»Kleines Nest? Wo denkst du hin! Die Stadt ist sogar verhältnismäßig groß. Und vor allem, da liegt Geld! Die Leute? Natürlich, sie sind arm. Das Geld gehört ja auch nicht den Tombstonern, sondern den Ranchern der Umgebung und den Silberminenbesitzern. Du kannst dich darauf verlassen, daß in Tombstone mehr Geld liegt als sonstwo im ganzen Land. Es will nur abgeholt werden…«
Yeah, so hatte der kleine Jolly Fonda gesprochen. Einen Tag bevor Luke Short ihn in Prescott im Gunfight aus den Stiefeln schoß. Fonda war zwar nicht tot, aber er würde zeitlebens ein Invalide bleiben.
Wie konnte ein Mensch auch so dumm sein, sich ausgerechnet mit Luke Short abzugeben. Jim Thorpe wollte es raffinierter anfangen.
Jedenfalls sah er sich vor. Sehr gründlich hatte er sich über alles informiert, was mit dem Tombstone Coup zusammenhing.
Virgil Earp war tatsächlich nicht in der Stadt. Und die Bank of Tombstone war sicher nicht die ärmste Bank des Westens.
Es war später Nachmittag, als Thorpe von Nordosten her in die Freemanstreet einritt. Well, der Bandit hatte natürlich von den Dingen gehört, die sich in der Stadt und ihrer Umgebung abgespielt hatten. Aber das alles hatte ihn nur in seinem Entschluß bestärkt. Tombstone war das richtige Pflaster für ihn. Nicht in den stillen Städten, in denen ein ewiges Lauschen und Wachen war, konnte man einen so großen und riskanten Schlag starten. Es mußte eine Stadt wie dieses blutvolle heiße Tombstone sein. Eine Stadt, die gefährlich war, in der es ständig gärte und brodelte. In der Leute wie Ike Clanton, die Mc-Lowerys, Curly Bill und Indian Charly verkehrten.
Er würde am hellichten Tag den Überfall ausführen. Und zwar morgens, genau in dem Moment, wenn die Bank geöffnet wurde.
Lange hatte er sich über diesen Punkt Gedanken gemacht. Die meisten Banditen, die es auf eine Bank abgesehen hatten, kamen in der Nacht. Da hatten sie jedoch den Nachteil gegen sich, daß es dunkel war. Und kannten sie sich in den Örtlichkeiten nicht haargenau aus, konnten sie leicht in eine Falle laufen.
Die anderen wählten den Mittag, weil da im allgemeinen vor den Schaltern wenig los war. Mittags aßen die Menschen, machten eine kurze Rast, teilten den Arbeitstag; scheinbar eine gute Zeit für einen Mann, der eine Bank überfallen und ausplündern wollte.
Und dennoch war es nach Thorpes Ansicht eine schlechte Zeit. Denn mittags hatten die Kassierer die Banken zuweilen geschlossen. Und wenn sie sie offen hielten, hatten sie die Revolver griffbereit neben sich liegen, eben weil die meisten Banken mittags überfallen wurden.
Einige Banditen, so zum Beispiel die Havelland Brothers, hatten ihre Überfälle immer am späten Nachmittag ausgeführt, kurz bevor die Banken geschlossen wurden. Nach Thorpes Überlegungen war auch das ungünstig, denn er hatte beobachtet, daß viele Leute erst im allerletzten Augenblick kamen, um Geld einzuzahlen oder abzuheben. Und ganz früh morgens, wenn die Bank eben geöffnet wurde? Well, das hatte den Vorteil, daß die Bankleute noch halb schliefen, noch nicht über ihr volles Reaktionsvermögen verfügten. Allerdings konnte man da das Pech haben, daß auch schon Leute anstanden, die den Gang zur Bank rasch und noch vor Arbeitsbeginn hinter sich bringen wollten.
Es gab ganz einfach keinen hundertprozentigen Zeitpunkt. Jim Thorpe hatte sich für den frühen Morgen entschieden.
In Pearce hatte er einen Probeüberfall starten wollen. Vielleicht war es ganz gut, daß die Sache mit dem ›Pferdedieb‹ dazwischengekommen war, denn auf der Bank eines so winzigen Nestes war sicher nicht viel zu holen.
Weshalb hatte er den Blacksmith nun wirklich erschossen? Jim Thorpe hätte niemandem eine Antwort darauf geben können. Etwa weil er den Mann tatsächlich für einen Pferdedieb gehalten hatte? No, das war keine Antwort. Thorpe hätte den Dieb bei seiner schnellen Schußhand immer erreicht, es hätte also genügt, wenn er ihn zum Halten gezwungen oder verwundet hätte.
Aber Jim Thorpe hatte ihn niedergeschossen wie einen räudigen Hund. Weil er an einem Wahn litt, der ihn verzehren würde; er wollte furchterregend und gefährlich wirken. Nur deshalb hatte er den Blacksmith getötet.
Der Blick in die breite Freemontstreet ließ die Zuversicht des Reiters etwas sinken. Was war denn das? War das etwa Tombstone? Die heiße, gefährliche Stadt, in der so viele Schüsse gefallen waren? Wie ausgestorben lag die Straße da. Über dem gelben Sand flimmerte die Hitze. Nur wenige Häuser hatten Vorbauten.
Die Glut der Arizonasonne schien diese Stadt völlig ausgedörrt zu haben.
Thorpes Blick streifte an den Häuserfronten entlang. Saloon neben Saloon – und doch nirgends eine Menschenseele.
An der Ecke zur fünften Straße bog er links ab und kam in die Allenstreet.
Heavens! Das sollte also wirklich die berühmte Allenstreet sein, die jeder Junge im Westen kannte? Auf der mehr Schüsse gefallen waren, als auf irgendeiner Straße sonst im weiten Westen?
Am Crystal Palace ritt er vorbei. Obgleich die Fassade des bekannten Saloons nicht anders aussah, als die der anderen Schenken, war er doch nicht verrückt genug, ausgerechnet da abzusteigen, um einen Drink zu nehmen. Crystal Palace – das war die Bar der Großen, die Schenke jener Männer, zu denen er einmal gehören würde!
Ein paar Häuser weiter, vorm Occidental Saloon, stieg er ab.
Al Doling lehnte mit einem blassen aufgeschwemmten Gesicht hinter der Theke, stocherte mit einem angespitzten Zündholz in seinen Backenzähnen herum und bemühte sich mit zusammengezogenen Brauen und eingekniffenen Augen bei dem Dämmerlicht, das im Schankraum herrschte, seine schon reichlich zerknitterte Zeitung zu lesen. Er sah nur kurz auf, als er die Schritte und das Knarren der Pendeltür hörte.
Thorpe kam an die Theke, setzte einen Fuß auf das Messingrohr, das als Fußleiste diente, und stützte den linken Ellbogen auf das blankgeriebene Holz der Thekenkante.
»Whisky!«
Doling hob den Kopf und musterte den Mann, der da so grußlos hereingekommen war.
»Guten Tag, Mister!«
Thorpe hatte plötzlich eine tiefe Falte in der Stirn.
»Whisky – habe ich gesagt! Sie werden dafür, daß ich ihn bezahle, nicht noch einen Gruß von mir verlangen, Mann!«
Der Keeper richtete sich auf.
»Verlangen? No, Mister, verlangen tue ich gar nichts von Ihnen. Aber Leuten, die nicht einmal die primitivsten Gewohnheiten dieses Landes achten, denen schenke ich auch keinen Whisky aus!«
Thorpe hatte blitzschnell den Revolver gezogen.
»Hör zu, Schnapspanscher, ich habe wenig Lust, mich mit dir anzulegen. Also, zum dritten- und letztenmal: Whisky!«
Da wandte sich der Wirt um und holte die Flasche.
Thorpe trank das halbvolle Glas in einem Zug leer.
Da wurden Schritte auf dem Vorbau laut.
Der Salooner legte den Kopf auf die Seite und lauschte diesen Schritten nach. Die Spannung in seinem Gesicht löste sich jedoch gleich wieder. Er hatte den Mann, der da kam, erkannt: Es war Kid Huberts, der vorn an der Ecke beim Butcher arbeitete.
Huberts kam herein. Es war ein mittelgroßer untersetzter Mann mit einem Affengesicht und glänzender Stirnglatze. Er steuerte auf die Theke zu, grinste den Wirt an und quetschte mundfaul einen Gruß durch die Zähne. Dann sah er Thorpe
an.
»Na, Mister, schmeckt der Whisky? Das Zeug, das Doling ausschenkt…«
Der eisige Blick aus den scharfen Augen des Fremden ließ ihn sofort verstummen.
Thorpe warf ein Geldstück neben das leere Glas und ging mit harten sporen-klirrenden Schritten hinaus.
Die beiden sahen hinter ihm her.
»Komischer Bursche!« fand Huberts.
Doling fuhr sich mit dem Zeigefinger unbehaglich durch den Kragen.
»Hm,