12
Wie eine Amazone, die eine siegreiche Schlacht hinter sich hat, betrat Jutta Sibelius die Bank. Sie brauchte kein Wort zu sagen. Alle wussten sofort, dass es diesmal geklappt hatte.
Die Kollegen umringten, umarmten, küssten sie, und Jutta genoss diesen angenehmen Taumel.
»Ihr seid alle eingeladen«, sagte sie glücklich. »Nach Feierabend müsst ihr mit mir anstoßen.«
Karl Schroeder, der Leiter der Filiale, erschien in der Tür seines Büros. Er war kein schöner Mann, sah aber stets wie aus dem Ei gepellt aus.
Sein dichtes braunes Haar war sorgfältig gekämmt, die Krawatte saß immer korrekt. Er hatte im allgemeinen Erfolg bei Frauen. Nur bei Jutta hatte er bisher noch nicht landen können, aber er gab die Hoffnung nicht auf, irgendwann doch noch zu einen Erfolg zu kommen.
Juttas Kollegen gingen wieder an die Arbeit. Die junge Frau begab sich lächelnd zu ihrem Chef.
»Sie dürfen mir auch gratulieren, Herr Schroeder«, sagte sie und strahlte.
»Das tue ich sehr gern«, entgegnete der Mann.
»Wenn Sie Zeit und Lust haben, mit mir nach Feierabend anzustoßen ... Ich gebe einen zur Feier des Tages aus. Alle kommen ...«
»Nun, dann darf ich mich selbstverständlich nicht ausschließen«, sagte Karl Schroeder lächelnd.
Wenn er lächelt, sieht er ganz passabel aus mit seinen Grübchen in den Wangen, dachte Jutta Sibelius. Er müsste immerzu lächeln - wie die Amerikaner: keep smiling.
»Ich habe Zeit und Lust«, sagte Schroeder, und es hörte sich so an, als hätte er sehr viel Zeit und noch mehr Lust.
Wann wird er endlich aufgeben, fragte sich die junge Frau. Er gehört zu den Männern, die sich nie geschlagen geben. Beruflich hat ihm das den gewünschten Erfolg gebracht, aber privat - bei mir - läuft nichts, Herr Schroeder. Je eher sie das einsehen würden, desto besser wäre es für uns beide. Sie könnten uns damit etliche peinliche Situationen ersparen.
Jutta dachte auch an Erich Gloger. Er hätte sich bestimmt gefreut, wenn sie ihn angerufen und eingeladen hätte, aber sie wollte ihm das nicht antun.
Es wäre für ihn wie ein Spießrutenlauf gewesen. Alle Kollegen hätten ihn angestarrt, heimlich gemustert und einzuschätzen versucht. Man hätte Spekulationen angestellt, getuschelt, vielleicht sogar dumme Witze gerissen.
Nein, Erich Gloger hätte nicht in diese Runde gepasst, obwohl Jutta ihn gern ihrem Chef präsentiert hätte. Gewissermaßen um ihm klarzumachen, dass er mit seinem Werben auf verlorenem Posten stand.
Nach Feierabend fand sich die gesamte Belegschaft in einem nahen Lokal ein, und man ließ die junge Bankangestellte hochleben. Die Stimmung war großartig. Jutta hatte sich schon lange nicht mehr so gut amüsiert.
Karl Schroeder bemühte sich ganz besonders um sie. Er dachte wohl, ihre große Hochstimmung ausnützen zu können. Heimliche Blicke, leise Worte sollten die Wegbereiter für einen gemeinsamen Abend und eine gemeinsame Nacht sein.
Jutta blieb ihrem Chef gegenüber distanziert, stieß ihn jedoch nicht vor den Kopf. Sie begegnete ihm mit einer unverbindlichen Freundlichkeit, die sie zu nichts verpflichtete.
Doch selbst das war noch zu viel, denn Karl Schroeder fasste jedes nette Wort, das sie an ihn richtete, als Einladung auf, und als sich nach zwei Stunden die ersten Kollegen verabschiedeten, raunte Schroeder dem hübschen Mädchen ins Ohr: »Und was machen wir noch mit dem angebrochenen Abend? Was so nett begann, sollten wir noch nicht beenden. Ich kenne ein Lokal, das Ihnen mit Sicherheit gefallen würde.«
»Hoffentlich finden Sie Ersatz für mich«, gab Jutta zurück. »Ich bin nämlich leider verhindert.«
»Haben Sie etwa noch ein Rendezvous?«, fragte der Chef erstaunt.
»Wäre das denn so unvorstellbar?«, fragte sie zurück.
»Das nicht, aber Sie können doch nicht zuerst mit uns ein Fest feiern und dann ganz unvermittelt aufstehen und heimgehen.«
»Heißt es nicht, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist?«
»Von dieser Weisheit halte ich absolut nichts«, sagte Schroeder.
»Können Sie diese Verabredung nicht absagen und den Abend mit mir verbringen?«
»Ich kann meine beste Freundin nicht versetzen«, antwortete die junge Frau.
»Ich biete Ihnen mehr als Ihre Freundin«, entgegnete ihr Chef.
»O ja, das wäre zu befürchten, und damit wir diese Gefahr erst gar nicht heraufbeschwören, werde ich mich in einer halben Stunde verabschieden«, erwiderte die Bankangestellte.
»Was meinen Sie denn für eine Gefahr?«, fragte der Mann und tat erstaunt.
»Was zwischen Mann und Frau so alles passieren kann«, antwortete Jutta Sibelius.
»In der Bank ist ein kühler Kopf von Nutzen, aber können Sie heute nicht mal über Ihren Schatten springen?«, wollte Schroeder wissen.
»Vielleicht will ich es nicht. Es könnte das Arbeitsklima belasten«, gab die Frau zur Antwort
»Und wenn ich Ihnen verspreche, dass es dazu nicht kommen würde? «
Jutta schmunzelte. »Ich würde Ihnen nicht glauben, Herr Schroeder.«
13
Gideon Arendt wartete in seinem Wagen auf Antje Büchner. Als er sie aus dem Haus treten sah stieg er aus. Sie war nicht allein. Bernd Riepel ging neben ihr.
Gideon Arendt wusste, dass Bernd Riepel viel für Antje übrig hatte. Bisher hatte ihn das gestört, doch nun war es ihm. nicht mehr wichtig. Antje war bereits frei für jeden anderen Mann, sie wusste es nur noch nicht.
Sie verabschiedete sich von ihrem Kollegen und kam zu Gideon Arendt. Er küsste sie flüchtig und öffnete für sie den Wagenschlag.
»Du siehst großartig aus«, sagte er, ohne sich etwas dabei zu denken. Er machte viele Komplimente am Tag, das brachte sein Beruf mit sich. Wer Geschäfte machen will, muss freundlich sein. Wer verkaufen möchte, muss den Kunden das sagen, was sie gerne hören.
Sie stieg ein, und er klappte die Tür zu, dann ging er um den Wagen herum. Die Grafikerin beobachtete ihn durch die Windschutzscheibe, und ihr kam vor, als würde ihn irgend etwas bedrücken.
Wie in vielen Branchen, kriselte es auch in der Mineralölbranche. Hatte man Gideon nahegelegt, sich um einen anderen Job umzusehen?
Antje