Ketzerhaus. Ivonne Hübner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ivonne Hübner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783954628674
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(1518), Peter Tyle (1519), Matthias Rosenberg (1520) Doktor Joppener Physikus seit 1517 Valentin Trotzdendorf Unterschulmeister bis 1518 Johannes VIII. Bischof zu Meißen Thomas Leiße Erzpriester von Görlitz Dr. Martin Luther Theologe, Reformator, 1483–1546

       Als unser Gott und Herr Jesus Christus sagte:

       Tut Buße usw., da wollte er,

       dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei.

       Prolog

       Görlitz, Nebelung 1517

      Das Mädchen wurde von einem scharrenden Geräusch wach. Zuerst glaubte es, es sei wieder die Ratte. Eine fette Ratte hier oben unter dem Dach. Niemand schaffte es, die Ratte zu fangen. Nicht Meister Niklas, auch nicht sein Sohn Gunnar, nicht die klimpernde Reinhilde, des Meisters zweites Eheweib, und die schöne Peternelle erst recht nicht. Peternelle war die erste Magd. Das Mädchen die zweite. Keine Magd dieser Welt brachte eine so dreiste Ratte zur Strecke. Nicht die erste und nicht die zweite Magd.

      Da! Da war es schon wieder, dieses Scharren, dieses Kratzen, das sich mit dem tosenden Herbststurm vermengte. Doch nun mischte sich noch ein ganz dumpfes Rumpeln unter das Übrige. Das Mädchen setzte sich auf. Das Stroh raschelte unter ihm. Es versuchte die Geräusche der Nacht besser voneinander zu trennen und zu verstehen, was sich hier oben zutrug. Auf das Rumpeln folgte träges Schleifen. So etwas brachte selbst die allerfetteste Ratte nicht zustande. Hier oben unterm Dach gab es kein Fenster, durch das der Mond einen gnädigen Lichtschimmer hätte schicken können. Einzig die Vorstellungskraft des Mädchens erhellte die Sache. Ihre Fantasie war farbenfroh und unzuverlässig wie ein Frühblüher.

      Die Fingerkuppen ertasteten die rauen, knubbeligen Flicken auf der gemeinsamen Zudecke, fanden die Schultern der anderen und rüttelten so lange, bis Peternelle wach wurde. Natürlich hatte diese nur ein Murren für das Mädchen. „Lausch!“ Flüsternd reckte es den Hals in die stockdunkle Nacht. „Hörst du das nicht?“

      Peternelle schnaufte wie jemand, der in tiefen Schlaf zurücksank. Mit dem jetzt sehr nahen Krachen versteifte sich Peternelles Körper. Sie rappelte sich auf. Schulter an Schulter saßen beide reglos.

      „Sieh nach, was das ist!“, befahl Peternelle.

      Das Mädchen zögerte. Natürlich zögerte es. Wer wollte schon mitten in der Nacht – in einer eher kalten als wohligen Nebelungnacht – mit blanken Füßen über den kalten Dielenboden tapsen, um ein unheimliches Geräusch zu ergründen? So etwas macht doch keiner!

      „Na los!“, piekste Peternelles Zeigefinger sie gemein in die Seite. Ihr Tonfall war in den hohen Lagen altjüngferlich lang gezogen. Das Mädchen wusste, Peternelle würde es ihr bei nächster Gelegenheit heimzahlen, wenn es jetzt nicht gehorchte.

      Während das Mädchen nun also mit den Zehen nach ihren Holzschuhen tastete, die da irgendwo neben dem Strohlager sein mussten, wurde das Rumoren auf der anderen Seite der Bretterwand, die die Mägdekammer vom restlichen Dachboden trennte, immer drängender.

      Wie eine Blinde streckte das Mädchen die Arme weit von sich. Es wusste, es sind drei Schritte bis zur Wand, tastete sich bis dorthin und erstarrte wie ein Mime auf dem Marktplatz. Schritte: ganz deutlich. Und dann, keine zwei Herzschläge später, schlich ein Lichtschimmer unter und zwischen den groben Brettern der Tür hindurch. „Ich will lieber nicht …“ So ein dünnes Flüstern.

      „Schau nach, was dort los ist!“ Peternelles ruppige Art mochte täuschen.

      Die Jüngere legte die Hand vorsichtig auf den hölzernen Riegel. Der Riegel klemmte. Dann knarzte er, wie um gegen die nächtliche Störung zu protestieren. Es war also absolut unsinnig, sich die Mühe einer lautlosen Auskundschaftung zu machen und das Mädchen konnte da nicht ahnen, dass die Schritte genau gegenüber der Tür innegehalten hatten.

      Ihr Blick fiel direkt auf das, was ganz sicher nicht für Zuschauer aufgeführt wurde. Es waren zwei, eigentlich drei, aber einer zählte ja kaum, denn er war wohl tot. Jedenfalls hingen seine Arme schlaff herunter. Der Kopf wippte mit den schlurfenden Schritten der beiden, die den dritten trugen, beziehungsweise getragen hatten, bevor das Mädchen sie dabei ertappt hatte. Und jetzt starrten die beiden verblüfft herüber.

       Zuirst

       wird im irsten Teyl erzeleth, wie es sich zugethragen vom Frühjahr anno 1510 bis zum Ausklang anno 1512

       in der Parochie Hurke einem Flecken in

       der Landvogtey Görlitz

       Diese Worte können nicht von der sakramentalen Buße, d. h. von Beichte und der Genugtuung, die durch das Amt der Priester geübt wird, verstanden werden.

      Sie trippelte auf der Stelle, als übte sie eine Courante, obwohl sie nicht wissen konnte, wie man sie tanzte. Der Sandweg war so aufgeheizt. Wenn sie nicht die Grasbüschel traf, brannten ihre Fußsohlen. Den Krug umklammerte die Kleine. Kein Tropfen durfte verloren gehen. Sie musste ihn zum Schauplatz tragen. Dort würde ihre Mutter die Brui verkaufen. Das hatte der Herr Vater so aufgetragen.

      Er, Johannes Mälzer, hoffte auf das große Geschäft an diesem Tag. Einem Tag, an dem eine Schauhinrichtung für Abwechslung sorgen sollte. Das Mädchen, das behänd den Weg entlanghüpfte und das Krügelein balancierte, hatte keine konkreten Vorstellungen davon, was es bedeutete, zum Tode verurteilt zu sein. Sie hatte ihre Mutter mit den Weibern aus dem Dorf sprechen hören. Man äußerte sich erstaunt darüber, dass sich die Unholdin Margarete Rieger ausgerechnet das Wasser zu diesem Zwecke erwählt hatte. Die Kleine aber erstaunte es, dass ein Mensch nicht durch Gottes Hand, sondern durch Menschenhand hinübergeführt werden würde. Und wieso ertränken? Weil einem dann niemand beim Sterben zusehen konnte? Sie hätte niemals Ertränken ausgewählt. Das Mädchen war nicht in dem Alter, abzuwägen, auf welche Todesart ihre Wahl fallen würde. Sie war nicht in dem Alter, Vor- und Nachteile zu ermessen. Beim Erwürgen konnte man zumindest sitzen.

      Am Tage Marci, dem fünfundzwanzigsten des Ostermonds, sammelte sich nun also das halbe Dorf am Fluss mit Namen Weißer Schöps und der Krug wurde schwer.

      Der Schöps kam vom Süden, vom Eigen, führte dunkelgrünes Wasser, roch eigentlich nach Gras und war an einigen Stellen so tief, dass man fürchten musste, er sei von Querxen und anderen Gestalten bevölkert. Den Mälzerhof fand man am Schwarzbach im südöstlich von Horka gelegenen Mückenhain. Dort floss das Wasser stetig. Unaufgeregt.

      Des Mädchens Augenmerk galt dem Krug und nichts als ihm. Das bauchige Gefäß in ihren schmalen Händen wurde immer schwerer. So schwer. Die Kostbarkeit, für die sie Verantwortung trug, war unter einem festgezurrten Tüchlein vor Schmutz und Fliegen geschützt. Ihm entströmte der saure Geruch, der überall in ihrem Elternhaus hing und legte sich über den zarten Duft der ersten Blüten am Feldrain.

      Von Ferne war dies sensationslüsterne Rufen und Lachen zu hören. „Du wirst gut hinsehen, wenn es so weit ist!“, hatte ihre Mutter gemahnt. Aber noch war es nicht so weit. Vorerst