Talitha Running Horse. Antje Babendererde. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Antje Babendererde
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401802954
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Hengst anscheinend beschlossen hatte, mich nicht länger als Gefahr zu betrachten – die graue Stute ließ mich nicht an ihr Fohlen heran. Sobald ich mich Stormy näherte, stellte sie sich zwischen mich und ihr Fohlen.

      Ich wusste, dass nährende Stuten manchmal gefährlich werden konnten, wenn sie das Gefühl hatten, ihren Nachwuchs verteidigen zu müssen. Also verhielt ich mich vorsichtig und bedrängte sie nicht. Ich war glücklich, so nah bei der Herde sein zu dürfen. Das nächste Mal wollte ich unbedingt meine Zeichenmappe mitbringen. Viel zu schnell war die Stunde vorbei, und ich musste mich schon wieder auf den Weg machen, um rechtzeitig bei meiner Tante zu sein. Mein Vater mochte es nicht, wenn er auf mich warten musste. Als ich bei Tante Charlenes Haus ankam, lud Dad gerade sein Werkzeug auf die Ladefläche des Pick-ups. »Na, hast du die Pferde gesehen?«, fragte er lächelnd.

      »Ja, Dad. Sie sind wunderschön!«, schwärmte ich. »Und du hattest Recht. Da ist ein winziges Fohlen dabei, mit zehn dunklen Punkten auf der weißen Hinterhand.«

      »Fünf auf jeder Seite?«, fragte er.

      »Ja, fünf auf jeder Seite.« Verwundert über seine Frage, sah ich ihn an. »Dann ist es ein besonderes Pferd, Tally. Wakan Tanka,der Große Geist, hat es berührt; er hat den Abdruck seiner Hand auf ihm hinterlassen. Tom Thunderhawk ist sicher stolz darauf, so ein Tier zu besitzen.«

      »Das nächste Mal, wenn ich wieder hier bin, werde ich das Fohlen zeichnen«, sagte ich und gab mir keine Mühe, meine Begeisterung zu verbergen.

      Als wir wieder zu Hause waren, lief ich doch noch hinauf zu Adena. Ich wollte ihr unbedingt von den Appaloosa-Pferden erzählen. Adena White Elk war dreizehn, so alt wie ich, und wir gingen in die achte Klasse der Junior Highschool von Porcupine. Meine Freundin war Vollblutindianerin, eine Oglala-Lakota. Sie stammte aus einer sehr traditionellen Großfamilie, einer Tiospaye,wie wir Lakota sagen. Es gab Tiospayes in unserem Reservat, die mehr als achtzig Mitglieder zählten.

      Die White Elks besaßen aus Prinzip keinen Fernseher, um die Einflüsse der weißen Kultur von ihren Kindern fern zu halten. Hinter ihrem Trailer stand eine Schwitzhütte, ein halbrunder Bau aus gebogenen Weidenästen, der mit grauer Plane abgedeckt war. Darin wurden regelmäßig Inipis, Schwitzbäder abgehalten, um Körper und Geist zu reinigen. Adenas Großvater Bernhard White Elk, der mit dem Rest der Tiospaye in Kyle lebte, war ein geachteter Medizinmann im Reservat, der jedes Jahr den Sonnentanz in den Black Hills leitete. Meine Freundin Adena hatte drei Brüder, von denen aber nur noch der zehnjährige Jason zu Hause lebte. Leider war er eine ziemliche Großklappe.

      Der Trailer, den Familie White Elk bewohnte, war genauso groß wie unserer, aber viel moderner und besser eingerichtet. Sie hatten sogar ein Badezimmer mit fließendem Wasser und Spülklosett. Dad und ich durften ab und zu bei den White Elks duschen, was ich ziemlich nett von ihnen fand. Denn eine Wasserleitung zu legen kostete eine Menge Geld, und immer wenn wir das Geld dafür zusammenhatten, ging irgendetwas an unserem Truck oder am Trailer kaputt oder jemand kam und brauchte das Geld dringender. Um einem Verwandten eine dringend notwendige Operation zu ermöglichen, zum Beispiel. Manchmal bekamen wir unser Geld zurück, manchmal auch nicht. Wer etwas hatte, der gab. Großzügigkeit ist eine der wichtigsten Tugenden der Lakota. Die anderen sind Aufrichtigkeit, Weisheit, Mut und Demut.

      Adena freute sich, als ich vor der Tür stand. Sie zog mich herein und führte mich gleich zu Picu, die in der Küche auf ihrer Decke in einer Kiste lag und drei Welpen säugte. Als Adena den Kopf der Hündin streichelte, blinzelte sie uns müde an.

      »Picu ist ganz schön erschöpft«, sagte Adena, »die drei haben ständig Hunger.«

      »Sie sind süß.« Ich streichelte einem der Hundebabys mit dem Zeigefinger über das Bäuchlein.

      »Willst du einen?«

      »Sofort«, sagte ich und seufzte hingerissen. »Aber Dad wird es nicht erlauben. Wir haben ja schon Miss Lilly.« Miss Lilly war meine grauschwarz getigerte Katze. Ihr fehlte ein halbes Ohr, das sie vermutlich beim Kampf mit einem Kojoten eingebüßt hatte. Miss Lilly war eine sehr eigenwillige Dame, die über Konkurrenz aus der Hundewelt sicher nicht erfreut gewesen wäre.

      »Na ja, du kannst es dir ja noch überlegen.«

      Ich nickte und erzählte Adena von Tom Thunderhawks Pferden und dem kleinen Stutfohlen, das ich Stormy genannt hatte.

      Adena schüttelte ungläubig den Kopf. »Du gibst einem Fohlen, das dir überhaupt nicht gehört, einen Namen?«

      Betrübt zuckte ich die Achseln. Meine überschwängliche Freude machte der nüchternen Erkenntnis Platz, dass ich mich Hals über Kopf in ein Fohlen verliebt hatte, das wildfremden Menschen gehörte. Mit ziemlicher Sicherheit hatte es bereits einen Namen, da hatte Adena vollkommen Recht.

      »Es sieht wunderschön aus«, sagte ich. »Ich hab es in meinen Träumen gesehen.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. In meinen Träumen hatte ich ein Pferd gesehen, das schön und stark war. Aber es war kein bestimmtes Pferd und schon gar kein Fohlen. Doch jetzt war Stormy das Pferd meiner Träume.

      »Träume hin, Träume her, du darfst dein Herz nicht so dranhängen«, sagte Adena und klang furchtbar erwachsen. »Wenn das Fohlen groß genug ist, verkauft der Besitzer es vielleicht, und du siehst es niemals wieder.«

      Manchmal konnte sie ganz schön grausam sein in ihrer nüchternen Art.

      »Dad sagt, es ist ein besonderes Pferd. Es ist wakan* weil Wakan Tanka es gezeichnet hat. Vielleicht behält Tom Thunderhawk das Fohlen ja auch«, erwiderte ich trotzig. »Dann kann ich es besuchen, wenn wir bei Tante Charlene sind.«

      Nachdem ich von Adena zurückgekommen war, aßen Dad und ich Reis mit roten Bohnen und tranken Tee aus cheyaka, wilder Pfefferminze, die ich im vergangenen Sommer gesammelt und getrocknet hatte. Im Öfchen prasselte ein gemütliches Feuer und aus dem Radio erklang Musik von Walela, einer indianischen Frauenband, die Dad mit Vorliebe hörte. Rita Coolidges rauchige Stimme füllte den Raum. Miss Lilly lag auf unserer zerschlissenen alten Couch und räkelte sich genüsslich in der Wärme.

      Ich war noch immer ganz erfüllt von der Begegnung mit den Pferden und hatte jetzt schon Sehnsucht nach dem gepunkteten Fohlen. Ich beklagte mich bei meinem Vater, dass Tom Thunderhawks Appaloosas mich zwar in ihrer Nähe geduldet hatten, sich aber von mir nicht anfassen ließen.

      »Das braucht seine Zeit«, sagte er. »Du musst geduldig sein.«

      »Aber wenn ich sie nur so selten sehe, werden sie sich nie an mich gewöhnen«, murrte ich. Geduld ist nicht unbedingt meine Stärke.

      »Wenn du etwas hättest, das sie gerne fressen, irgendeine Leckerei, dann wäre es vielleicht einfacher«, bemerkte Dad.

      Etwas ratlos sah ich ihn an. Die Pferde der Lakota waren keine Leckerbissen gewöhnt. Karotten kamen in die Suppe, wenn man welche hatte, denn frisches Gemüse war teuer in den wenigen Läden, die es im Reservat gab. Die meisten Pferde mussten sehen, dass sie das Jahr über selbst genug zu fressen fanden, jedenfalls solange kein Schnee lag. Im Winter wurden die Tiere dann gefüttert, solange das Geld für Futter reichte. Wenn nichts mehr da war, mussten sie mit ihren Hufen den Schnee beiseite scharren und zusehen, wie sie allein zurechtkamen.

      Auch der letzte Winter war hart gewesen. Dad hatte mir erzählt, dass einige Pferdebesitzer im Reservat Tiere verloren hatten. Im Januar lag der Schnee so hoch, dass sie nichts mehr zu fressen fanden. Ihre Besitzer hatten kein Geld gehabt, um ihre Häuser oder Trailer zu heizen, geschweige denn, um Futter zu kaufen.

      Auch unser Geld reichte natürlich nicht, um Leckereien für Pferde zu kaufen, die uns nicht mal gehörten. Aber ein paar Tage später kam mein Vater mit einem Karton krümeliger dunkelgrüner Würste von einem Arbeitseinsatz zurück. Er überreichte mir die Pappkiste mit einem strahlenden Lächeln.

      Ich machte große Augen: »Was ist das, Dad?«

      »Ich war heute bei einem Mann in Wanblee, der sich gut auskennt