Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft. Stefanie Gerstenberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Gerstenberger
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401805153
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Tommy denn auch nett zu euch Deutschen da drüben?«, fragte Opa Heinrich.

      »Welcher Tommy?«

      Dagmar kicherte, aber Opa hatte meine Frage anscheinend nicht gehört, er redete weiter: »Wäre damals lieber bei denen in Gefangenschaft geraten, aber es musste ja der Iwan sein.«

      »Nein, der Tommy ist all right.« Ich versuchte, eine kleine Zwiebel auf meine Gabel zu spießen, und fragte mich dabei, wer wohl dieser Tommy sei. Er schien auf jeden Fall netter zu sein als der Iwan. Aber woher kannte Opa Heinrich diese beiden denn? Das war alles sehr verwirrend. Opas Kriegsgefangenschaft durfte nur er selber erwähnen, wusste ich von meiner Mutter. Eine Granate hatte ihm den Arm abgerissen, er hatte monatelang im Gefangenenlazarett gelegen und zu viel gehungert, um jemals wieder mit den Russen auf gutem Fuße zu stehen. Von der kleinen Pellkartoffel, die er im vierten Jahr der Gefangenschaft zu seinem Geburtstag von den Kameraden geschenkt bekam, hatte ich natürlich auch schon gehört.

      »Und deine Eltern, kennt man die? Was malen die genau? Können sie davon leben?«, wechselte Dagmar das Thema. Sie hatte ihr Kinn auf die gefalteten Hände gestützt. Ihre blassblauen Augen bohrten sich in meine. Mist, was konnte ich ihr jetzt erzählen? Ich hätte in Kunst besser aufpassen sollen.

      »Modern. Angelehnt an den Kubismus, aber ungegenständlich. Mein Vater nennt sich Harry Potter, das können die Engländer gut aussprechen, und meine Mum Hermine Granger.« Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut über meinen Einfall loszulachen. Diese Namen würde ich mir garantiert für meine Eltern merken können, falls später noch mal jemand nach ihnen fragen sollte.

      »Sie stellen in den großen Galerien Londons aus. Hayward Gallery, Gagosian in King’s Cross oder im White Cube, da waren sie erst kürzlich.« Ich zog triumphierend die Augenbrauen hoch. Uff, wie gut, dass wir neulich in Englischer Landeskunde diesen trockenen Text über die blöden Galerien durchgenommen hatten.

      Oder hatte ich es übertrieben, war das zu viel gewesen? Spätestens, wenn Dagmar die beiden Namen googeln würde … Ich sah, wie der Blick meiner Tante zu den zwölf wuchtigen Bänden des Lexikons huschte. Ein Sieges-Gefühl breitete sich wie eine warme Woge in meinem Bauch aus. Googeln? Im Jahre 1980 wurde noch nichts gegoogelt. Das Wort war ja noch nicht mal erfunden! Und Harry Potter war noch nicht geschrieben. Ich konnte hier erzählen, was ich wollte.

      »Ich weiß nicht, ob sie schon im Der Neue Brockhaus stehen.«

      »Jaja, im Der Neue Brockhaus«, ahmte Dagmar meine Tonlage nach und lachte ihr gemeines Lachen.

      »Unsere Dagmar schmökert da ja dauernd drin!«, sagte Omi, die von den leichten Anfeindungen anscheinend nichts mitbekommen hatte.

      Nun verdrehte Marion die Augen. Ich lächelte sie an. Diese Latzhosenträgerin war meine Mutter. Und das war äußerst komisch. Aber sie war auch gegen DDD und das machte sie schon zu einer halben Freundin.

      Als wir nach dem Essen nach oben gingen, lief Zucker eilig voraus, sein Schwanz wedelte lustig vor mir her. Doch mein Kichern galt noch immer Harry Potter.

      »Bist du öfter so gut gestimmt?«, fragte Marion, als sie die Tür hinter uns geschlossen hatte. Gut gestimmt. Schmökern. Die redeten echt komisch in dieser Zeit.

      »Nö. Nicht wirklich. Aber eine Sache ist echt cool!« Hastig erzählte ich Marion, wie einfach es gewesen war, Dagmar etwas vorzulügen. »Wären wir jetzt im Jahr 2015, hätte sie innerhalb von zwei Minuten herausgefunden, dass ich nicht die Wahrheit sage. Es wäre so einfach nachzuprüfen. Sie müsste nur die Namen meiner erfundenen Eltern googeln und schon wären wir am Ar… wüsste sie, was los wäre.« Ich schluckte. Irgendwie kam es mir unangemessen vor, bestimmte Wörter vor meiner Mutter zu gebrauchen. Selbst wenn wir gleich alt waren. Marion schaute mich fragend an: »Was ist denn bitte schön guuugeln?! Hört sich an wie Gugelhupf.«

      »Tja, schwierig zu erklären.« Ich gab einen kleinen Seufzer von mir. »Na ja … gibt es bei euch schon Computer?«

      »Klar. Bei der NASA stehen riesige Hallen voller Rechner.« »Also in der Raumfahrt? Mehr nicht?«

      »Hab mal eine Reklame gesehen für etwas, das Commodore heißt. Weiß aber nicht genau, was das ist. Frag doch das Einser-Abitur, unsere Dagmar!«

      Ich winkte ab. »Bloß nicht! Also, stell dir eine digitale Plattform vor …«

      »Eine Plattform? So wie auf einem Aussichtsturm?«

      »Nein.« Aussichtsturm? Geht’s noch? »Ein riesiges Netz von Daten, und jeder kann sich dort Informationen holen wie in einem gigantischen Buch.«

      »Und das steht dann im Computer?«

      »Ja, du gehst zum Beispiel auf Wikipedia, das ist eine Art Lexikon wie euer total hipper Brockhaus da unten, oder Guuugel, frag mich nicht, warum das so heißt. Das ist eine Suchmaschine und da gibst du ein paar Wörter ein oder sogar nur eins und schon hast du Hunderte von Einträgen.«

      »Und wer hat die geschrieben?«

      »Keine Ahnung, irgendwer eben.«

      »Ja, aber dann weißt du doch gar nicht, ob das stimmt. Bei unserm Brockhaus kann man sich darauf verlassen.«

      Ich biss die Zähne aufeinander, wie immer, wenn ich vermeiden wollte, vor Ungeduld auszurasten. »Mann, du bist ja wie unsere Deutschlehrerin, die will auch nie, dass wir im Internet aus unbekannten Quellen abschreiben.« Ich konnte Marions skeptischen Blick nicht ertragen.

      »Und wie blättert man dieses riesige Buch um?«, fragte sie.

      Hallo? Marion war ja vielleicht ganz lieb, aber irgendwie nicht besonders schnell im Gehirn. »Na, mit der Tastatur.«

      »Hat etwa jeder so einen Computer? Bei sich zu Hause?«

      »Jeder!«

      »Ehrlich? Wer will denn so ein Ding im Haus haben?«

      »Glaub mir, jeder will so ein Ding im Haus haben. Und nicht nur eines! Die werden immer kleiner, dünner, leichter. Sie heißen Laptop oder, wenn sie noch kleiner sind, Tablet. Und man kann Filme schauen, immer, zu jeder Zeit. Wie viele Programme habt ihr eigentlich in euer Monster-Fernseh-Kiste?«

      »Drei.«

      »Drei!? Wow. In Schwarz-Weiß?«

      »Farbe«, sagte Marion knapp.

      »Na immerhin. Gibt es schon Videorekorder? Wo man Filme aufnehmen und abspielen kann?«

      »Äh … Justus von Möller, der hat angeblich einen. Seine Familie ist reich, aber bei dem war ich noch nie zu Hause. Dieser technische Kram interessiert mich übrigens auch nicht.«

      Ich schüttelte ungläubig den Kopf: »Bei mir liegen noch so alte Kassettendinger im Schrank. Riesige schwarze Plastikteile. Aber heute gibt’s DVDs, das sind kleine silberne Scheiben.«

      »Kleine silberne Scheiben?« Marion schaute mich an, als ob ich von Ufos über Godesbach erzählen würde.

      »Na ja, vergiss es. Also im Internet, da kann man alles sehen, Kinotrailer, vines, was man will. Und man kann sich Fotos schicken und eigene Videos, einfach alles. Hach, ich würde dir so gerne meinen Facebook-Account zeigen. Da sind alle meine Freunde drin.«

      »Warum sind die da drin? Ist das so ’ne Art Poesie-Album?«

      »Nein.« Langsam bekam ich Kopfschmerzen von Marions umständlicher Fragerei. »Oder vielleicht doch. Jeder hat da eine Seite, auf der postet man die Sachen, die einem so auffallen. Und die anderen machen dann Kommentare, sagen, dass es ihnen gefällt. Mit so ’nem ausgestreckten Daumen, weißt du? I like!« Ich machte Marion den Daumen vor und kam mir unsäglich albern dabei vor. Der Daumen ist albern. »Und man kann natürlich auch chatten, also miteinander reden.«

      »Und das ganz ohne Papier?«

      »Ganz ohne Papier.«

      »Danke für die Erklärung«, sagte Marion ernst.