Der etwas andere Kurzgeschichten-Adventskalender. Sandra Bollenbacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Bollenbacher
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347143609
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Januar verging recht ruhig. Dr. Resch – den ich sehr gut bezahlte – kam zweimal die Woche, um nach meiner Frau zu sehen, und bald schon hörte sie auf, über ihre merkwürdigen Finger oder Hände zu sprechen. Größtenteils blieb sie in einem der Schlafzimmer und verließ kaum noch das Haus. Ich dachte, ich hätte sie ein paarmal dabei erwischt, wie sie ihre Hand anstarrte, doch sobald sie mich sah, versteckte sie sie schnell unter der Decke.

      Während das, was sie sagte, wieder normaler wurde, wurde ihr Verhalten unausstehlich.

      Ich bat Elke darum, zu uns zu kommen und mir mit dem Haushalt zu helfen, denn obwohl das Haus klein war, war ich es doch nicht gewohnt, mich alleine darum zu kümmern. Elke ist meine Stiefschwester, aber jeder hält sie für meine Cousine. Seit Marina sie auf unserer Hochzeit zum ersten Mal gesehen hatte, dachte sie, dass Elke heimlich in mich verliebt war. Selbstverständlich konnte ihr Elke nie etwas recht machen. Sie putzte die Küche nicht gründlich genug; sie hing das falsche Vogelfutter auf die Terrasse, und selbst wie sie Kaffee kochte, verärgerte Marina. Nach wenigen Tagen hielt es Elke nicht länger aus und verließ uns wieder. Wollte Marina stattdessen eine Haushaltshilfe einstellen? Nein. Sie wollte keinen Fremden im Haus und außerdem könnten wir es uns eh nicht leisten, sagte sie.

      Doch es war nicht nur ihre Laune, die konstant schlechter wurde, sie gewöhnte sich auch einige schlechte Verhaltensweisen an: Sie streute Salz in meinen Kaffee, wenn ich gerade nicht hinsah, sie schnitt Löcher in die Zeitungen, und eines Morgens warf sie alle Spiegel aus dem Fenster. Als es März wurde, war es nicht mehr möglich, sich mit ihr zu unterhalten. Entweder hört sie nicht zu oder sie schnitt mir das Wort ab, um über einfach alles zu meckern.

      Wie die Orangen.

      Ostern kam und sie verließ kaum noch das Bett. Ich war unterdessen ins andere Schlafzimmer umgezogen, da mein Atmen sie nachts nicht schlafen ließ.

      Ich weiß nicht, was sie den ganzen Tag da drin gemacht hat. Sie bat mich weder um Bücher noch schaltete sie den Fernseher ein. Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, dass sie entweder ihre Hand anstarrte oder sich überlegte, was sie noch nerven könnte, sodass sie mich sofort anschreien konnte, sobald ich das Zimmer betrat.

      Das Zimmer betrat ich immer seltener.

      Ich wusste, es war nicht ihre Schuld. Ich wusste, dass ich ungerecht war, doch ich hielt es einfach nicht mehr aus. Ich hielt sie einfach nicht mehr aus. Allein der Klang ihrer Stimme ließ meine Haare zu Berge stehen und ich musste sehr mit mir ringen, mich nicht einfach ins Auto zu setzen und nicht zurückzukommen.

      Dr. Resch sagte, dass sie mich brauchte.

      Dr. Resch sagte auch, dass wir ein neues Medikament ausprobieren sollten, und das taten wir.

      Zuerst dachte ich wirklich, dass es helfen würde. Marina wurde sehr viel umgänglicher und im Juni zog ich zurück in unser gemeinsames Schlafzimmer. Sie wollte allerdings nicht, dass ich sie berührte, und das Bett verließ sie nur einmal am Tag, morgens um acht, wenn ich unten war, um das Frühstück zu machen.

      Einmal dachte ich, dass Marina sich erkältet hatte. Hatte sie die vergangenen Wochen tagsüber noch aufrecht im Bett gesessen, so lag sie nun, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, und zitterte leicht. Sie sprach jetzt nur noch sehr wenig. In die Decke gewickelt lag sie den ganzen Tag im Bett und starrte an die Decke. Als ich Dr. Resch rief, ließ sie ihn jedoch nicht an sich heran, sondern schrie und spuckte nach ihm. Mir war das so peinlich, dass ich ihn nie wieder anrief. Noch nicht einmal im Juli, als sie mich bat, ihr eine Wollmütze zu bringen. Als ich sie ihr auf den Kopf setzte, dachte ich, dass ihr Haar sehr dünn und wenig geworden war, aber ich sagte ihr nichts davon. Monatelang nur im Bett zu liegen, war nicht gerade gesund, das wusste ich.

      Manchmal bewegten sich stumm ihre Lippen. Manchmal fragte sie mich nach Fritz und warum niemand etwas gemerkt hatte. Oder sie meinte, dass es nun Sinn machte, dass man ihn nie gefunden hatte. Ich glaube, die neuen Tabletten halfen ihr überhaupt nicht. Sie stellten Marina nur ruhig.

      »Ich fahre jetzt zum Supermarkt«, sagte ich ihr an einem schönen Nachmittag im August und streichelte ihre Wange, deren Haut beinahe transparent wirkte durch den Mangel von Sonnenlicht. Ich bekam keine Antwort, doch das war nichts Ungewöhnliches. Rückblickend denke ich, dass ich etwas Merkwürdiges an der Bettdecke bemerkt hatte, doch ich konnte beim besten Willen nicht sagen, was es war.

      Zwei Stunden später war ich wieder zurück und meine Frau war fort.

      Das Bett war leer, nur die Wollmütze lag auf dem Kissen. Ich rannte runter, rief ihren Namen, suchte im Haus, im Garten, auf den Straßen, an der Küste – überall. Das Gleiche tat die Polizei dann tagelang, zu Land und zu Wasser.

      Wir haben sie nie gefunden.

      Eine Weile bildete ich mir ein, ihre schwache Stimme nach mir rufen zu hören. Ich konnte nicht mehr zurück in ihr Zimmer gehen, zu lebendig war das Bild, wie sie da im Bett lag, vor meinem inneren Auge.

      Im September verkaufte ich das Haus. Ich bin nie zu unserem alten Zuhause in der Stadt zurückgekehrt, sondern habe es ebenfalls verkauft und bin ins Landesinnere gezogen. Hier lebe ich nun mit meiner zweiten Frau, Isabelle.

      Ich versuche sehr, nicht an Marina zu denken, doch immer, wenn Isabelle grundlos wütend wird, werden die schmerzhaften Erinnerungen wach.

      Und manchmal … manchmal denke ich, dass vielleicht wirklich etwas nicht gestimmt hatte mit ihrer Hand. Es ist so, als ob man etwas sieht, aber gleichzeitig doch nicht sieht. Vielleicht war es das, was sie hat verschwinden lassen.

      Lisa Darling

      PHASE

      Ich wollte es ihm schon die ganze Zeit sagen. Immer wieder. Ich nahm es mir oft vor. Einfach, weil ich die Schnauze voll hatte und nie wusste, wie ich ihm gewisse Reaktionen von mir erklären sollte. Zum Beispiel, wenn ich irgendwann am Abend in Tränen ausbrach, nur weil er mich den ganzen Tag ignoriert hatte. Oder warum ich irgendwann so abweisend wurde zwischendurch, wenn wir zu dritt mit noch einem Mädchen umherliefen und ich die zwei dann immer nur kühl distanzierte. Oder weshalb ich manchmal einfach stumm wurde, ihn anzickte und keine Lust mehr hatte, mich mit ihm zu unterhalten. In Wahrheit war das immer, weil ich dann rasend vor Eifersucht war. Die anderen Mädchen bekamen so viel Aufmerksamkeit von ihm. In meinen Augen zumindest. Ich konnte nichts dafür. Ich war so. Ich versuchte jedes Mal, es zu unterdrücken, aber es klappte einfach nie. Die Eifersucht war da. Weil er mir was bedeutete. Vor einer Weile noch hatte ich mir immer eingeredet, dass ich bloß Angst hatte, ihn als Kumpel zu verlieren, wenn er irgendwann eine Freundin hatte. Das war in der Tat immer noch so. Aber zu der Zeit redete ich mir ein, dass das der einzige Grund für meine Reaktionen war. Jetzt wusste ich es besser. Und wie gesagt, ich wollte es ihm ständig sagen, weil ich es irgendwo in mir eigentlich schon längst wusste. Aber ich hatte dann immer die Hoffnung oder auch die Idee, dass es ja einfach nur so eine Phase von mir sein könnte, in der ich ihn eben gerade mal lieber mochte als sonst. Das musste ja nicht gleich Liebe sein! Das ging sicher wieder weg! Also ließ ich es jedes Mal bleiben und schwieg weiter und heulte viele Nächte zu Hause durch. Nicht, dass sich das ändern würde, wenn ich es ihm sagte. Er empfand nicht das gleiche für mich. Das wusste ich. Das hatte ich von anderen erfahren und wusste es auch einfach durch sein Verhalten. Weil ich ihn kannte. Warum also Gefühle entblößen, wenn sie vielleicht nicht einmal echt waren?

      Außerdem kam zusätzlich noch die Angst hinzu, dass er sich mir gegenüber dann anders verhalten könnte. Vielleicht wäre er distanzierter oder würde sogar eine Weile gar nicht mehr mit mir sprechen, weil er mir keine Hoffnungen machen wollte!? Das war nämlich meine Art, auf so etwas zu reagieren. Ob ich es wollte oder nicht. Dieses Verhalten bei mir geschah einfach jedes Mal aufs Neue von ganz allein.

      Irgendwann jedoch, vor gar nicht so langer Zeit, gab ich auf und stellte letzten Endes doch fest, dass so eine »Phase« nicht ein Jahr oder länger anhalten konnte, sondern dass da wirklich etwas sein musste. Und so gestand ich es mir ein. Kniff jedoch trotzdem jedes Mal, wenn ich drüber nachdachte, es ihm zu sagen. Vielleicht ahnte er es auch schon? Schließlich waren meine Reaktionen und Ausbrüche manchmal wirklich seltsam. Und