Die REM-Phasen, die zehn bis 60 Minuten dauern können, werden von den sogenannten Non-REM-Schlafphasen unterschieden. Ein gesamter Schlafzyklus, der beide Phasen umfasst, dauert ca. 90 Minuten. In der ersten Nachthälfte dominieren der Tiefschlaf-, gegen Ende der Nacht die REM-Phasen. Die Non-REM-Schlafphasen sind von unterschiedlich tiefem Schlaf gekennzeichnet. Mit zunehmender Schlaftiefe sinkt in der Non-REM-Phase die Herzfrequenz ab. Die Schlafforschung hat inzwischen festgestellt, dass wir sowohl in REM-Phasen als auch in Non-REM-Phasen träumen, dass die Träume in den beiden Phasen jedoch eine deutlich andere Qualität haben: Während Träume in der REM-Phase lebendig, bildhaft, emotional und häufig mit dem Vorherrschen des Visuellen verbunden sind, erscheinen Träume in der Non-REM-Phase kürzer, rationaler und logischer aufgebaut. Letztere sind dem Wachdenken ähnlicher.
Zu Testzwecken wurden Schläfer über mehrere Nächte hinweg konsequent geweckt, wenn das EEG (Elektroenzephalogramm) den Beginn eines Traumes anzeigte. Dabei zeigte sich: Wird eine Person über längere Zeit am Träumen gehindert – wohl gemerkt am Träumen und nicht am Schlafen –, treten bei Tage zunächst Ängste, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, bei längerer Traumverhinderung dann Bewusstseinsstörungen und Halluzinationen auf. Die Testpersonen wurden mehr und mehr depressiv. Die Gefahr, bei einem Verkehrs- oder Arbeitsunfall zu verunglücken, stieg um das 2,5-Fache. Nach etwa spätestens sieben Nächten mit andauerndem Traumentzug erfolgte ein totaler seelischer Zusammenbruch, dem Zustand einer Psychose vergleichbar. Ohne eine lebensbedrohliche Gefährdung der Versuchspersonen zu riskieren, ließ sich das Experiment nicht fortsetzen.
Weiter konnte festgestellt werden, dass diese Personen nach Beendigung der Testphase in den Nächten nach dem Traumentzug eine vermehrte Traumaktivität aufwiesen; in den ersten Nächten stiegen die Traumphasen von vorher 19 auf 28 Prozent. Die Versuchspersonen verschafften sich also, vereinfacht formuliert, so etwas wie einen Ersatz für die in der Nacht zuvor gestohlenen Träume.
Diese Versuche machen auf eindrückliche Weise deutlich, dass die Traumtätigkeit einen Sinn haben muss. Sie ist eine psychische Notwendigkeit für eine Bewusstseinsklarheit im Wachzustand. Allgemeiner gefasst: Körperliches Ausruhen im Schlaf und Träumen sind nicht dasselbe. Das Träumen ist unerlässlich für die Aufrechterhaltung des seelischen Gleichgewichts. Das gilt selbst dann, wenn die Träume nicht erinnert werden können.
2.2 Der neurobiologische Hintergrund von Träumen
Machen wir uns nun noch einige neurobiologische Zusammenhänge klar, die die Traumforschung herausgefunden hat:
Wir wissen heute, dass der Wach- und der Schlafzustand von zwei verschiedenen Gehirnzentren gesteuert werden, die beide im Hirnstamm, dem ältesten Teil des Gehirns, lokalisiert sind. Im Wachzustand ist das Wachzentrum aktiv. Es bewahrt uns, solange es aktiv ist, vor dem Einschlafen. Solange dies geschieht, haben wir auch Zugang zu unserer Motorik. Im Schlafzustand dominiert das Schlafzentrum. Im Schlaf bestehen andere neuronale Verbindungen zwischen einzelnen Hirnregionen und -funktionen als im Wachzustand. Dies möchte ich jetzt skizzieren, weil diese neurobiologischen Einsichten helfen können, ein vertieftes Verständnis für die Bedeutung von Träumen zu erschließen. Am Träumen sind nach Michael Ermann10 verschiedene Regionen des Gehirns beteiligt:
– Das Frontalhirn, also das Stirnhirn: Hier befindet sich in der weißen Substanz oberhalb der Augenhöhlen ein Bündel von Nervenfasern, von dem aus die Traumtätigkeit durch Ausschüttung der Überträgersubstanz Dopamin in den übergeordneten Hirnregionen ausgelöst wird. Diese Substanz motiviert das, was ganz allgemein als Begehren, also die Libido, bezeichnet werden kann. Die Region des Frontalhirns kann man als Motivationssystem bezeichnen.
– Die beiden seitlichen Partien des Gehirns oberhalb der Ohren, die Temporallappen: Hier befindet sich die Region, in der Wahrnehmungen zu Gedanken und Erinnerungen weiterverarbeitet und wieder abgerufen werden können. Sie gelten als das Gedächtnis- und Wahrnehmungssystem.
– Das Zwischenhirn im Innern, das den Hirnstamm mit dem Neuhirn (der Hirnrinde) verknüpft: In dieser Region sind vornehmlich der Hippocampus, der die Form eines Seepferdchens hat, und die Amygdala, der Mandelkern, an der Gestaltung von Träumen beteiligt, die zum Beispiel für die Affektivität in Träumen zuständig sind. Man kann auch von einem Emotionssystem sprechen.
Es zeigt sich also, dass die psychologisch bedeutenden Gehirnregionen des Begehrens, der (emotionalen) Verarbeitung von Informationen und der Verwaltung der Erinnerungen an Erfahrungen an der Traumentstehung maßgeblich beteiligt sind und hoch differenziert zusammenwirken. Parallel dazu sind die für die motorische Aktivierung zuständigen Regionen beim Träumen deaktiviert.
Neurophysiologisch betrachtet kann man das Gedächtnis als einen dynamischen Zustand von elektrisch messbarer Aktivität verstehen. Träumen führt zu Veränderungen dieses Zustandes, indem funktionelle Verknüpfungen aktiviert oder neu geschaffen werden. Die biologische Basis ist der Transfer von elektrischer Aktivität zwischen den Nervenzellen. Träumen (und Entsprechendes gilt auch für das Lernen) bewirkt eine Veränderung der elektrischen Potenziale des Gehirns. Diese Änderungen können von langer Dauer sein, sind aber zugleich auch veränderbar. Das Gehirn befindet sich demnach – und das gilt auch für die Gehirnaktivität beim Träumen – auf der einen Seite in einem Zustand von relativ hoher Konstanz, auf der anderen Seite kommt es kontinuierlich zu Neuverschaltungen in den Synapsen. Darin ist begründet, dass es bis ins hohe Alter möglich ist, zu lernen.
Veränderung ist einerseits Zuwachs an Neuverschaltungen in den Synapsen, andererseits bedeutet sie Umbau vorhandener Verschaltungen. Durch neue neuronale Verknüpfungen findet im Gehirn während des Schlafs eine sukzessive Umorganisierung statt. Das Träumen verändert also das Gehirn, und diese Veränderung hat wiederum Auswirkungen auf das Träumen. Solche Veränderungen geschehen das ganze Leben lang. Allerdings geschehen sie sehr langsam. Aus diesen Einsichten ergibt sich für das Verständnis der Funktion von Träumen, dass sie als eine besondere Form des Lernens zu sehen sind, die das Gedächtnis sukzessiv modifiziert.
Für das Verstehen der Bedeutung unserer Traumfähigkeit ist die Unterscheidung zwischen zwei Arten von Gedächtnisaktivitäten wichtig:
– das prozedurale (auch „implizite“) oder „Prozessgedächtnis“
– das deklarative (auch „explizite“) oder „Inhaltsgedächtnis“.
Das prozedurale Gedächtnis enthält Wissen über das Wie von Informationen, das deklarative über das Was. Beim Träumen werden zwar beide Arten von Informationen aufgerufen, es überwiegen jedoch diejenigen des impliziten Prozessgedächtnisses. Der Traum interessiert sich sozusagen mehr für die Informationen über das Wie, also den Modus von Erfahrungen, Handlungen und Beziehungen. Diese Informationen sagen uns, „wie etwas geht“ oder wie man etwas macht, zum Beispiel wie man lernt, spricht oder sich in Beziehung setzt. Dieses „selbstverständliche“ Wissen haben wir uns irgendwann zum Teil in frühester Kindheit angeeignet und wissen doch nicht, wo und wie. Das implizite Gedächtnis arbeitet nicht begrifflich, sondern es ist in somatisch-affektiven Zuständen strukturiert. In ihm lagert auch der wesentliche Teil des Beziehungswissens, das durch frühe Entwicklungsprozesse und Bindungserfahrungen mit den Eltern angelegt ist. Beim Träumen ist das gesamte limbische System mit der Amygdala hoch aktiv. Darin liegt, neurologisch betrachtet, der grundlegende Bezug des Traumes zur Emotionalität begründet. Diese Regionen sind unter anderem für die Basisemotionen wie zum Beispiel Lust, Wut, Furcht, Panik verantwortlich.
Was sagen diese Einsichten über die Bedeutung unserer Fähigkeit zu träumen? Die neurobiologische Funktion der Träume ist in zweifacher Hinsicht zu bestimmen:
Zum einen besteht der wesentliche Nutzen der Träume in der Steigerung der Lern- und Gedächtnisleistung. Schlaf und Traum haben Bedeutung für die Lernfähigkeit und die Gedächtnisbildung. Während des Tages Gelerntes wird nur im Schlaf sicher ins Langzeitgedächtnis überführt und damit wirklich dort integriert. Der Hippocampus, der vielfältig mit dem unser Denken ermöglichenden Kortex verknüpft ist,