Lakota Moon. Antje Babendererde. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Antje Babendererde
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401801131
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Schule dieser Art in den gesamten USA, darauf sind wir sehr stolz.« Er lachte sein raues Lachen.

      Verdammt, was ging mich das alles an: demokratisch gewählter Vorstand, vom Stamm verwaltet – was machte das für einen Unterschied? Ich musste auf diese komische Büffelkopfschule gehen und mich unter lauter Indianern behaupten, die bestimmt nicht glücklich darüber waren, einen wie mich in ihrer Mitte zu wissen. Sicher hatte Rodney es gut gemeint, als er mich auf dieser Schule anmeldete, aber mit einer öffentlichen Schule wäre ich vielleicht besser dran gewesen. Ich hoffte nur nicht der einzige Weiße zu sein, der ab September in diesem blutroten Bau seine helle Haut zu Markte tragen musste.

      Rodney startete den Motor und sagte: »Inzwischen sieht das Gebäude ein bisschen baufällig aus, weil die Schule kein Geld für eine dringend notwendige Renovierung hat. Aber dafür gibt es einen modernen Computerraum und eine neue Turnhalle. Du wirst schon zurechtkommen, Oliver, glaub mir.«

      »Was heißt ramshackle?«, fragte meine Mutter.

      »Ich bin kein wandelndes Wörterbuch«, brummte ich.

      »Olli, bitte!«

      »Baufällig«, sagte ich. »Ramshackle heißt baufällig.« Ich sah weg, raus aus dem Fenster und der Kloß in meinem Hals wurde immer größer. Was ich sah, blieb hinter einer dicken Glasscheibe, als berührte es mich nicht. Das war nicht meine Welt und ich gehörte nicht hierher. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. Simsalabim und weg.

      Während der restlichen Fahrt sank meine Stimmung immer mehr, denn welche Ortschaft wir auch passierten, sie glichen sich alle und keine machte mir in irgendeiner Weise Mut. Besonders beunruhigend fand ich die ohnehin schon spärlich gesäten Verkehrs-und Hinweisschilder im Reservat, die allesamt von Kugeln Schießwütiger durchsiebt waren.

      Rannte denn hier jeder mit einer Knarre herum? Und gab es kein Gesetz, das Herumballern in der Gegend verbot? Vielleicht war der Ausdruck »Wilder Westen« doch kein Klischee. Vielleicht stimmte auch alles andere, was ich über Indianer gehört hatte . . . Mein Magen zog sich nervös zusammen.

      Es schien so, als wolle Rodney uns nichts ersparen. Wir sahen Ansammlungen von traurigen Indianerhütten und Farmen mit Häusern, die gut in Schuss waren, aber weißen Familien gehörten. Es gab Mais-und Kornfelder im Reservat, aber meistens war da dieses bis zum Horizont reichende Meer aus vertrockneten Grashalmen. Baumlose Straßen ohne Namen. Ausgeschlachtete Autowracks am Straßenrand – wie große Tierkadaver.

      Schließlich tauchten die weißen Berge aus dem Grasland, auf denen schwarze Pinien wuchsen, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur. Rodney erzählte uns, dass der Ort Pine Ridge, nach dem später auch das Reservat benannt worden war, seinen Namen von diesen Pinien auf dem Kamm hatte. Er erzählte noch mehr, aber ich wollte nichts mehr sehen, nichts mehr hören. Ich wollte nur noch allein sein, allein mit meinem Kummer. Von all dem da draußen, ließ ich nichts mehr in mein Inneres dringen. Ich machte einfach dicht.

      Nach unserer Rückkehr führte Rodney Mom und mich durchs Haus und erklärte alles Notwendige, was wir wissen mussten. Im Obergeschoss gab es eine winzige Abstellkammer, zwei Zimmer – meins und das unfertige – und das kleine Bad. Unten war die Küche, ein größeres Bad, ein Schlafzimmer, ein Arbeitszimmer und das große Wohnzimmer. Im Wohnzimmer war zumindest der Fußboden schon drin, er bestand aus einfachen versiegelten Holzdielen. Aber die einzige Einrichtung waren ein hässliches blaues Sofa mit Kunstlederbezug und ein Fernseher. Die große Satellitenschüssel hinter dem Haus ermöglichte den Empfang von mindestens 20 Sendern, das hatte ich schon ausprobiert.

      Als Rodney uns in sein Arbeitszimmer führte, staunte ich nicht schlecht. Eine massive Arbeitsplatte aus Holz ging von einer Wand zur anderen. Darauf ein nagelneuer Laptop, den, wie sich später herausstellte, meine Mutter ihm finanziert hatte. Aber was mich besonders verblüffte, war, was Rodney noch machte. Er war ein richtiger Künstler. An der Wand hing, in einen Rahmen aus geschälten Zweigen gespannt, eine fast weiß gegerbte Hirschhaut. Sie war mit indianischen Reitern und bunten Tipis bemalt. Ganz unten, in der rechten Ecke, entdeckte ich Rodneys Namen. Auf der Arbeitsplatte standen Farben, Töpfe mit Pinseln, Stiften und verschieden großen Scheren. Sogar eine angefangene Perlenarbeit lag da und ich fragte mich, ob er mit seinen großen, kräftigen Händen tatsächlich solche winzigen Perlen auffädeln konnte. Traumfänger in verschiedenen Größen, gefertigt aus den unterschiedlichsten Materialien, hingen im Fenster.

      Mom lächelte stolz. Im Gegensatz zu mir war sie auch nicht zum ersten Mal in diesem Zimmer, da war ich mir sicher. Wahrscheinlich hatte sie erwartet, dass ich irgendetwas Bewunderndes sagen würde, aber den Gefallen tat ich ihr nicht. Irgendwann musste mal Schluss sein mit dem netten Olli und ich hielt den Zeitpunkt für gekommen.

      »Wenn du mal an den Computer willst, eine E-Mail verschicken oder so«, wandte Rodney sich an mich. »Das ist okay.«

      Wie großzügig, dachte ich und brummte bloß: »Hm.« Zu Hause hatte ich einen eigenen Computer besessen. Aber er war nicht mehr der jüngste gewesen und Mom der Meinung, es lohne sich nicht, ihn mitzunehmen, weil er den Transport sowieso nicht überstanden hätte. Und wie immer hatte ich nachgegeben.

      Im Keller waren die Gasheizung untergebracht, die Waschmaschine und der Trockner. In einem größeren Raum lagerte allerlei Kram: gegerbtes Leder, Farben und Werkzeuge aller Art. Auch zwei Gewehre steckten in einer Halterung an der Wand. »Wahrscheinlich muss ich dir nicht sagen, dass du da besser nicht rangehst«, sagte Rodney. »Sonst bekomme ich höllischen Ärger.«

      Da brauchte er sich ausnahmsweise keine Sorgen zu machen. Ich hasste Gewehre und würde niemals freiwillig eins anfassen.

      Zuletzt zeigte Rodney uns den Vorratsraum. Darin war es auffallend kühl und an den Wänden standen Regale, in denen Lebensmittel aufbewahrt werden konnten. Eine große Tiefkühltruhe summte vor sich hin. Rodney öffnete sie und ich schreckte mit einem »Uh« zurück. Es lag ein halbes Tier darin, vermutlich ein Reh.

      Rodney lachte über mein erschrockenes Gesicht. »Ein Gabelbock. Ist noch übrig von der letzten Jagd«, sagte er. »Den gibt es zur Hochzeit.«

      In den kommenden Tagen war meine Mutter ausgiebig damit beschäftigt, das ganze Haus auf Vordermann zu bringen. Sie putzte Fenster, scheuerte die nach und nach vollständig verlegten Böden und entfernte Baudreck, wo er liegen geblieben war. Es war erstaunlich, in welch kurzer Zeit sie deutsche Gründlichkeit in einen Indianerhaushalt brachte.

      Rodney war helfend zur Stelle, wenn sie ihn um Hilfe bat (ich natürlich auch), aber von Hausarbeit schien er nicht viel zu halten. Ich glaube, er flüchtete. Meist war er bei seinen Pferden oder werkelte in der Scheune herum. An einem Tag begann er mit der Schindelverkleidung am Haus, aber die sengende Hitze ließ ihn irgendwann aufgeben.

      Als die Bude blitzte, machte Mom sich daran, das Wohnzimmer und Schlafzimmer gemütlich einzurichten und Küche und Bad etwas von ihrer Nüchternheit zu nehmen. Wir hatten unsere Möbel in Deutschland gelassen, weil ein Umzugscontainer zu teuer geworden wäre. Die übrigen Habseligkeiten waren in den Kartons, die wir mit unserem Gepäck aufgegeben hatten, und einige Kisten würden nach und nach mit der Post eintreffen.

      Aber auch Rodney besaß kaum Möbel. Bevor er in das Haus gezogen war, hatte er in einem Wohnwagen gelebt und war mit einem Bett, einem Tisch und einem Schrank ausgekommen. Also mussten Möbel angeschafft werden.

      Zu diesem Zweck machten wir uns mit dem Van auf den Weg nach Rapid City, jener größeren Stadt am Rande der Blackhills, auf deren Flughafen wir gelandet waren. Rodney fuhr dieselbe Strecke. Im Reservat gab es nur wenige ausgebaute Straßen und diese war der kürzeste Weg in die Stadt, die allerdings nicht mehr zum Reservat gehörte.

      Eine ganze Weile blieb die Landschaft flach und trostlos wie gehabt und ich döste vor mich hin. Bis meine Mutter erstaunt ausrief: »Das ist ja irre, Olli, hast du so was schon mal gesehen?«

      Ich setzte mich auf und schluckte überrascht. Nun war ich tatsächlich im falschen Film. Wäre da nicht die Straße gewesen, ich hätte glatt angenommen auf dem Mond spazieren zu fahren. Links und rechts der Straße erstreckte sich eine baumlose Felsenlandschaft mit bizarren Formationen. Zackige Gebirgsgrate wie Zinnen, steile Abhänge