Der Chinese hatte es von dem Jungen erfahren.
Thorpe sah sich um und entdeckte das gewaltige Schild des Monopol-Hotels schräg gegenüber.
»Ich werde mich da einquartieren«, sagte er, warf sich die prall mit Geldscheinen gefüllte Satteltasche über die mächtige Schulter und stiefelte auf das Haus zu.
*
Nein, er würde noch nicht wegreiten. Das hätte wie Flucht ausgesehen.
Und außerdem gelüstete es ihn, die Menschen in dieser Stadt noch etwas ranzunehmen. Er wollte seinen Triumph auskosten. Deshalb würde er bleiben.
Als er auf das Hotel zuging, schrak er für den Bruchteil einer Sekunde zusammen. Links nebenan vor dem kleinen Holzbau stand ein Mann, der einen silbernen Stern auf der Brust trug.
Ein Sheriff.
Aber sofort fiel dem Verbrecher der Stein vom Herzen: Es war nur Jonny Behan.
Nur! Welch eine Schande für einen Gesetzesmann, so gering geachtet zu werden.
Die Strohpuppe im Tombstoner Sheriffs Office hatte den Blick nach Osten gewandt, obwohl es in dieser Richtung im Augenblick nicht das geringste zu sehen gab.
Thorpe hatte den Vorbau erstiegen und blieb stehen. Herausfordernd sagte er: »Hallo, Sheriff! Suchen Sie mich vielleicht?«
Jonny Behan wandte den Kopf. Seine blassen Augen huschten flüchtig über das grobe Gesicht des Fremden, dann schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder ab.
Das reizte den Nogalesman derart, daß er auf den Sheriff zutrat, ihm seine Rechte schwer auf die schmächtige Schulter fallen ließ und meinte:
»Ich finde, daß Sie sich nicht hier an den Vorbaupfeiler lehnen sollten, wenn in der Stadt ein Bankraub verübt wurde.«
Behan zuckte zusammen. Aus erschrockenen, weit aufgerissenen Augen sah er den Fremden an.
»Bankraub…«, kam es heiser über seine Lippen.
Thorpe starrte ihn verblüfft an. Was denn, sollte dieser Papier-Sheriff tatsächlich noch nichts von dem Überfall auf die Bank wissen? Immer noch nicht, obwohl doch die ganze Stadt bereits darüber munkelte?
Das war denn doch mehr als unwahrscheinlich.
Thorpe schob sich den Hut aus der Stirn und trat in den Eingang des Hotels. Ehe er jedoch völlig verschwand, rief er dem Gesetzesmann noch über die Schulter zu:
»Eine schöne Stadt, dieses Tombstone, das muß ich schon sagen. Und der Sheriff paßt dazu!«
Damit war er schon in der Halle.
Verdutzt blieb er stehen.
Der große Raum, der vor ihm lag, war so pompös eingerichtet, so mit Plüschmöbeln, dicken Teppichen und Vorhängen geschmückt, daß dem Nogalesman die Sprache wegblieb.
Rechts stand hinter einem kunstvoll gearbeiteten Rezeptionspult ein schmalgliedriger Mann von vielleicht zwanzig Jahren mit frischem Gesicht und wachen Augen.
Thorpe steuerte auf ihn zu. »Ein Zimmer, Boy!«
Der Bursche ließ seinen Blick forschend über die Erscheinung des Fremden gleiten.
»Fünf Dollar.«
Thorpe senkte seinen Kopf mit einem Ruck, kniff in der für ihn typischen Art das linke Auge ein und krächzte dabei leise:
»Ich habe doch wohl nicht richtig gehört, Kleiner?«
»Doch, Mister, Sie haben richtig gehört. Und dann möchte ich Ihnen noch sagen, daß ich Bill Hartman heiße. Sie können mich aber Bill nennen.«
Thorpe kam einen Schritt näher und beugte sich über das schmale Pult.
»So, kann ich das? Hm, ich werde dir einmal zeigen, was ich kann, Junge!«
Damit schoß seine Linke vor, packte den Burschen an den Westenaufschlägen und zerrte ihn über das Pult.