„Träum‘ weiter! Wenn ich dich nicht gehindert hätte, wären wir in einen Unfall verwickelt worden und würden immer noch auf den Rettungswagen warten.“
Herr A. schwieg betreten und das war besser so.
Schnell hatten sie sich einen Einkaufswagen geschnappt und begannen, ihn an den Regalen zu füllen.
Das gestaltete sich nicht ganz so einfach, wie es sich anhört. Wieder einmal hatte die Geschäftsleitung die Waren umsortieren lassen. Das taten sie gern öfter mal, weil die Marketingberater davon ausgingen, dass die Kunden beim Suchen nach den von ihnen gewünschten Artikeln auf andere stoßen würden, die sie eventuell auch gebrauchen könnten. Kurz, der Markt würde auf diese Weise mehr verkaufen.
Dazu gehörte natürlich auch, dass man nicht einfach nach den Artikeln fragen konnte. In solchen Situationen war weit und breit kein Mitarbeiter des Supermarkts zu finden. Letzteres brachte dem Supermarkt noch einen Vorteil: Man brauchte die Mitarbeiter nicht für die nutzlose Tätigkeit des Fragen-Beantwortens zu bezahlen, konnte also Personal sparen.
Die paar bedauernswerten Mitarbeiter, die trotzdem noch Dienst tun mussten, hatten einen sechsten Sinn entwickelt, witterten fragewütige Kunden auf zwanzig Meter und versteckten sich beizeiten. Die Kunden ihrerseits verbündeten sich zu kleinen Gruppen und kreisten solch einen verschreckten Angestellten dann ein.
Die Rettung der Angestellten durch die Geschäftsleitung kam in regelmäßigen Abständen: Sinnlose Durchsagen per Lautsprecher wie: „17 an 23.“ Der Angestellte konnte sich dann aus dem Klammergriff der Kunden befreien und mit einem „Das ist für mich“ im Labyrinth der Gänge verschwinden.
Manche sagen, Einkaufen mache Spaß. Das sei mal dahingestellt. Tatsache ist jedoch, dass Herr A. sich gehörig anstrengte und ins Schwitzen geriet. Seine Frau riet ihm, die Jacke auszuziehen.
„Und was mache ich dann damit? Ich kann sie ja wohl kaum in den Wagen legen.“
„Warum nicht?“
„Weil man mich für einen Ladendieb halten wird, wenn ich damit durch die Kasse gehe, ohne sie zu bezahlen.“
„So ein Quatsch! Du musst wirklich aus allem ein Problem machen.“
„Das ist meine Spezialität. Ich versuche, Probleme im Vorfeld zu erkennen, damit ich ihnen aus dem Weg gehen kann.“
Frau A. kannte das schon, und sie kannte auch die Zauberformel für diese Fälle:
„Mach dir keine Sorgen! Ich übernehme die Verantwortung“, erklärte sie trocken.
Das wirkte – wie immer. Herr A. murmelte:
„Wenn du meinst …“, und zog die Jacke aus.
Frau A. war zwar diejenige, die den Überblick über das hatte, was sie im Haushalt brauchten, aber sie ließ sich von ihrem Mann helfen.
„Wir brauchen noch Brot und Brötchen …“, instruierte sie ihn.
Sie wollte noch mehr sagen, aber schon war er weg und kam kurz darauf mit Brot und Brötchen zurück.
„Das sind die falschen Brötchen“, konstatierte sie. „Ich brauche Vollkornbrötchen und Mohnbrötchen. Warum wartest du nicht, bis ich dir alles erklärt habe?“
„Ich wollte mitdenken, um dir die Sache zu erleichtern“, rechtfertigte er sich.
„Versuch lieber nicht zu denken“, gab sie zurück. Die Brötchen konnten sie nicht zurückgeben, nachdem sie entnommen waren. Sie mussten die anderen zusätzlich kaufen.
Der Supermarkt gab wöchentlich ein kleines Informationsblättchen heraus, in dem alle Sonderangebote der Woche aufgeführt wurden. Frau A. zog dieses Blättchen regelmäßig zu Rate, wenn sie ihre Einkaufsliste zusammenstellte.
Nun stand sie also da und kämpfte sich durch ihre Kritzeleien. Schließlich bat sie ihren Mann:
„Ach bitte, sei doch so gut und hol mir zwei Packungen Rohmarzipanmasse aus der Backabteilung, aber die von der Hausmarke. Die sind im Angebot.“
Herr A. machte sich auf den Weg. Nach einigem Hin und Her glaubte er, das Gesuchte gefunden zu haben. Am Regal prangte ein leuchtend rotes Schild mit dem Hinweis auf das Angebot. Brav nahm er zwei Packungen und brachte sie seiner Frau.
Die war nicht begeistert.
„Kann man dich denn nicht die einfachsten Erledigungen machen lassen? Diese Packungen, die du mir angebracht hast, sind doch von einer anderen Marke. Die sind viel zu teuer. Alles muss man selbst machen.“
Damit schleppte sie ihren verdutzten Mann zu dem Regal, wo er die Packungen herausgenommen hatte. Sie stellte fest, dass es zwar das richtige Regal war. Das Regal war jedoch schon leergekauft und die Angestellten des Supermarkts hatten einfach die Packungen des benachbarten Faches mit hinübergeräumt.
„Du musst immer auf die Packung achten“, wies Frau A. ihren Mann zurecht. „Sonst wirst du über den Tisch gezogen. Du willst doch nicht zu den Einfaltspinseln gehören, mit denen sie das machen können!“
Nein, das wolle er nicht, beeilte sich Herr A. zu versichern und versprach, in Zukunft auf die Packungen zu achten. Bei sich dachte er, auf die paar Cent käme es doch nun auch nicht an. Einen Krach wollte er deswegen aber nicht riskieren.
Das Ehepaar A. hatte schließlich allen Widrigkeiten zum Trotz das zusammengesucht, was sie auf der Liste hatten, und schoben den Wagen zur Kasse.
Hier hatten sich lange Schlangen gebildet. Auch das war nicht ungewollt; denn die Wartenden starrten auf kassenflankierende Regale mit unzähligen „Schnell-malmitnehmen“-Artikeln wie Süßigkeiten, Zigaretten, Batterien usw.
Zielsicher steuerte Herr A. den Wagen ans Ende der kürzesten Schlange. Seine Frau warnte ihn:
„Die Kassiererin ist neu. Die braucht länger.“
Herr A. replizierte:
„So schlimm wird’s schon nicht sein. Dafür ist die Schlange kürzer.“
Fünf Minuten später hatte er seinen Irrtum eingesehen und stellte sich bei einer anderen Kasse an.
Dort hatten sie bereits wiederum fünf Minuten gestanden und waren ein wenig vorgerückt, als Frau A. eine Freundin entdeckte, die am Ende einer weiteren Schlange stand. Sie gab ihrem Mann keine Gelegenheit zum Widerspruch und zog ihn dorthin. Damit war für sie das Problem der Wartezeit erledigt. Sie unterhielt sich angeregt mit ihrer Freundin.
Für Herrn A. hingegen verging die Zeit noch langsamer als vorher.
Doch irgendwann war es soweit: Er konnte damit beginnen, die Waren aufs Band zu legen. Dabei entdeckte er eine Delle in einer Dose. Er zeigte die Dose seiner Frau und fragte, ob er eine andere, unbeschädigte holen solle. Das kam nicht in Frage:
„Und ich soll inzwischen hier von den hinter uns Wartenden gelyncht werden? Bleib gefälligst da! Ich werde die Dose zurückgehen lassen und beim nächsten Mal eine neue kaufen.“
„Aber brauchst du sie denn nicht diese Woche?“
„Das bekomme ich schon hin“, erwiderte seine Frau und wandte sich wieder ihrer Freundin zu.
Endlich hatten sie bezahlt. Herr A. wunderte sich über den hohen Betrag. Er überstieg jedes Mal den vom letzten Mal. Seine Frau erklärte ihm, woran es lag: Er habe bei den Sonderangeboten zu ausgiebig zugegriffen. Das konnte Herr A. nicht verstehen. Er hatte in allen Fällen erhebliche Summen errechnet, die er gegenüber dem nichtreduzierten Kauf gespart hätte. Irgendwann musste sich das doch in einem niedrigeren Rechnungsbetrag widerspiegeln. Warum geschah das nicht?
Er würde es nie ergründen.
Inzwischen hatten sie die Kasse hinter sich gelassen. Allerdings hatte Frau A. ihr Gespräch noch nicht beendet. Herr A. wollte nicht stören. Heimlich dachte er, die beiden könnten ihre Unterhaltung doch per Handy fortsetzen, während seine Frau ihn schon mal zum Auto begleitete. Gesagt hat er es nicht. Er wusste, dass