Dr. Katja Arndt riss begeistert die Augen auf. Es sah einen Moment so aus, als wollte sie dem Klinikchef enthusiastisch um den Hals fallen und ihn küssen. „Dann ist auf der Terrasse sitzen zu wenig“, sagte sie.
„Wie bitte?“
Katja Arndt sah Sören Härtling mit freudestrahlenden Augen an. „Sie sagten, Sie würden diesen wunderbaren Abend mit Ihrer Frau auf der Terrasse genießen. Ein Glas Wein. Ein nettes Gespräch … Und ich sagte, ich würde das mit meinem Mann vielleicht auch tun, doch nun gibt es einen erfreulichen Grund zum Feiern, und deshalb werde ich meinen Mann bitten, mit mir auszugehen.“
„Na, dann viel Spaß“, sagte der Klinikchef und ging zu seinem Wagen.
Katjas Auto stand nicht so nahe beim Klinikeingang. So privilegiert waren nur Dr. Sören Härtling, Dr. Daniel Falk, Dr. Andrea Kellberg und Dr. Renate Sanders. Als die aparte Internistin den Parkplatz überquerte, rief hinter ihr plötzlich jemand ihren Namen. Sie blieb stehen, drehte sich um und sah eine große, schlanke Frau mit schulterlangem blondem Haar, auffällig gekleidet und mit recht viel Schmuck ausgestattet, auf sich zukommen.
„Katja! Meine Güte, du bist es wirklich. Ich dachte zuerst, ich würde mich irren, aber nein, du bist es, du bist es.“
„Und du bist Biggi.“
„Erraten.“
„Biggi Ruprecht.“
Die Blonde breitete lachend die Arme aus. „Wie sie leibt und lebt.“
„Du siehst phantastisch aus“, stellte die Internistin neidlos fest.
„Mir geht es sehr gut“, erklärte Biggi Ruprecht strahlend. Sie trug an jedem Finger einen hübschen Ring, hatte sich schon als Teenager gerne geschmückt. Damals mit billigem Talmi. Heute war alles, was an ihr blitzte und funkelte, mit Sicherheit echt.
„Warst du in der Klinik?“, fragte Katja.
„Ja, ich habe eine Bekannte besucht. Sie wird morgen entlassen, hatte einen Autounfall, humpelt mit ’nem Gipsbein herum. Und was machst du hier?“
„Ich arbeite in der Paracelsus-Klinik.“ Es klang stolz, wie Dr. Katja Arndt das sagte.
Biggi Ruprecht war beeindruckt. „Ist nicht wahr. Seit wann?“
„Seit einem Monat. Morgen unterschreibt der Klinikchef meinen Dienstvertrag.“
„Hast du Lust, das mit mir zu feiern?“, fragte Biggi Ruprecht spontan.
„Feiern werde ich es“, sagte Katja Arndt, „aber mit Norbert, meinem Mann.“
„Wir haben uns lange nicht gesehen. Wir müssen uns unbedingt mal zusammensetzen und reden.“ Biggi Ruprecht öffnete ihre Designer-Handtasche und gab der Freundin ihre Karte. „Rufst du mich an?“
Die Ärztin nickte und warf einen Blick auf die Karte. „Noble Wohngegend.“
„Ich hab’ mir da ein nettes kleines Häuschen gekauft. Es wird dir gefallen.“
Katja steckte die Karte ein. „Ich lass’ von mir hören.“
„Feiert mal schön.“
„Das werden wir tun“, versicherte Dr. Arndt und ging zu ihrem Wagen. Während sie einstieg, sah sie, dass Biggi Ruprecht sich in einen dicken BMW setzte. Sie muss auf eine Goldader gestoßen sein, dachte Katja. Hat sie reich geheiratet? Auf ihrer Karte steht ihr Mädchenname. Welchen Beruf übt sie aus? Ihre Karte gibt darüber keine Auskunft.
Katja war sicher, dass Biggi ihr alle Fragen beantworten würde, wenn sie demnächst wieder mit ihr zusammenkam.
2
Ottilie, die grauhaarige Haushälterin der Familie Härtling, war zu Besuch bei Veronika Triebe, einer alten Bekannten. Das Wohnzimmer war vollgestellt mit alten Möbeln. Frau Triebe hatte früher in einer größeren Wohnung gewohnt, sich nach dem Tod ihres Mannes vor sieben Jahren nach einer kleineren Unterkunft umgesehen und fast alle Möbel mitgenommen.
Obwohl das Wohnzimmer nicht klein war, fühlte Ottilie sich darin beengt. In einem großen Käfig neben dem Fenster saß ein schöner Nymphensittich. Obwohl das Türchen offen war, kam er nicht heraus. Offenbar hatte er Angst vor Ottilie.
„Seit ich regelmäßig meinen Tee trinke, fühle ich mich wie neugeboren“, erzählte Veronika Triebe ihrer Freundin, während Bubi, der Sittich, sein Gefieder säuberte.
„Was ist das denn für ein Tee?“, erkundigte sich Ottilie, der gleich beim Eintreten aufgefallen war, dass Veronika heute frischer und vitaler wirkte als bei ihrem letzten Besuch.
„Er entwässert und fördert die Ausscheidung von Harnsäure“, sagte Frau Triebe.
„Und wie heißt er?“
„Vollmers Tee.“ Veronika Triebe holte die Packung und eine kleine Informationsschrift. Unter der Überschrift „Aktuelles aus der Naturheil-Medizin“ stand: Das Geheimnis vieler Erkrankungen liegt in Störungen der Verdauung. Die Nahrung bleibt zu lange im Körper. Damit verzögert sich die Ausscheidung von Stoffwechselabbauprodukten, der Kreislauf möglicher Gesundheitsstörungen beginnt: Viele Menschen klagen dann über nervöse Erschöpfung, Nervenschwäche und sogar Kopfschmerzen.
„Dieser präparierte grüne Hafertee fördert die Verdauung, regt den Gesamtstoffwechsel an, vermindert die Möglichkeit der Wasseransammlung im Körper und ist ein hervorragendes Aufbau- und Kräftigungsmittel“, erklärte Ottilies Freundin.
Die Wirtschafterin der Familie Härtling nickte interessiert. „Und wo bekommt man es?“
„In Apotheken und Reformhäusern.“
„Muss ich mir merken“, sagte Ottilie. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und erschrak. „Gott, so spät schon. Ich muss gehen.“ Als sie sich erhob, flog Bubi aufgeregt im Käfig hin und her.
„Verrückter Kerl“, schalt Veronika Triebe ihn. „Ottilie tut dir doch nichts.“
„Sprichst du oft mit ihm?“, fragte Ottilie, während sie ihre Handtasche aufnahm.
„Eigentlich immer, wenn ich allein bin, und er hört mir aufmerksam zu.“
„Und widerspricht dir nie“, sagte Ottilie schmunzelnd und verließ mit der Freundin das enge Wohnzimmer. Nicht einmal die Tür konnte man ganz aufmachen, weil ein alter Schrank dahinterstand und dies verhinderte.
Frau Triebe seufzte. „Wenn ich doch nur das Herz hätte, mich von drei, vier Möbelstücken zu trennen, aber an jedem einzelnen hängen so viele Erinnerungen, dass ich einfach nichts rausschmeißen kann.“
„War wieder mal nett, mit dir zu plaudern“, sagte Ottilie.
„Wir sehen einander hoffentlich bald wieder.“
„Ich rufe dich an, wenn ich Zeit habe“, versprach Ottilie und ging.
Nur eine halbe Stunde später servierte sie der Familie Härtling das Abendessen. Es grenzte an Zauberei, und sie verriet nicht, wie sie es gemacht hatte.
3
Zur selben Zeit aß auch das Ehepaar Lassow zu Abend. Allerdings nicht zu Hause, sondern in einem netten kleinen Restaurant nahe dem Gärtnerplatz-Theater.
Trix und Axel Lassow hatten es ihren Kindern Sören und Michaela freigestellt, mitzukommen oder sich von Fastfood zu ernähren, und die beiden hatten sich für letzteres entschieden, was vor allem Axel Lassow, der bekannte Rechtsanwalt, nicht verstehen konnte.
Wenn er hungrig war und es sehr eilig hatte, kam es schon mal vor, dass er einen Hamburger aß. Er lehnte diese Art der Nahrungsaufnahme nicht grundsätzlich ab, aber wenn er