Lakota Moon. Antje Babendererde. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Antje Babendererde
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401801131
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      Ich zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Ich dachte, du hast vielleicht eine Idee.« Sie sah mich mit großen Augen an und ich kam mir unendlich einfallslos vor. »Wir könnten zusammen abhauen«, sagte ich schließlich.

      An Ninas Blick erkannte ich, dass sie von meinem Vorschlag wenig begeistert war. Einen besseren hatte sie allerdings auch nicht. Ich glaube, schon damals fing ich an sie zu verlieren.

      2. Kapitel

      Unser Flieger landete kurz vor Mitternacht auf dem Flughafen von Rapid City in South Dakota und Rodney nahm Mom und mich am Gepäckband in Empfang. Irgendwie hatte ich ihn kleiner und schmächtiger in Erinnerung gehabt. Aber jetzt stand er da wie ein aufgerichteter Bär, mit langem, kräftigem Oberkörper und einem breiten Grinsen auf dem dunklen Gesicht.

      Er und meine Mutter drückten und küssten sich lange. Ich sah weg, weil ich es kaum ertragen konnte, die beiden so glücklich zu sehen, während ich todmüde und zutiefst deprimiert war. Das wird ihnen schon noch vergehen, dachte ich griesgrämig.

      Dann kam Rodney auf mich zu und boxte mich freundschaftlich vor die Schulter. »Hi, Oliver«, sagte er. »Willkommen in South Dakota.«

      »Hmm«, antwortete ich.

      Rodney übernahm einen der beiden Rollwagen, auf die wir unsere vielen Gepäckstücke verladen hatten, und schob ihn in Richtung Glastür. Meine Mutter lief neben ihm, eine Hand auf seinem Arm. Ich schob den anderen Gepäckwagen hinterher. Rodney trug dunkelblaue Jeanskluft, ein weißes T-Shirt und Cowboystiefel. Sein glänzender Pferdeschwanz war so lang wie seine Arme. Meine Haare waren auch mal lang gewesen. Aber einen Tag vor unserer Abreise war ich zum Frisör gegangen und hatte sie mir abschneiden lassen. Millimeterkurz. Ich sah aus wie ein GI, es fehlte nur noch die Tarnuniform. Es sollte hier nur ja keiner denken, ich hätte was übrig für Indianer und wollte versuchen wie einer auszusehen. Jeder sollte wissen, dass ich mein Leben von nun an in einer Art Verbannung verbrachte. Ich musste drei Jahre lang durchhalten, dann konnte ich wieder heimkehren. Zurück zu meinen Freunden, zurück zu Nina. Drei Jahre und ich würde frei sein.

      Es würden drei harte Jahre werden, da machte ich mir nichts vor. In den letzten Wochen hatte ich mich im Internet eingehend darüber informiert, was mich im PineRidge-Indianerreservat erwarten würde. Und was ich herausgefunden hatte, war nicht nur deprimierend, es war bedrohlich. Ich würde die meiste Zeit damit zu tun haben, mich am Leben zu erhalten. Viele Lakota im Reservat waren arbeitslos und hatten nichts zu tun, außer sich jede Woche ihren Scheck von der Wohlfahrt abzuholen. Weil sie das Nichtstun verrückt machte, kauften sie sich Alkohol von ihrem Geld und betranken sich sinnlos. Und wenn sie erst betrunken waren, dann fuhren sie ihre Autos zu Schrott, ballerten mit ihren Jagdgewehren wild in der Gegend herum und waren auf solche wie mich vermutlich nicht gut zu sprechen.

      Aber was sollte ich machen? Ich konnte nur versuchen mich so unauffällig wie möglich zu bewegen und die meiste Zeit unsichtbar zu bleiben. Vielleicht schaffte ich es, die nächsten drei Jahre ohne Schaden zu überstehen. Im Nachhinein muss ich allerdings zugeben: Ein Großteil dessen, was mir hier im Reservat passieren konnte, kam mir damals nicht mal in den Sinn.

      Aber da waren auch noch ein paar andere Dinge, die mir Sorgen machten. Meine Mutter und ich würden vollkommen von Rodney abhängig sein und niemand wusste, ob er ein großzügiger Mensch war oder ein Geizkragen. Ich nahm mal an, er war nicht so arm, dass wir Gefahr liefen, verhungern zu müssen, sonst hätte meine Mutter sicher nicht eingewilligt bei ihm zu leben. Aber würde ich auch ein ausreichendes Taschengeld bekommen?

      Na ja, der silbergraue Van, in dem jetzt unser Gepäck verschwand, sah ja ganz passabel aus. Ich quetschte mich auf die Rückbank neben eine große Kiste und Rodney sagte, dass ich mich anschnallen solle. Ich tat, was er sagte, und kurze Zeit später flogen wir durch die Nacht. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, wir würden jeden Moment abheben, so schnell fuhr der Indianer. Vermutlich hielt er nicht das Geringste von Geschwindigkeitsbegrenzungen und ich fragte mich, was er von anderen Regeln hielt.

      Aber um diese Zeit waren die Straßen leer, in den nächsten anderthalb Stunden begegneten uns nur zwei oder drei Fahrzeuge. Es war stockdunkel draußen und ich sah nichts als schwarze Nacht, wenn ich aus dem Fenster blickte. Die Dunkelheit hatte die Landschaft völlig ausgelöscht.

      Irgendwann drosselte Rodney das Tempo, denn die Fahrbahn wurde holprig und er musste Schlaglöchern ausweichen. Ich ahnte, dass wir uns nun auf Indianerland befanden und bald unser Ziel erreicht haben würden. Wir fuhren aber dann doch noch eine ganze Weile und ich sah im Dunkel vereinzelte Lichter auftauchen, wie verirrte Glühwürmchen. Bis Rodney nach rechts abbog.

      Kurz darauf hielten wir vor einem Haus, das einsam auf einer Wiese stand, umgeben von ein paar Bäumen und einigen Sträuchern. Ich löste den Gurt, stieg aus und streckte mich. Durch ein Loch in der Wolkendecke schien auf einmal der Mond. Sein fahles Licht erhellte den Hügel, auf dem Rodneys Haus stand, und ließ die Blätter der Bäume wie Silbertaler aufleuchten. Immerhin, es war keine Hütte, wie ich es befürchtet hatte, sondern ein großes Haus. Es hatte eine eigenwillige Architektur, soweit ich das bei dieser Beleuchtung erkennen konnte. In der Mitte gab es ein oberes Stockwerk mit einem Satteldach und der untere Teil des Hauses hatte Dachflächen, die im gleichen Winkel abfielen. Das sah eigentlich ganz nett aus, aber etwas daran irritierte mich. Das Haus schien nagelneu zu sein und machte einen unfertigen Eindruck. Als ich ein paar Schritte lief, kam neben dem Gebäude ein großer Bretterhaufen zum Vorschein.

      Wir zogen auf eine Baustelle, das war der Hammer.

      Rodney hantierte mit einer Taschenlampe und schloss die Haustür auf. Er knipste drinnen das Licht an und machte eine einladende Handbewegung. Nichts Gutes ahnend, trat ich ein und fand meine Befürchtungen bestätigt. Auch drinnen war nichts fertig. Überall kahle, ungestrichene Wände, leere Zimmer, manche noch ohne Fußböden. Trotzdem zeigte uns Rodney ganz stolz jeden Raum. Nur die Küche und das Bad waren fertig und benutzbar. Ich konnte mich nicht darüber freuen, so wie meine Mutter es tat. Ich war sauer auf Rodney, weil er ihr und mir zumutete auf einer Baustelle zu leben. Als ob alles andere nicht schon genug wäre.

      Was sollte das werden? Dachte er etwa, er hätte jetzt in mir und Mom billige Arbeitskräfte? Da hatte er sich gehörig verrechnet. Keinen Handgriff würde ich tun, nicht einen. Das ging mich alles nichts an, ich wollte überhaupt nicht hier sein.

      »Ich bin müde«, brummte ich.

      »Rede englisch!«, sagte meine Mutter. »Gewöhne dich daran, auch mit mir englisch zu reden. Auf diese Weise lerne ich es am schnellsten.«

      Die Sprache war bei all dem, was mich hier erwartete, das kleinste meiner Probleme. Ich war bisher auf ein neusprachliches Gymnasium gegangen und hatte immer eine Eins in Englisch gehabt. In den letzten Wochen hatte meine Mutter mich ständig als Wörterbuch benutzt, weil sie einen riesigen Haufen Papierkram zu erledigen hatte, bevor wir auswandern konnten.

      Ich schwieg trotzig, aber Rodney schien mich auch so verstanden zu haben. »Hilfst du mir noch ausladen, Oliver? Dann zeige ich dir dein Zimmer.«

      Wir luden Kisten, Koffer und Reisetaschen aus dem Van und brachten sie ins Haus. Dann nickte Rodney und machte eine Handbewegung, dass ich ihm die Treppe hinauf folgen sollte. Ich schnappte meine beiden Taschen, und als er sah, wie ich mich abschleppte, nahm er mir eine ab und trug sie nach oben.

      Der obere Flur sah auch nicht besser aus als der untere, aber als Rodney die Tür zu einem großen Zimmer am Ende des Ganges öffnete und das Licht anschaltete, da verschlug es mir für einen Augenblick die Sprache. Ich war dabei, den gemütlichsten Raum des ganzen Hauses zu betreten.

      »Das ist dein Zimmer, Oliver«, sagte Rodney und lachte breit, als er mein Staunen bemerkte.

      Die schräge Decke war mit hellem Holz verkleidet, die Wände in einem warmen Rot-Ton gestrichen. Ein halbhohes Regal aus dicken Holzbohlen nahm eine ganze Wand ein, an der anderen stand ein Kleiderschrank. Ich hatte einen eigenen kleinen Fernseher und unter dem Fenster stand ein großer, ebenfalls selbst gezimmerter Schreibtisch. Passend dazu das Bett, an einer Wand, die mit einem bunten Webteppich bespannt war. Über dem Bett hing ein Traumfänger, so ein