Nun kam alle Tage ein Huhn auf den Tisch. Der Mann aß und trank und wurde immer runder und fetter. Jedoch beklagte er Tag für Tag mehr: »Mein Augenlicht, es wird immer weniger, alles wird dunkler und dunkler. Was ist das, dass ich immer schlechter sehe?«
»Beruhige dich«, gab seine Frau zurück. »Das wird wohl alles sein Gutes haben!«
Als er auch noch den Hahn aufgegessen hatte, jammerte er: »Tiefe Nacht ist um mich herum. Stockblind bin ich und sehe gar nichts mehr.«
Das war seinem unruhigen Weibe ganz recht und sie bestellte ihren Liebhaber gleich auf den folgenden Tag.
»Zieh’ dir aber das Gewand eines Geistlichen an«, sagte sie. »Damit die Leute meinen, du bist der Kurat. Du weißt doch, wie übel und boshaft die Nachbarn hinter einem herreden.«
Der Hausfreund kam und fand den armen Blinden jammernd auf der Ofenbank vor. Da der Ehemann aber noch hören konnte, nahm der Galan dessen Pantoffeln, schlich unhörbar auf diesen um seine Geliebte herum, sprach auch ganz leise, um sich nicht zu verraten. Während das Weib zum Herd ging, um ihrem Liebhaber knusprige Ausgezogene zu backen, streckte sich der auf dem Canapé aus und schlief wohlig mit geöffnetem Mund ein. Da tappte der Ehemann wie ein Blinder in die Küche hinaus und als das Weib auf einen Augenblick in die Speisekammer ging, ergriff er die Pfanne mit dem heißflüssigen Schmalz, lief in die Stube und goss es dem schlafenden Liebhaber in den Mund. Dieser schrie erst furchtbar auf, stemmte sich noch hoch, taumelte in den letzten Atemzügen einige Schritte vorwärts und fiel sodann tot zu Boden.
Auf den Lärm hin rannte die Frau in die Stube und schrie entsetzt: »Du Unhold, nun hast du den Kuraten verbrannt!« Der Mann aber hielt ihr die Faust unter die Nase und rief: »Hast gemeint, ich bin blöd! Du wirst schweigen, dumme Gans, oder ich schlage dich auch tot!«
So erkannte sie, dass er von den Brathühnern nicht erblindet war und wer hinter dem vermeintlichen Beichtvater gesteckt hatte. Voll Scham warf sie sich auf die Knie und bat ihren Gemahl um Verzeihung. Er vergab ihr auch, aber nur unter der Bedingung, dass sie über das Geschehene schweigen müsse. Danach hob er den Toten hoch, trug ihn zum Stall hinüber und band ihn aufrecht auf seinen alten Esel. Danach setzte er ihm noch den Hut auf. In der Mittagshitze, als kein Mensch mehr draußen zu sehen war, jagte er das Grautier mit dem toten Reiter hinaus auf die Straße.
Der Esel trottete mit dem ungewöhnlichen Reiter auf dem Rücken sehr gemächlich zum Dorf hinaus, hinüber zu einem Feld und tat sich bald in einem Kornacker gütlich. Dessen Eigentümer hatte die Schritte des Esels vernommen, blickte zum Fenster hinaus und schrie sofort zornig: »Herr Kurat, reitet sofort mit dem Esel von meinem Acker weg!«
Als der vermeintliche Geistliche dem nicht Folge leistete, ergriff der jähzornige Mann sein Gewehr, stellte sich vor die Türe, legte an und schoss ihm eine Kugel mitten durch die Brust. Doch kaum war der Schuss verhallt, lief er voll Reue in sein Haus zurück, sperrte die Tür zu und fiel jammernd vor seiner Frau auf den Boden: »O weh, o weh, ich habe den Kuraten erschossen!«
Der Esel aber, durch den Schuss erschreckt, lief mit seiner Bürde weiter und geradewegs auf den Kirchplatz zu. Dort war Markttag und ein Töpfer hatte auf einem Stand viele Teller, Krüge und Schüsseln zum Verkauf ausgestellt. Der Esel trabte wie von Hornissen gejagt mitten hinein und zertrat und zerschlug die ganze kunstvolle Keramik mit seinen Hufen. Der Händler war außer sich: »Herr Kurat, seid Ihr von Sinnen, was treibt ihr denn?«
In seinem Zorn hob er einen großen Pflasterstein auf, warf und traf den Diener Gottes direkt am Kopf.
Aber sein aufgewühltes Gemüt wechselte aus der Wut schnell in Reue zurück: »O weh, o weh, ich habe den Kuraten zu Tode gesteinigt!« In dem allgemeinen Tumult, der entstanden war, fing er den Esel ein, hob den falschen Geistlichen herunter und lehnte ihn heimlich von innen an die Kirchentüre. Zum Glück hatte niemand genau darauf geachtet.
Spätabends ging der Mesner zum Abendläuten. Als er die Kirchentüre aufmachen wollte, merkte er, dass irgendjemand dahinter lehnte und den Eingang blockierte. Er vermutete, es sei ein Betrunkener vom Markt oder gar ein heimliches Liebespaar. »Wartet nur ab, ihr Flegel!«, dachte er sich und stieß das Portal mit aller Kraft und Wucht auf. Da fiel der Tote auf den Boden und der Mesner rief verzweifelt: »O weh, o weh, nun hab’ ich den Kuraten zu Tode gestoßen!«
Schnell schaute er sich um, zum Glück schien ihn niemand beobachtet zu haben, trug den Leichnam in die Sakristei, legte ihm dort ein Chorhemd an und stellte ihn anschließend an den Altar. Daraufhin läutete er die Glocken, verschwand aber sofort und legte sich vorsichtshalber krank ins Bett.
Die Nacht ging vorüber. Im Morgengrauen kamen einige Betschwestern zur Frühmesse und zwei Ministranten. Die liefen zum Altar und wollten zur Messe dienen. Sie warteten einige Zeit, aber der Kurat bewegte sich nicht. Da meinten sie, er schlafe, und zogen ihn von rückwärts, um ihn aufzuwecken. Da fiel der Tote polternd über die Stufen herab. »O weh, o weh, nun haben wir den Kuraten zu Tod fallen lassen!«, jammerten die Knaben und liefen davon.
Unter den Betschwestern war die Totenfrau. Die untersuchte den Leichnam und kam zu der Erkenntnis, der heilige Mann musste von auswärts sein. Außerdem habe der Arme wohl fünf Tode erleiden müssen. Um diese Schande zu vertuschen, zog sie ihn mit den anderen Weibern hinüber zum Leichenschauhaus, wo ein dünner Schneider in einem viel zu großen Sarg lag. Sie legten den fünfmal zu Tode Gekommenen dazu, schlossen den Deckel und beteten für sein Seelenheil einige Rosenkränze.
So endete die merkwürdige Geschichte vom Liebhaber, der fünfmal umgebracht worden ist.
Wann da Gamsbock frisch
wohl über d’Wiesen springt
und die Sennerin
ihre frohen Liadl singt,
da springt da schwarze Stier
wohl auf die weiße Kuah:
»Geh, mach ma’s grod a so,
mei liaba Bua!«
DAS VERNAGELTE FENSTER
Eines Morgens jedoch kam es zu einer überraschenden Aktivität auf dem Hof: In einem jähen Entschluss packte der Grafbauer Axt und Säge, holte ein paar Bretter aus der Holzleg, nahm Maß und kürzte sie auf Fensterbreite. Darauf holte er die versteckt liegende Leiter hinter dem Schupfen hervor, lehnte sie an die Hauswand und stieg zum Kammerfenster seiner jüngsten Tochter Genoveva empor. Mit dem Hammer und einigen Zimmermannsnägeln vernagelte er das Fenster von außen. Anschließend zersägte er die Leiter in ofengerechte Stücke und beugte das Holz unter dem Fenster auf. Das Werkzeug wurde wieder verstaut und zufrieden betrachtete er sein Arbeitsergebnis.
Alle drei Töchter waren Zeuge seiner impulsiven Verrichtung geworden, verwundert hatten sie zugeschaut und konnten sich keinen Reim auf die Vernagelung des einzelnen Fensters machen.
»Vater, warum hast denn grad