Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft. Stefanie Gerstenberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Gerstenberger
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401805153
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kann, aber es stimmt! Vorsicht, vielleicht sitzt du auf der Uhr!«

      Marion erhob sich und fing an, wie ich auf Knien die langen Gräser zu durchsuchen.

      »Also gut, ich tu jetzt einfach mal so, als ob ich daran glaube. Habe ich das Café übernommen? Ach, natürlich habe ich das Café übernommen«, antwortete sie sich. »Wer denn sonst? Dagmar etwa?« Sie lachte auf, doch es klang nicht überzeugt. »Jetzt sag doch mal, wann werde ich meinen zukünftigen Mann kennenlernen? Oder kenne ich ihn schon? Aber es wird nicht Matti aus der B sein?«, fragte sie mit einem kleinen, albernen Lacher, dass es mir das Herz in der Brust zusammenzog. »Ich weiß nicht, wieso, aber ich verlieb mich natürlich immer in die, die nichts von mir wollen.«

      Oje. Dieser Typ aus der B war für meine kleine Audrey-Hepburn-Mama hier so hoffnungslos weit weg wie für mich Timo. Verlegen zuckte ich mit den Schultern, während ich den Blick gesenkt hielt und mit beiden Händen die hoch stehenden Halme auseinanderbog. Moment mal, Matti? Der Name kam mir doch bekannt vor, hatte sie den nicht am Abend zuvor erwähnt? Der Finne aus der Parallelklasse? Ich wollte gerade antworten, doch jetzt war Marion in Fahrt: »Hey, du Zukunftsorakel! Liebt er mich wirklich und ehrlich? Erich Fromm schreibt, dass die Liebe für manche Leute nur die Antwort auf das Problem der menschlichen Existenz bedeutet. Oder so ähnlich. Aber er dein Vater …?« Ihre Mundwinkel verzogen sich plötzlich nach unten. »Au weia, das ist echt voll irre. Wie sieht er aus? Und wie ist er?«

       Tja, das würde ich auch gerne wissen! Aber du hast immer behauptet, wir bräuchten ihn nicht. Pfff. Du vielleicht nicht …

      »Ich hoffe, er engagiert sich politisch. Gegen Atomkraft wird er ja sowieso sein, aber wir haben nicht geheiratet, oder? Ich will nicht heiraten! Wozu denn auch? Hatte ich etwa ein Kleid an? Aber garantiert nicht so ’n weißes Spitzengewand, oder? Komm, sag schon! Bitte.«

      Ich tat weiterhin so, als ob ich mich aufs Suchen konzentrierte. Meine Güte, wie sollte ich Mama, also diesem dünnen Anti-Atomkraft-Teenie-Mädchen mit der zerfransten Kurzhaarfrisur, das alles bloß erklären? Dass der Traummann erst megaspät vorbeigeritten kam, als das Anti-Atomkraft-Teenie-Mädchen schon über dreißig war? Dass es schon nach einem Jahr wieder nach Hause geflüchtet war? Dazu noch schwanger. Und sich der Traummann seitdem nie mehr gemeldet hatte?

      Als ich Marion endlich antwortete, klang meine Stimme gepresst: »Weißt du, Marion, glaub es oder nicht, aber ich tu nicht nur so, ich bin wirklich deine Tochter! Und darum ist es besser, wenn du nicht zu viel über das weißt, was passieren wird. Vielleicht wartest du sonst auf irgendetwas und triffst die falschen Entscheidungen und ich werde gar nicht mehr gezeugt oder so.« Es war lebensgefährlich, am Ende nicht gezeugt zu werden, ich musste also höllisch aufpassen.

      »Gezeugt, oh Gott, jemand muss dich ja mit mir zeugen!«

      »Ja klar, der Mann, den du sehr geliebt … also liebst.« Ich lächelte, obwohl meine Mundwinkel sich wie eingefroren anfühlten. Na ja, eben dieser Alain, der Maler aus Frankreich, der mich angeblich nicht haben wollte. Der Grund für deine überstürzte Rückkehr ins langweilige Godesbach, dem du immer noch hinterhertrauerst. Und den ich nie kennenlernen durfte. Nein, das war ganz bestimmt nicht die richtige Vorbereitung auf ein tolles Liebesleben für diese Fünfzehnjährige, die Strickwesten und Latzhosen trug und anscheinend lieber komisches Zeug las und stundenlang Biskuitteig rührte, als einem Jungen zu nahe zu kommen. »Willst du nicht mal das Tuch abnehmen? Ist doch so heiß.«

      »Nö. Ist übrigens ’ne gebatikte Windel.«

      »Windel? In die kleine Babys …?«

      »Genau. In die hier haben Dagmar und ich früher ordentlich Aa reingemacht.«

      Hallooo? O Gott, das war ja ekelhaft. Ich bekam das Bild nicht mehr aus meinem Kopf. Doch Marion kicherte nur und zog sich das Teil noch fester um den Hals. »Heute gibt es ja Plastikwindeln. Doch früher gab es nur die hier. Aber keine Sorge, die wurden ja ausgekocht …«

      »Es färbt ab«, sagte ich. »Ich hoffe zumindest, dass das nur Farbe ist, was deinen Hals so grün färbt.«

      »Na und? Sag, wann bekomme ich dich denn?«

      »Also …Moment, da muss ich rechnen …mit vierunddreißig.«

      »Was? So spät? So lange muss ich noch warten? Das sind ja noch fast zwanzig Jahre!« Marion schaute anklagend in den Kirschbaum hinauf.

      »Na ja, in denen übst du eben schon mal …« Ich kicherte los, doch Marion blieb ernst.

      »Und was, wenn ich vorher schon schwanger werde?« Sie zuckte mit den Schultern, sodass die Verschlüsse ihrer Latzhose klirrten. »Diese schäumenden Patentex-Zäpfchen sind doch mehr als ekelig. Hab echt keinen Bock auf die … Aber so lange warten?«

      »Was für Zäpfchen?« Du willst mir doch nicht sagen, dass du es schon gemacht hast.

      »Verhütung.« Doch schon gemacht. Mit fünfzehn. Na toll.

      »Habe ich aus Dagmars Schreibtisch geklaut.« Dagmar?

      »Ha, da ist sie ja!«, rief Marion, bevor ich nachhaken konnte, und griff nach der Armbanduhr, die zwischen langstieligen Kleeblättern lag. »Mein Ührchen! Aber das Armband ist blau, gestern war es doch noch rot … Wie kommt das denn?«

      »Sage ich doch, ich habe es mitgebracht. Aus der Zukunft! Und deshalb weiß ich auch, dass Opa es dir zum achten Geburtstag geschenkt hat. – Sag mal, du weißt nicht zufällig, woher er die Uhr hat?«, fragte ich.

      »Nein. Aber sie war schon damals nicht neu, das konnte man sehen.«

      Wir gingen nach oben.

      »Und was machen wir jetzt? Schicken wir dich zurück, oder wie?«

      »Natürlich, ich muss unbedingt zurück! Wer weiß, vielleicht suchen die mich schon. Also du. Und dann machst du dir Sorgen. Und dann wirst du echt unangenehm …«

      »Tut mir leid. Heute Abend versuchen wir es, okay? Es muss ja wohl im Schlaf passieren.«

      »Ich denke schon. Aber vorher will ich noch Omi und Opa ein bisschen mehr kennenlernen. Ich war vier, als sie … leider …«

      »Sie sterben?«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Natürlich sterben sie, jeder stirbt irgendwann.« Der Satz klang härter, als ich beabsichtigt hatte. Aber es stimmte nun mal. Wenn es so überraschend geht wie bei Omi und Opa damals, umso besser. Sie waren beide sofort tot, als der Ast durch das Autodach brach. Und ich war vier und lag mit Keuchhusten im Krankenhaus.

      »Aber sie haben nicht gelitten.« Wenn man mir selber in diesem Moment eröffnete, wann Mama sterben würde, wäre das schrecklich … Das da war Mama! Ich stöhnte leise, es würde eine Zeit dauern, mich an diesen Umstand zu gewöhnen.

      Marion hatte sich noch nicht beruhigt: »O nein, wenn du vier bist, dann bin ich … Moment, lass mich rechnen …«

      »Siehst du, zu viel Wissen über die Zukunft ist scheiße, das habe ich dir eben schon zu erklären versucht.«

      »Ja, aber … warum denn? Und alle beide? Zugleich?«

      »Beide zugleich, sie haben es gar nicht richtig mitgekriegt. Aber mehr erzähle ich dir jetzt nicht. Und sie sind ja schon recht alt gewesen, sie haben euch doch so spät bekommen.«

      »Weil Vati erst spät aus der Kriegsgefangenschaft kam. Und dann noch zehn Jahre brauchte, um Mutti zu treffen und kennenzulernen.« Marions Blick wurde ganz weich. »Und wo? Na!«

      »Im Zug, um nach Köln zu fahren!«

      »Wo kam er her?«

      »Aus Essen. Seiner Heimatstadt.«

      »Wo hat er gearbeitet?«

      »In Buxtehude, bei einem Imker.« Ich war dankbar, dass meine Mutter mir die Geschichte der Großeltern immer wieder erzählt hatte. »Weiß ich alles von dir!«

      »Und mit einem Fünf-Pfund-Eimerchen …«, begann Marion.

      »…