Der Mann hatte angenommen, daß Flynn das Pferd stehlen wollte. Jedenfalls war nichts dagegen zu sagen. Der Fremde hatte gehandelt, wie jedermann in diesem Land in seiner Lage gehandelt hätte.
Hätte wirklich jedermann so gehandelt? Ganz sicher nicht. Aber Jim Thorpe war nicht jedermann.
Er ritt weiter und verließ die kleine Stadt.
Heavens! Hier hatte er doch den Coup landen wollen, oder? Aber diese kleine Bank machte einen so kläglichen, armseligen Eindruck, daß ihm der Verzicht nicht schwer fiel.
Die Männer auf den Vorbauten sahen ihm mit harten Augen nach. Aber niemand riskierte ein Wort. Und die Fäuste in den Taschen interessierten den Reiter nicht.
*
Eddie Kish stampfte auf den Niedergeschossenen zu und wandte ihn auf den Rücken.
»Er ist tot«, stammelte er. »Tot…«
Ein paar von den Männern kamen näher heran und starrten in das vom Schmerz des Todeskampfes verzerrte Gesicht jenes Mannes, der viele Jahre in ihrer Mitte gelebt hatte. Den alle als einen hilfsbereiten, netten Menschen gekannt und geschätzt hatten. Jetzt lag er da mit erstarrten Augen, in denen sich der kobaltblaue Himmel Arizonas spiegelte.
Und da hinten ritt der Fremde, den niemand kannte, der vor Minuten in die Stadt gekommen war, der ein Menschenleben ausgelöscht und weiterritt.
Wie der Tod!
Dieser Gedanke drängte sich vor allem dem Sheriff auf, der mit dem Schmied befreundet war.
Und alle wußten sie, daß der Black-smith den Gaul des Fremden nur hatte aus der Sonne führen wollen.
Er lag ja nur zwei Schritte vor dem offenen Eingang seiner Werkstatt. Hätte er da etwa das Pferd verstecken können? Niemals! – Und die Leute von Pearce wußten, daß Flynn ein großer Tierfreund war.
Aber das hatte der Todesschütze ja nicht wissen können…
*
Jim Thorpe ritt nicht weit. Nur sieben Meilen.
Da tauchte hinter einer Bodenwelle ein junger Indianer auf einem gescheckten Pony auf. Als er den Weißen sah, stutzte er einen Augenblick, wandte dann das Pony nach Westen und trabte davon.
Jim Thorpe riß die Winchester aus dem Scabbard, zog sie hoch, und schon brüllte der Schuß über die Senke.
Der siebzehnjährige Atascora vom Stamme der Mescalero Apachen rutschte von seiner buntfarbigen Jacarilladecke in den gelben Staub.
Ein heißer Windstoß, der aus dem Süden kam, ließ den pulverfeinen Flugsand aufwirbeln. Und von einer siebzig Yard hohen roten Felssteinpyarmide stieg ein Savannenadler auf, der mit weitem Flügelschlag nach Osten davonzog.
Jim Thorpe lud aus seinem patronengespickten Waffengurt das Gewehr nach.
Dann hielt er auf den Indianer zu, blieb kurz neben ihm halten, sah, daß er tot war und ritt dann weiter. Er wandte sich nicht ein einziges Mal nach dem Roten um.
Jesse Hilborn hatte den Schuß gehört. Er war einer der Cowboys von der großen Flagger Ranch und hatte unten in Tombstone Draht für den Weidezaun bestellt.
Er kam hinter der roten Steinpyramide hervorgesprengt, sah Thorpe nach Süd-osten reiten, direkt auf den Felsen zu.
Hilborn hielt sein Pferd an.
Er hatte das Indianerpony entdeckt, sprengte näher und stieg ab.
Der Apachenjunge sah ihn aus brechenden Augen an.
Hilborn nahm ihn hoch und sah die große Wunde hinten links in seinem Rücken.
Dicker Schweiß brach dem Weidereiter aus.
»Warte!« stammelte er heiser und in ohnmächtiger Hilflosigkeit. »Warte, Red Boy – ich – ich habe in meiner Satteltasche Whisky…«
Er legte den tödlich Getroffenen wieder nieder, sprang auf und holte eine noch halbvolle Flasche aus seiner Satteltasche. Als er sie dem Indianer an die Lippen setzen wollte, hörte er eine schnarrende Stimme hinter sich:
»Laß die Flasche fallen und heb die Hände hoch!«
Hilborn zuckte zusammen und fuhr herum. Er sah in die scharfen stechenden Augen von Jim Thorpe.
»Was wollen Sie, Mann?« keuchte er erregt. »Er stirbt! Ich will ihm einen Schluck Whisky geben…«
»Du sollst die Flasche loslassen und deine dreckigen Kuhtreiberflossen heben!« fauchte Thorpe ihn gallig an.
Hilborn preßte die Zähne aufeinander und stand langsam auf. Die Flasche hatte er noch in der Linken.
»Weshalb?«
Eine häßliche Lache sprang von den schmalen Lippen des Mörders. »Du fragst zuviel, Cowboy! Er ist eine Rothaut! Eine ganz verdammte Rothaut. Und…«
»Sie schießen jeden Indianer nieder?« fragte Hilborn entgeistert.
»Yeah!« kam es schroff zurück.
»Mann, das wird Ihnen hier teuer zu stehen kommen. Er ist ein Apache…«
»Na und?«
Hilborn knurrte: »Haben Sie noch nie etwas von Cochise gehört?«
»Was geht der Halunke mich an?«
Hilborn wischte sich mit dem rechten Handrücken über die Stirn.
»Mann, wo kommen Sie eigentlich her? Hier ist Cochises Land…«
»Halt’s Maul, Kuhtreiber! Was kümmert mich die dreckige Rothaut!«
»Dreckige Rothaut?« Hilborn wich einen Schritt zurück. »Wer sind Sie bloß?«
Der sterbende Indianer lag mit glimmenden Augen im Sand und starrte zu den beiden Männern auf. Thorpe saß noch immer im Sattel.
Hilborn wandte den Blick auf den Roten. »Damned, sehen Sie nicht, daß er stirbt? Lassen Sie mich ihm doch einen Schluck…«
Wie ein Blitz zuckte es vor Hilborn auf. Die Flasche zersprang, und der Whisky zerrann im heißen Sand.
Der Cowboy hatte den Flaschenstumpf noch in der Hand und starrte auf den Revolver in Thorpes Hand. Bebend stieß er hervor:
»Sie sind wahnsinnig!«
»Vorwärts, Kuhtreiber!« fuhr ihn der Verbrecher an. »Steig auf deinen Gaul und sieh zu, daß du Land gewinnst! Ich könnte es mir sonst anders überlegen!«
Hilborn blieb stehen.
»Nein, ich – ich bleibe hier! Der Junge da…« Er hielt inne, denn er hatte gesehen, daß der Kopf des Indianers zur Seite rollte.
»Er – ist – tot…!« stammelte er heiser.
»Yeah. Und der Fall damit erledigt. Es gibt eine dreckige Rothaut weniger in diesem Land! Und dafür wird mir jeder Weiße dankbar sein! Vorwärts, verschwinde, Cowboy!«
Mit gesenktem Kopf wandte sich Jesse Hilborn ab und stampfte zu seinem Pferd.
Jim Thorpe hatte den Colt noch in der Hand. Spielerisch wog er ihn und ließ ihn dann ins Halfter zurückfliegen.
Sie ritten in verschiedene Richtungen davon.
Und im gelbroten Sand der Sierra Madre lag der tote Apache.
*
Jim Thorpe war nach Südwesten geritten. Nach Tombstone.
Ausgerechnet nach Tombstone!
In Breaktown hatte er gehört, daß Virgil Earp, der US Deputy Marshal von Tombstone, einer der bekanntesten Gesetzesmänner des Westens überhaupt, nach St. Louis geritten sei. Den Grund hatte er nicht erfahren können, aber der war auch bedeutungslos für ihn.
Für ihn war nur eines wichtig: nämlich die Tatsache, daß Virgil Earp nicht in