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Ein CassiopeiaPress Buch
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© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
1
Der Mann vor mir hatte eine Waffe in der Hand. Eine geladene, entsicherte Pistole. Und die war auf mich gerichtet. Ich spürte, dass mein Herz bis zum Halse schlug, und ich wusste nicht so recht, was ich jetzt noch tun sollte.
Wie war ich überhaupt in diese verzweifelte Lage gekommen, aus der ich im Augenblick keinen Ausweg finden konnte? Dabei handelte es sich um eine lange und total verrückte Geschichte, die hier in wenigen Augenblicken wahrscheinlich mit meinem Tod ein Ende finden würde.
Flüchtig dachte ich an meinem Vater, der bis jetzt noch nicht einmal alles von dem kannte, was mir in den letzten Tagen zugestoßen war. Ob er wohl jemals wieder in der Bibliothek sitzen und in Ruhe eine guten Whisky trinken würde, ohne von Trauer, Zorn und Wut erfüllt zu sein? Ob er jemals wieder in einem guten Buch blättern würde, ohne in Gedanken bei mir und meinem Tod zu sein?
Dabei hatte alles mit einem Buch angefangen, jedenfalls indirekt. Wäre ich doch nicht so verrückt gewesen, mich darauf einzulassen. Und dennoch bereute ich nichts, denn ich war nur meinem Gewissen gefolgt und musste mir keine Vorwürfe machen.
Meine Gedanken schweiften ab, in rasender Schnelligkeit zogen die Ereignisse vor meinem inneren Auge noch einmal vorbei. Die Geschichte war so verrückt, dass sie vermutlich niemand glauben würde, und doch stimmte jedes Wort.
2
Eigentlich bin ich eine fast normale Frau – wenn man es normal nennen will, die Tochter eines schottischen Lords zu sein, ein vornehmes Internat besucht zu haben, über reichlich Geld zu verfügen, und sich nicht damit zu begnügen, nur das Geld der Ahnen auszugeben. Mal ganz im Ernst, würde es Ihnen auf Dauer wirklich gefallen, den ganzen Tag nichts Vernünftiges zu tun und mit erlerntem Wissen nichts anzufangen? Für einige Zeit hätte vermutlich jeder Spaß daran, aber nach einer Weile musste das doch langweilig werden, und man sehnt sich nach geregelten Arbeitszeiten, dem täglichen Stress und vielleicht sogar den nervigen Kollegen. Oder? Also bitte, ich könnte das nicht – ich meine, auf Dauer herumsitzen. Ich habe einen anständigen Beruf erlernt und bin Tierärztin, ich arbeite im Zoo von Glasgow. Ein wunderschöner Beruf, auch wenn mein Vater mich auf meinen Geisteszustand untersuchen lassen wollte. Natürlich nur im Scherz, denn in Wirklichkeit war er stolz auf mich. Worauf ich ihm erklärte, er müsste sich dafür bei unseren Vorfahren beschweren, die zuviel Intelligenz vererbt hätten – natürlich ebenfalls nur im Scherz. Mein Vater respektiert meine Entscheidungen, auch wenn er sie nicht immer versteht.
Er selbst ist damit beschäftigt, unsere Familiengeschichte zu erforschen, und damit hat er eine ganze Menge zu tun, denn bevor dieses Hobby an die Reihe kommt, ist jeden Tag die allgemeine Arbeit mit der Verwaltung der Besitztümer zu erledigen. Das ist bei einem so ausgedehnten Anwesen mit den angeschlossenen Firmen eine reichliche Menge an Arbeit. Also kann man auch in dieser Hinsicht nicht sagen, einer von uns würde in den Tag hineinleben.
Die Familiengeschichte scheint aber dennoch wichtig, denn aus einem uns unbekannten Grund gibt es auf Rosemont Hall Geister, deren Vorhandensein und Grund sich niemand erklären kann. Warum ausgerechnet bei uns?
Ich persönlich hatte die Geister noch nie gesehen, doch mein Vater, der siebzehnte Lord of Glencraven, war ihnen schon begegnet. Lord Reginald ist ein Mann, der im Allgemeinen mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen steht. Ich würde ihn niemals für verrückt halten, nur weil er behauptete, Geistern begegnet zu sein. Es klang unwahrscheinlich, es war vielleicht sogar wirklich ein bisschen verrückt – und doch musste es wahr sein, denn noch nie hatte Lord Reginald die Unwahrheit gesagt.
Nun gut, ich musste zugeben, es interessierte mich nicht besonders. Solange die Geisterwesen mich in Ruhe ließen und nichts zerstörten, was mir wichtig war, sollten sie spuken, wenn sie Freude daran hatten. Ich hatte meine Arbeit, die mir Spaß machte und mir Befriedigung gab. Besondere Freundschaft hatte ich im Zoo mit dem Elefantenbullen Archibald und der Gepardendame Sheena geschlossen.
Ein Gepard ist eine besondere Art von Katze. Ungeheuer schnell auf hohen schlanken Beinen, aufmerksam, bildschön und sehr scheu. Aber Sheena und ich hatten vom ersten Tag an Vertrauen zueinander gehabt. Wenn mich diese wundervolle Raubkatze anschaute, hatte ich immer wieder das Gefühl, sie würde meine Gedanken lesen und versuchen mir etwas zu sagen. Ich dachte über dieses Tier und unser seltsames Verhältnis nach. Im Zoo behandelte ich viele verschiedene Tiere, und mit den meisten kam ich gut klar. Tiere sind in gewisser Weise wie Menschen, man musste sie nehmen, wie sie sind. Mein erster Gang morgens aber führte mich immer zu Sheena.
Mit klugen Augen blickte das Tier mich auch heute an. Langsam und vorsichtig streckte ich eine Hand aus, um die Katze zu streicheln. Das ließ sie nicht immer zu, und meist konnte ich es erkennen, ob sie sich wehren würde.
Heute hielt sie still, schloss sogar für einen Moment genüsslich die Augen.
„Es ist unglaublich, Miss Jessica. Keiner von uns würde es wagen, dem Tier zu nahe zu kommen“, erklärte Peter, der Tierpfleger. Er kannte Sheena seit sieben Jahren, also seit sie sich hier im Zoo befand. Ich hatte schon frühzeitig damit aufgeräumt, dass jedermann mich Mylady oder Lady Jessica nannte, ein einfaches Miss genügte. Das hatte mir zusätzlichen Respekt verschafft.
„Wahrscheinlich war ich im früheren Leben auch eine Katze“, erwiderte ich lächelnd. „Aber heute ist viel zu tun, und ich kann nicht lange bleiben. Drüben bei den Löwen steht eine Geburt an, und es geht der Löwin gar nicht gut.“
Das war der Augenblick, in dem Sheena kurz fauchte und mit der Pfote über meine Hand fuhr. Geparden können ihre Krallen nicht einziehen, und so entstanden sofort blutige Kratzspuren auf Unterarm und Hand.
Doch Sheena schien nicht in mindesten aufgeregt, sie schmiegte sogar den Kopf weiter an mich. Nun wich ich aber doch zurück, während