Magdalene legte ihr die Hand auf den Arm. »Ihr werdet euch eines Tages hier wohlfühlen, das weiß ich.«
Isabeau senkte den Blick. »Es ist eine Stadt voller Lutheraner.« Sie verfiel in die französische Sprache, wenn ihr etwas naheging.
Wenn sie so traurig redete, antwortete Magdalene auf Französisch, um sie zu trösten. Magdalene sprach flüssig Französisch, und sie tat es gern. Die Dinge wurden dann klarer, vielleicht, weil sie, wenn sie nach dem richtigen Wort suchte, auf eine gründlichere Weise nachdenken musste. »Ich bin auch lutherisch. Es sind nicht alle feindlich gegen euch. Sieh mich an. Ich zähle mich zu den Pietisten, und die sind von allen Lutheranern die mit dem tiefsten Glauben.«
Isabeau zuckte die Schultern. »Wodurch sollten sie auserwählt sein, eure Pietisten?«
»Sie haben herausgefunden, dass man die Liebe Gottes weitertragen muss«, erklärte Magdalene nachsichtig. »Barmherzigkeit ist eine der Aufgaben, die mir mein Glauben stellt. Ich bringe denjenigen von euch Brot, die sich keins leisten können.«
Isabeau seufzte und die kleine Marthe an ihrem Rockzipfel fuchtelte unruhig mit der freien Hand. »Frédéric sagt, dass die Pietisterei schädlich ist. Sie legen die Bibel allein aus, ohne einen Priester.« Sie gab Marthe, die nach den Äpfeln in den Verkaufskörben grapschte, einen Klaps und hielt die Kleine an der Hand fest. Als sie wieder in Magdalenes Gesicht sah, war ihr Blick verdunkelt, hellte sich aber beim Anblick der Freundin auf. »Schlechte Menschen könnt ihr Pietisten aber nicht sein, wenn ihr uns Brot bringt.«
Die beiden Frauen wandten ihre Aufmerksamkeit Marthe zu, die am Kleid ihrer Mutter zerrte. Isabeau gab ihrer Tochter einen erneuten Klaps und hob ihren Blick zu Magdalene. »Du musst die Liebe Gottes auch in deiner eigenen Familie weitertragen. Es wird Zeit, dass du ein zweites Kind bekommst. Wieso dauert das bei dir so lange?«
Isabeau meinte es gut. Magdalene wusste das, sie kannte ihre Freundin. Es quälte sie, dass Isabeau nichts über die Sache mit Hans wissen durfte. Vielleicht konnte Magdalene ein Geheimnis mit einem anderen gutmachen, wenn sie über das Amulett unter ihrem Hemd redete. Sie trug es auf der bloßen Haut, seit sie ein kleines Mädchen war. Ihre Amme Anna hatte es ihr vor vielen Jahren geschenkt; Magdalene hielt es sonst sorgfältig verborgen.
»Dies hier«, sie zog an der Lederschnur und nestelte das Schmuckstück heraus, »wird mir helfen. Es hilft mir immer, wenn ich mir etwas dringend wünsche.« Das Amulett war ein Oval aus Silber und Elfenbein, ein wertvolles Stück, das Wertvollste, was Anna je besessen hatte. »Das ist das Schutzzeichen der Guten Lubbe.« Sie öffnete den winzigen Verschluss und klappte das Deckelchen auf. Kleine weiße Knochenstücke lagen darin.
Isabeau ließ den Mund offenstehen und berührte mit der Fingerspitze einen der Splitter. »Was ist das?«
Magdalene klappte das Amulett zu und steckte es zurück an seinen Platz unter ihrem Hemd. »Es sind Knochen. Als ich klein war, hat meine Amme der Guten Lubbe ein Huhn geopfert. An den Knochen hat sie das Zeichen der Lubbe erkannt, dass ich mein Leben lang geschützt sein werde und dass die Lubbe mir in jeder Not beistehen wird.«
»Das ist Aberglauben«, flüsterte Isabeau.
»Das ist kein Aberglauben. Man kann nicht gleichzeitig an Gott glauben und abergläubisch sein. Das mit meinem Amulett ist etwas anderes als Aberglauben. Die Gute Lubbe gibt es wirklich. Sie hat mir immer geholfen und wird es auch dieses Mal tun. Sie wird dafür sorgen, dass ich noch mehr Kinder bekomme.«
Isabeau schüttelte zweifelnd den Kopf. »Gebete werden dir helfen. Gott wird dir ein Mittel schicken, das gegen Kinderlosigkeit hilft. Wer weiß, warum die erste Frau Rehnikel unfruchtbar war. Vielleicht ist sie auch so abergläubisch gewesen und das war ihre Strafe.«
Nicht immer war Magdalene klug genug, um vor dem Reden zu denken. »Wer sagt denn, dass es an der Unfruchtbarkeit der verstorbenen Frau Rehnikel gelegen hat? Die Ursache kann genauso mein Mann sein.« Sie bemerkte ihren Fehler, hob die Hand und fügte eilig hinzu: »Ich meine, bevor Hans da war, könnte man das vermutet haben, nicht wahr?«
Was für eine Dummheit war ihr entschlüpft! Mit einem Lächeln wollte Magdalene von ihrem unbedachten Geplapper ablenken.
Isabeau winkte ab und lächelte verschwörerisch zurück. »An deinem Mann liegt es nicht, der kann zeugen. Das weiß spätestens seit der Sache mit der Magd jeder. Das hat sich sogar bis zu uns herumgesprochen!«
Magdalenes Lächeln verschwand aus ihren Mundwinkeln. »Welche Sache mit welcher Magd?« Innerhalb eines einzigen Augenblicks war die Luft auf dem Markt stickig geworden. Ihr brannte die Kehle, als würde Galle hinablaufen.
Isabeau sah das erstarrte Gesicht der Freundin und zögerte. Ihre dunklen Augen blinzelten. »Du weißt nichts davon?« Sie zupfte befangen an Marthes Kleid und fuhr fort: »Die Leute sagen, dein Mann hätte einer Magd ein Kind gemacht. Es soll lange her sein, lange vor eurer Hochzeit. Man sagt auch, er hätte das Kind nach der Geburt beseitigt, aber das glaube ich nicht. Das haben die Leute hinzugefügt, damit sie wieder eine Schauergeschichte haben. Sonst wäre dein Mann doch vors Gericht gekommen.«
Magdalene brannten die Wangen rot. »Wann soll das gewesen sein?«
»Keine Ahnung.« Isabeau zwinkerte verlegen und ergänzte: »Auf jeden Fall ist es lange her. Es war schon längst passiert, als wir vor sechs Jahren in die Stadt gekommen sind.« Sie streichelte Magdalenes Arm und beschäftigte sich mit Marthe. Ihr war anzusehen, dass sie sich für ihr Geplauder am liebsten selbst geohrfeigt hätte. Isabeau zwinkerte nervös und verabschiedete sich Augenblicke später.
Ein Wind fuhr über den Platz. In einer Vorahnung von Herbst zog er an den Röcken und wirbelte Schmutz auf, der kurz in die Höhe flog und sich wieder auf das Pflaster senkte. Magdalene sah Isabeau nach, die mit Marthe auf dem Arm zwischen den Verkaufsständen verschwand. Sie atmete tief ein.
Als wäre Elses Aufsässigkeit nicht genug, worüber sie sich ärgern musste, setzte sich dieses dumme Gerücht wie Fliegen im Sommer auf ihren Gedanken nieder. Georg und ein Kind umbringen! Unfassbar, was für blödsinniges Geschwätz mancher breittratschte!
Von der anderen Seite des Platzes waren lautes Pfeifen und Beifall zu hören. Der erinnerte sie an die Komödie, wegen der sie auf den Markt gegangen war. Die Aufheiterung hatte sie dringend nötig. Magdalene wischte sich den Staub aus den Augen und schlenderte zu den Komödianten. Rings um eine Stelle seitlich des Corps du Garde, des Wachhauses der Soldaten neben dem Roten Turm, drängte die dichte Menge der Zuschauer. Seit Tagen erzählten die Leute über den Aushang der Schauspieler, ein auf grobes Papier gedrucktes Pamphlet, in dem sie die »Moritat von der Schwartzin und was ihr gar furchtbar widerfahren« ankündigten. In einer Stadt am Rand des großen Kurfürstentums Brandenburg gab es wenig Abwechslung. Aus diesem Grund war die Neuigkeit schnell durch die Gassen gelaufen und hatte viele Leute angezogen. Das Spiel wurde direkt vor dem Wagen der Schauspieler, einem hölzernen Fuhrwerk mit einer geflickten Plane, aufgeführt. Der Wagen musste für alles herhalten, als Bühne, Garderobe und Schlafplatz. Der magere Gaul stand in seinem Geschirr, weil die Komödianten nach der Aufführung den Platz bis zur nächsten Vorstellung räumen würden. Eine Menge Gaffer aus allen Teilen der Stadt und den Vorstädten hatte sich eingefunden, Kinder saßen auf dem staubigen Boden. Das Pfeifen zeigte, dass die Komödie schon im Gang war.
Magdalene näherte sich und ein paar Leute von niederem Rang machten ihr Platz. Sie gelangte nach vorn in die Nähe des Wagens, zwischen eine Fleischersfrau aus der Kuhgasse und einen fremden Burschen mit fransigem Haar. Vor ihren Füßen saßen ein paar vor Schmutz starrende Kinder. Die Komödianten waren zu dritt, einer von ihnen hatte sich als Frau verkleidet. Sein Gesicht war mit roten Apfelbäckchen und einem riesigen Mund bemalt. »Ja«, schrie er gerade mit einer verstellten hohen Stimme, »habt Ihr es denn nicht vernommen, den Lichtstrahl hab’ ich abbekommen!«
Ein zweiter Schauspieler, ein grellbuntes Wams am Leib und eine zerzauste Perücke auf dem Kopf, verbeugte sich. »Gute Frau, wer seid denn Ihr?«
»Die