„Etwa auch mit der Maschine nach Seoul?“
Al nickte.
„Dann sitzen wir in derselben Maschine. Ich habe allerdings einen Platz im Raucherabteil reservieren lassen. Bei Korean Air geht so etwas noch.“
„Oh! Da ich nicht rauche, werden wir wohl kaum zusammensitzen. Nun ja …“
Sie wirkte plötzlich etwas verlegen. Ihre linke Schuhspitze zeichnete eines der unruhigen Muster des Marmorfußbodens nach.
„Und wann fliegen Sie zurück?“
„Überhaupt nicht.“
„Überhaupt nicht?“
„Nein. Ich habe ein One-Way-Ticket. Wissen Sie, bis vor Kurzem arbeitete ich in Los Angeles. Aber ich ziehe es vor, nach Südkorea zu gehen.“
„Na so was. Ein Amerikaner, der freiwillig nach Korea auswandert“, staunte sie. „Sie werden dort also auch arbeiten?“
„Ja. Als Journalist für die Los Angeles News. Arbeiten und leben – auf unbestimmte Zeit.“
„Kennen Sie das Land?“
„Nicht nur das Land, Madame. Auch die Leute. Meine Frau war Koreanerin. Außerdem war ich schon früher in Korea, als ich noch bei der Navy war. Aber das ist lange her.“
Al unterstrich seine Aussage mit einer ausladenden Handbewegung.
„Sie sind geschieden, nicht wahr?“, wollte die Dame nun auf Koreanisch wissen.
„Nein, verwitwet.“
Al antwortete in ausgezeichnetem, nahezu akzentfreiem Koreanisch. Sie bewunderte seinen sanften Wortfluss.
„Meine Frau ist vor sechs Wochen tödlich verunglückt – bei einem schweren Verkehrsunfall“, fuhr er fort. „Mysteriöse Geschichte. Alle Verwandten meiner Frau leben in Korea. Da hat mich mein Chef gebeten, das Redaktionsbüro unserer Zeitung in Seoul zu übernehmen.“
„Ach so!“, entfuhr es der Lady erstaunt.
„Wie das eben so ist, wenn einen der Chef ,bittet‘. Was blieb mir anderes übrig, als einverstanden zu sein. Besser ein Job in Seoul als arbeitslos im Orange County. Hier habe ich nichts mehr verloren.“
„Dann besteht die Chance, dass man sich sieht … ich meine – in Seoul?“
Die Frage klang ebenso einladend wie verlegen.
„Nun ja …“
Al wusste nicht recht, was er antworten sollte.
„Also … ich denke, ich werde mich erst einmal orientieren.
Ach, übrigens – ich habe mich noch nicht einmal vorgestellt.
Albert Ventura. Nennen Sie mich einfach Al. Darf ich Ihnen meine Karte geben?“
„Gerne. Danke.“
Sie kramte in ihrer Handtasche und überreichte Al mit einer kaum merklichen Verneigung ebenfalls eine Visitenkarte.
„Frau Dr. Kang Jung Sook“, murmelte er, „Kunstprofessorin“, und steckte das Kärtchen ein. „Ah ja, der Drink! Also, wozu darf ich Sie einladen, Frau Doktor?“
„Ein Wasser, bitte.“
„Das gibt wenigstens keine Kaffeeflecken“, lachte Al etwas gezwungen.
„Ich glaube, der Abfertigungsschalter öffnet gleich. Du solltest dich jetzt besser anstellen, Jung Sook“, mahnte George, der unvermittelt wieder aufgetaucht war.
„Stell dir vor, George, Herr Ventura fliegt auch nach Seoul“, erklärte Frau Kang.
Wortlos nahm George ihr Bordcase auf. Wie ein Kind sein Spielzeug zog er es hinter sich her.
„Es ist wirklich nett, dass du mir so behilflich bist“, schmeichelte sie.
„Schon gut“, brummte George.
„Dann verschieben wir den Drink auf später – im Flugzeug?“, meinte Al.
„Ja, natürlich. Das hat doch Zeit. Es ist viel wert, starke Männer als Freunde zu haben, nicht wahr?“, fügte sie beiläufig hinzu.
„Was ist, Mister? Wollen Sie Ihre Tasche nicht mitnehmen?“, fragte George Al ungläubig. „Ich bin nicht scharf darauf, Bombenalarm auszulösen.“
Al schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
„Natürlich – klar … Verdammt, das ist heute schon das zweite Mal, dass ich sie fast hätte stehen lassen. Wo habe ich nur meinen Kopf?“
„Wenn Sie das nicht wissen, Mister“, raunte George.
Sie reihten sich vor dem Abfertigungsschalter der Korean Air an. Das Bodenpersonal wickelte die Formalitäten routinemäßig ab. George begleitete die beiden Fluggäste an den Kabinen der Passkontrolle vorbei zur Leibes- und Handgepäckvisitation. Er verabschiedete sich mit einem Küsschen von Jung Sook und mit einem kräftigen Handschlag von Al.
„Es geht mich zwar nichts an, aber – sind Sie mit dem Mann befreundet?“, fragte Al.
„Befreundet? Nun, sagen wir, gut bekannt“, antwortete sie.
„Ich glaube, das ist eine Geschichte, die ich Ihnen während des Fluges erzählen kann. Die Maschine ist ja nicht ausgebucht. Wenn Sie möchten, können wir uns ein bisschen unterhalten – von mir aus auch im Raucherabteil. Der Flug ist lange genug“, schlug sie vor.
Al war einverstanden, obwohl ihm nicht nach Konversation zumute war. Schon gar nicht wollte er Hals über Kopf in eine neue Beziehung schlittern. Aber eine Unterhaltung während des Fluges würde ihn auf andere Gedanken bringen. Einstimmung auf seine neue Heimat? Warum nicht? Er hatte ohnehin nichts Besseres vor.
Mit wenigen Minuten Verspätung erhob sich der Jumbo der Korean Air donnernd von der Startbahn. Die schwere Maschine reckte ihren schlanken Hals einem wolkenlosen blauen Firmament entgegen. Gleich einem riesigen Vogel zog sie in einem stetigen Steigflug ihren massigen Körper kraftvoll nach. Nachdem der Jumbo die Smogschicht über Los Angeles durchstoßen hatte, drehte er in eine leichte Linkskurve ein. Sein Kurs trug ihn auf die unendlichen Weiten des Pazifiks hinaus.
Stunden später setzte die Maschine quietschend auf der Landebahn des Internationalen Flughafens Seoul-Kimpo auf.
Frau Kang hatte ihr Gepäck zügig erhalten. Al musste noch einige Zeit warten, ehe das Förderband seine beiden prall gefüllten Koffer preisgab. Vertraute, strenge Gerüche durchzogen alle Ecken des Abfertigungsgebäudes: fernöstliche Gewürze aller Art, vor allem Knoblauch …
„Es war wirklich sehr interessant, mit Ihnen zu fliegen“, schwärmte Frau Kang, während sie nach einem der begehrten schwarzen Luxustaxis Ausschau hielt. „Sie müssen mir versprechen, dass wir uns wiedersehen.“
Jung Sook überlegte, wie sich ihre neue Bekanntschaft weiterentwickeln würde. Ein wenig Rührung empfand sie für den sympathischen, intelligenten Journalisten. Wie tollpatschig er doch war, als sie ihn kennengelernt hatte. Es mochte sein, dass sie ihn sogar ein wenig bewunderte. Zugegeben – anfänglich wirkte er recht unbeholfen. Und doch machte er nicht den Eindruck eines trockenen Theoretikers. Nein, er schien ein Mensch zu sein, der sich vor nichts fürchtete, der zupacken konnte und für alle Probleme eine Lösung wusste.
Galant reichte er ihr das Bordcase. Sie bedankte sich höflich.
Vor allem aber fand sie ihn als Mann interessant. Er war so erfahren, so reif und abgeklärt. Seine große, kräftige Statur, das militärisch kurzgeschnittene, grau durchwirkte Haar, sein fein geschnittenes Gesicht mit dem südländischen Teint und dem schelmischen, fast ein wenig verwegenen Ausdruck … Ja, er imponierte ihr.
„Schade, dass ich Sie nicht mitnehmen kann. Aber Sie müssen ja in eine andere Richtung, Al“, drückte sie ihr Bedauern aus und entschwand.
„Ich