Zusammenhänge von Übergewicht mit der Entstehung von Prostatakrebserkrankungen sind nicht eindeutig bzw. umstritten. Eindeutig ungünstige Einflüsse gibt es nur bei ausgeprägtem Bauchfett sowie bei sehr starkem Übergewicht in der Jugend (BMI > 32) (Richter 2008).
Vieles spricht allerdings für einen ungünstigeren Verlauf bei einer Gewichtszunahme während des Krankheitsverlaufs (Troesdel et al 2020). Auch das Wiedererkrankungsrisiko soll bei einer Gewichtszunahme höher sein (Khan et al 2017, Pischon et al 2008, Brown et al 2009, Hayashi, N et al 2014, Richter 2008).
Je häufiger direkte Angehörige – etwa die Brüder oder der Vater – erkrankt sind, desto höher ist das eigene Erkrankungsrisiko. Eindeutige, auf eine Vererbbarkeit hinweisende, molekulargenetische Abweichungen gibt es allerdings nur für das mutierte BRCA2-Gen. BRCA2-Träger erkranken häufig an einem aggressiven Prostatakrebs (Chakraborty et al 2019).
Der Anteil jugendlicher Prostatakrebspatienten (< 40 Jahre) hat in den letzten Jahren signifikant zugenommen. Angeborene „Krebsgene“ könnten der Grund hierfür sein. Möglicherweise werden bei zusätzlichen Einflüssen (etwa genitalen Infektionen, Übergewicht und Bewegungsarmut) diese angeborenen und latenten Krebsgene und -zellen aktiviert.
Mäßiger Alkoholkonsum hat scheinbar eher einen schützenden als krebsfördernden Einfluss (Downer et al 2019). Starker Alkoholkonsum gilt hingegen als Risikofaktor.
Überraschend und schwer erklärbar sind die Ergebnisse mehrerer Beobachtungsstudien, wonach Typ-2-Diabetiker seltener an Prostatakrebs erkranken (Khan et al 2017, Baradaran et al 2009, Hemminki et al 2010). Dies steht völlig im Gegensatz zu den Erfahrungen bei anderen Krebserkrankungen.
In prospektiven Kohortenstudien zeigte sich konsistent eine Verbindung zwischen dem Konsum von Milchprodukten und Prostatakarzinomen. Die Risikoerhöhung erklärt man mit dem hohen Insulin-like-Growth-Factor-1-Spiegel in der Milch
Hypothesen zum Einfluss von starkem Übergewicht auf den Verlauf einer Prostatakrebserkrankung:
• Das Gewebe ist bei übergewichtigen Männern aufnahmefähiger für die Invasion und Ausbreitung von Krebszellen.
• Übergewicht beeinflusst den Testosteronspiegel.
• Übergewicht geht mit oxydativem Stress für die Prostatazellen einher.
• Die assoziierte Insulinresistenz führt zu einer kompensatorischen Vermehrung Insulin-ähnlicher Wachstumsfaktoren (IgF1).
• Die im Fettgewebe produzierten Adipokine und Signallipide fördern das Zellwachstum (Hoda et al 2010).
• Übergewichtige sind oft körperlich inaktiv (Bewegungsarmut gilt als Krebsrisikofaktor).
• Die Radikalität der Operation und die Dosierung der Strahlentherapie werden erschwert, weshalb es häufiger zu einer Wiedererkrankung kommt.
• Hormon- und Chemotherapie lassen sich schwerer dosieren.
Kommentar und Empfehlungen: Untersuchungen zum Einfluss von Übergewicht, Alkoholkonsum und Typ-2-Diabetes auf das Erkrankungsrisiko haben sehr widersprüchliche Ergebnisse erbracht. Die methodische Vielfalt – und daher schwierige Vergleichbarkeit – von Studien kann hier einer der Gründe sein. So werden in manchen Arbeiten latente Karzinome nicht von fortgeschrittenen und aggressiven Tumoren unterschieden. Ja, häufig wird der Einfluss auf die Krebsentstehung mit dem Einfluss auf den Krankheitsverlauf und die Sterblichkeit in „einen Topf geworfen“. Ob die Prostatakrebserkrankung selbst oder Begleiterkrankungen die Todesursache waren, lässt sich häufig nur schwer feststellen.
Übereinstimmend wird in vielen Arbeiten auf das erhöhte Risiko von Übergewicht im jugendlichen Erwachsenenalter hingewiesen. Ein BMI von 25 bis 29 ist demnach bei älteren Männern (> 65 Jahre) nicht besorgniserregend; bei jüngeren Menschen (< 45 Jahre) hingegen ein Erkrankungsrisiko (Behrens et al 2018).
Experten meinen, Übergewicht im jugendlichen Erwachsenenalter wirke sich ungünstig auf die klinische Manifestation von Prostatakrebs im fortgeschrittenen Altem aus (Giovannucci et al 1997, Brown et al 2009). Besonders krebsgefährdet sollen jüngere Männer mit „Bauchfett“ sein (Pischon et al 2008, Giovannucci et al 1997, Brown et al 2009). Je länger das Bauchfett vorhanden ist, umso größer ist die Krebsgefahr.
Umstritten ist die Schutzwirkung von Finasterid. Sicher ist, dass es neben der fraglichen Schutzwirkung bei der Einnahme von Finasterid zu sicheren Nebenwirkungen kommt, so etwa einer sexuellen Dysfunktion. Einige Experten sehen eine höhere Aggressivität der – trotz Einnahme von Finasterid – entstehenden Tumore. Ein „verbessertes Haarwachstum“ gilt als positive Nebenwirkung!
Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung (Delbrück 2015): Ab dem 45. Lebensjahr haben Männer Anspruch auf eine jährliche Tastuntersuchung der Prostata. Deren Relevanz ist allerdings höchst umstritten. Selbst Experten können oft nicht unterscheiden, ob es sich bei ertasteten Knoten um gut- oder bösartige Befunde handelt.
Die laborchemische Bestimmung von PSA ist zwar empfindlicher (sensitiver) und genauer (spezifischer) als die Tastuntersuchung, aber ebenfalls unzuverlässig. In verschiedenen Studien ergaben sich hinsichtlich der Sterblichkeit keine Unterschiede zwischen den Studienteilnehmern, die am PSA-Screening teilnahmen, und denjenigen, die keinen PSA-Test vornehmen ließen. Überdiagnosen sind häufig beim PSA-Screening. Viele Männer würden aufgrund eines verdächtigen PSA-Wertes unnötig einer invasiven Diagnostik (Prostatabiopsie) und Therapie (Operation und Bestrahlung) ausgesetzt, meinen Kritiker. „Bislang sei weder durch Screening-Tastuntersuchungen noch regelmäßige PSA-Bestimmungen ein eindeutiger Einfluss auf Lebenszeit und Sterblichkeit nachzuweisen, sagen sie. Nachteile in der Lebensqualität sind hingegen eindeutig. Der Schaden der PSA-basierten Vorsorge-Untersuchungen ist größer als der Nutzen“, fasst IQWIG die Ansicht der Skeptiker zusammen.
Ob das Probase-Programm – d. h. die angebliche Erkennung von Hochrisikopatienten durch Basisbestimmungen des PSA-Wertes in der 5. Lebensdekade – tatsächlich zu einer erhofften Lebensverlängerung und geringeren Lebensqualitätseinbußen führt, wird erst in einigen Jahren erkennbar sein.
Genauer – aber auch nicht spezifischer und vom IQWiG für überflüssig gehalten – sind Kernspin-Untersuchungen (multiparametrische Magnetresonanztomografien (mpMRT). Die Fusion der MRT-Bilder mit den Echtzeit-Ultraschallbildern soll nach Auffassung der urologischen Fachgesellschaft eine gezieltere Biopsie verdächtiger Areale ermöglichen.
Neben den diagnostischen Biomarkern, die die Therapieentscheidung erleichtern, gibt es prognostische Marker.