Lakota Moon. Antje Babendererde. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Antje Babendererde
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401801131
Скачать книгу
bedeutet. Der lederumwickelte Ring aus Weiden-holz symbolisiert den Kreis des Lebens. Das Netz, gewebt von der Perlenspinne, fängt die guten Träume auf und über die Federn werden sie in den Kopf des Träumers geleitet. Die schlechten Träume fallen durch das Loch in der Mitte. Natürlich glaubte ich nicht an solche Sachen, ich war da mehr der bodenständige Typ. Außerdem fragte ich mich, welche Überlegungen Rodney dazu veranlasst haben könnten, mir einen Traumfänger übers Bett zu hängen. Rechnete er etwa damit, dass ich Alpträume haben würde? Verdammt, auch diesen Gefallen würde ich ihm nicht tun.

      »Ich habe alles selbst gebaut«, sagte er stolz. »Und beinahe hätte ich es nicht geschafft. Du kannst dir das Zimmer natürlich so gestalten, wie du es willst. Deine Mutter hat gesagt, du magst Rot. Es ist eine machtvolle Farbe.«

      Ich brachte nur ein krächzendes »Danke« hervor.

      Rodney zeigte mir dann noch ein kleines Badezimmer mit einer Dusche, das ich für mich alleine haben würde. Dann wünschte er mir eine gute Nacht und ging wieder nach unten.

      Ich war zwar müde, aber schlafen konnte ich nicht, dafür war ich viel zu aufgekratzt. Dieses Zimmer war ganz in Ordnung. Nichts Besonderes eigentlich, aber im Gegensatz zu den übrigen Räumen ein richtiges Paradies. Es hatte keine feuchte Ecke wie mein Zimmer zu Hause und es gehörte mir. Das Wichtigste war: Ich konnte es abschließen. Mit diesem Zimmer hatte Rodney mich wirklich überrascht. Nach dem, was ich über die Lakota gelesen hatte, war ich davon ausgegangen, dass alle Indianer arm waren und in baufälligen Hütten hausten.

      Mom musste von dem neuen Haus gewusst haben, hatte mir jedoch nichts erzählt. Ich knipste das Licht aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Die Matratze war okay und das Bettzeug schien neu zu sein, jedenfalls roch es so. Rodney wusste wahrscheinlich nicht, dass man neue Bettwäsche erst einmal in die Waschmaschine steckt, bevor man sie benutzt, aber das konnte man von einer Rothaut wohl nicht erwarten.

      Doch auch wenn ich froh war über all diese Dinge, die mir das Leben hier erträglich machen sollten, würde ich mich nicht so einfach kaufen lassen. Rodney war schuld, dass ich jetzt hier sein musste, herausgerissen aus meinem schönen Leben, mit Problemen, die mir auf einmal winzig klein erschienen. Hier würde ich andere haben. Schwerwiegendere. Kaum auszudenken, was in der nächsten Zeit alles auf mich zukommen würde. Vor allem in zwei Monaten, Anfang September, wenn aus mir ein Senior der Little Wound High-School in Kyle werden würde. Mir wurde schon übel, wenn ich nur daran dachte.

      Ich stand noch einmal auf, weil ich pinkeln musste, und als ich aus dem Bad kam, hörte ich Rodney und meine Mutter unten in der Küche sitzen und reden. Rodneys Stimme war tief und klang heiser. Er nannte meine Mutter »Susan« und »Darling«. Auch etwas, an das ich mich erst gewöhnen musste. Es hörte sich seltsam an, als wäre sie gar nicht meine Mutter, sondern eine fremde Frau. Und irgendwie war sie das auf einmal auch.

      Noch war Mom zwar nicht mit Rodney verheiratet, aber ich wusste, die Hochzeit würde die erste schwierige Hürde werden, die ich hier zu meistern hatte.

      Ich konnte nicht gut verstehen, was die beiden da unten redeten, also ging ich wieder ins Zimmer zurück und kroch in mein Bett. Ich löschte das Licht und lauschte auf das leise Zirpen der Grillen, dem einzigen Geräusch der Nacht. Diese Stille war ich nicht gewohnt. Mein Zimmer zu Hause hatte an einer viel befahrenen Straße gelegen, auf der eine Straßenbahnlinie entlangführte. Es war nie still gewesen, auch nachts nicht. Ich hatte mich an das Quietschen der Straßenbahn gewöhnt und nun würde ich mich an die Stille gewöhnen müssen.

      Während ich noch darüber nachdachte, was ich verloren hatte und was mich hier erwarten würde, war ich auch schon eingeschlafen. Ich träumte von Nina, aber da wusste ich natürlich nicht, dass ich nur träumte. Die Sonne schien warm und wir liefen Arm in Arm über eine grüne Wiese. Ich machte mir keine Gedanken, wo diese Wiese war, Hauptsache, Nina war bei mir. Sie küsste mich und ich hörte die Glocken läuten. Aber dieses selige Bimbam wandelte sich plötzlich in Geheule, das mich an Kriegsgeschrei aus Indianerfilmen erinnerte. Ich öffnete meine Augen und blinzelte über Ninas Schulter. Da kamen sie auch schon auf ihren Pferden, bunt gekleidet, mit Kriegsbemalung im Gesicht, die Tomahawks über dem Kopf schwingend.

      Weit und breit war kein Baum, kein Strauch, hinter dem wir uns verstecken konnten. Die Rothäute kreisten uns ein, ihr Geheul wurde immer wilder und drohender und der Kreis um uns immer enger. Ich machte mir vor Angst bald in die Hosen. Nina presste sich an mich und ich wusste: Sie erwartete von mir, dass ich etwas unternahm.

      Auf einmal streckte der Wildeste von allen, ein Krieger mit schwarzen Augen und einem siegessicheren Grinsen im bemalten Gesicht, seinen muskelbepackten Arm nach Nina aus, entriss sie mir und hob sie zu sich aufs Pferd.

      »Neiiiin«, schrie ich und schreckte schweißgebadet aus meinem Traum.

      Ich war wach, saß in meinem Bett, aber das Geheule hörte nicht auf. War ich jetzt verrückt geworden? Waren sie tatsächlich da draußen unterwegs? Der Traumfänger hing zwar über meinem Bett, aber gewirkt hatte er nicht.

      Ich stand auf und ging zum Fenster. Draußen heulte es inbrünstig und vielstimmig. Wölfe, dachte ich. Mom hatte nicht mit einer Silbe erwähnt, dass es im Reservat Wölfe gab. Ich ahnte, dass sie mir überhaupt eine Menge verschwiegen hatte. Mit einem unbehaglichen Gefühl legte ich mich wieder ins Bett und wartete auf den Morgen.

      Ein leises Klopfen weckte mich aus dem Schlaf. Ich schreckte hoch und zuerst wusste ich nicht, wo ich überhaupt war. Dann stand meine Mutter im Zimmer. Der Stoff ihrer roten Bluse leuchtete mich an wie ein Warnsignal. »Was ist los?«, fragte ich erschrocken.

      »Es ist schon Mittag«, sagte sie und lächelte. »Ich habe uns was zu essen gemacht.«

      Ich ließ mich aufs Kissen zurückfallen und stöhnte. Die Sonne schien hell in mein Zimmer und durch das große, offene Fenster kam warme Luft herein. Meine Mutter sah sich um und sagte: »Du hast ein schönes Zimmer, Olli. Rodney hat in den letzten Tagen nichts anderes getan, als es für dich herzurichten.«

      Anstatt ihr zu sagen, wie froh ich über das Zimmer war und dass ich sogar einen winzigen Funken Dankbarkeit gegenüber Rodney empfand, fragte ich: »Warum müssen wir auf einer Baustelle wohnen? Warum konntet ihr nicht wenigstens warten, bis das Haus fertig ist?«

      Meine Mutter setzte sich zu mir aufs Bett und streckte die Hand nach meinem Kopf aus, aber ich zog ihn weg.

      »Weil das noch lange dauern wird«, erwiderte sie schließlich. »Rodney arbeitet hart, aber er ist auch viel unterwegs und manchmal sind andere Dinge wichtiger. Nach und nach werden wir das Haus fertig bauen und es gemütlich einrichten. Mach dir da mal keine Sorgen.« Sie stand auf und ging zum Fenster. »Hast du schon mal rausgesehen?«, fragte sie. »Es ist wunderschön hier.«

      »Warum hast du mir nicht gesagt, dass es im Reservat Wölfe gibt?«, brummte ich verdrießlich.

      »Wölfe?« Mom sah mich stirnrunzelnd an.

      »Hast du sie nicht gehört – in der Nacht?«

      Auf einmal lachte meine Mutter. »Das waren Kojoten, Olli, keine Wölfe. Hier gibt es keine Wölfe, Kojoten dafür eine ganze Menge.«

      »Worin liegt der Unterschied?«

      »Da fragst du am besten Rodney, Schatz.«

      Ich konnte es nicht leiden, wenn sie Schatz zu mir sagte, und schwieg. Schließlich ging sie. Ein bisschen tat sie mir Leid, weil sie es so schwer hatte mit mir, aber sie machte es mir auch nicht gerade leicht. Sie hatte meine ganze Lebensplanung über den Haufen geworfen und erwartete nun auch noch von mir, dass ich hier alles toll fand. Aber das war nicht der Fall, nicht mal annähernd. Ich sehnte mich jetzt schon zurück nach Hause, obwohl ich noch keinen einzigen Tag im Reservat verbracht hatte.

      Es nützte nichts. Ich musste aufstehen, denn meine Lage würde sich nicht ändern, nur weil ich versuchte sie zu ignorieren. Ich tappte zum Fenster und sah hinaus. Die Sonne blendete mich und ich musste die Hand über die Augen halten, damit ich etwas sehen konnte.

      Rodneys Haus stand auf einer kleinen Anhöhe und war umgeben von mehreren Hügeln, die mit Sträuchern und Kieferngruppen