25
In der City Police gab es insgesamt 283 Beamten im Rang eines Captains, darunter die Leiter der 75 Polizeireviere und die Chefs der Spezialabteilungen für bestimmte Verbrechen, die es auf jedem Revier gab. Mordkommissionen zum Beispiel.
Und einer dieser Captains war heute in einem Feuergefecht mit FBI-Agenten erschossen worden.
Billy Dobbs, ein Mann, der in der Stadt als Muster-Cop gegolten hatte.
Ausgerechnet er.
Ich erinnerte mich an unsere Begegnung in Shokolevs Penthouse. In seiner Position war es nicht schwer, eventuelle Spuren doch noch zu verwischen. Deswegen hatte ihm unser schnelles Auftauchen nicht gepasst.
Milo und ich fuhren noch am Abend auf das 18. Revier und saßen dort Captain Eric Fernandez gegenüber, einem dunkelhaarigen Mann mit braunen, sehr ernst dreinblickenden Augen und einem etwas zu buschigen Schnurrbart. Er hatte sich seine Krawatte gelockert und bot uns Automatenkaffee in Pappbechern an. Seinen Zügen war deutlich anzusehen, wie sehr ihn die Nachricht von Dobbs' Tod mitnahm.
"Gibt es Angehörige?", fragte ich.
Captain Fernandez nickte. "Billy lebte mit seiner Schwester zusammen in einer Eigentumswohnung draußen in Queens. Die hatte er von seinen Eltern geerbt."
"Er hatte keine eigene Famile?"
"Der?" Fernandez schüttelte den Kopf. "Der hat nur für den Job gelebt. Wissen Sie, als er hier im Achtzehnten anfing, dachte ich erst, er wäre nur karrieregeil. Aber das war es nicht..." Der Revierleiter nippte an seinem Kaffee, der so dünn war, dass er kaum den Namen verdiente.
"Was war es dann?", fragte ich.
"Hunger nach Gerechtigkeit. So würde ich das nennen. Er hatte der Aufgabe, das Verbrechen zu bekämpfen sein Leben gewidmet. Und darüber hinaus war für kaum etwas Platz. Er war wirklich ein Vorzeigecop, wie es nur ganz wenige gibt. Er fiel die Karriereleiter so steil nach oben, dass manche schon gemunkelt haben, es könnte dabei nicht mit rechten Dingen zugehen."
"Und? Ging es mit rechten Dingen zu?"
"Er war einfach nur gut und die, die etwas anderes behaupteten nur neidisch."
"Wie groß war das, was Sie Hunger nach Gerechtigkeit genannt haben?", hakte ich nach.
Fernandez sah mich fragend an. "Worauf wollen Sie hinaus, Agent Trevellian?"
"Könnte es sein, dass Dobbs das Gesetz sozusagen in die eigenen Hände nehmen wollte?"
Fernandez blickte mich nicht an. Er ließ sich in seinen Drehsessel sinken, dessen Hydraulik unter ihm in die Knie ging.
Dann sprach er mit gedämpfter Stimme.
"Vor einem Jahr wurde sein damaliger Partner im Dienst von Gangstern erschossen. Die Täter konnte nie ermittelt werden. Seitdem veränderte Billy sich..."
"In wie fern?"
"Er wurde sehr verschlossen. Früher haben ihm Sonderschichten und Wochenenddienste nie etwas ausgemacht.
Jetzt hatte er immer etwas zu tun... Der Job schien nicht mehr sein einziger Lebensinhalt zu sein."
"Ist das an sich nicht positiv?", fragte Milo.
"Sicher. Aber er bekam gleichzeitig recht radikale Ansichten. Die Justiz sei zu lasch, und die Mittel des Gesetzes würden nicht ausreichen, um dem Verbrechen Paroli zu bieten. Bürgerrechte hätten diese Schweinehunde nicht verdient..."
"Das kratzt etwas an seinem Super-Cop-Image", kommentierte Milo Fernandez' Aussage.
Dieser zuckte die Schultern.
"Dienstlich gab es nie etwas an ihm auszusetzen. Wenn Sie übrigens noch Genaueres wissen wollen, dann unterhalten Sie Sie sich am besten mit Lieutenant James Crasco. Die beiden waren eine Weile eng befreundet."
Ich fragte: "Wo finden wir den?"
"Er hatte ein paar Tage frei. Überstunden abfeiern. Soweit ich weiß, wollte er nach Vermont. Aber morgen früh sitzt er garantiert wieder an seinem Schreibtisch!"
26
Mit ziemlich gemischten Gefühlen fuhren wir hinaus nach Queens, in die große Schlafstadt New Yorks. Hier lebten die, die nicht reich genug waren, um bewundert zu werden und nicht arm genug, um Mitleid zu erregen. Statt dessen wurden sie die Zielscheibe des allgemeinen Spotts: Die Mittelschicht.
Der Tod von Dobbs und die Fingerabdrücke von Belmont.
Beides zusammen gab dem Fall eine völlig neue Richtung.
"Für mich sieht das sehr nach einem Feme-Mörder-Komplott aus", meinte ich und Milo stimmte mir zu.
"Cops, die das Gesetz in die eigene Hand nehmen." Er schüttelte mit grimmigem Gesicht den Kopf. "Außer Misserfolg gibt es nichts, was unserem Ruf so sehr schadet!"
"Das ist leider wahr!", erwiderte ich.
"Immerhin scheint die Variante mit dem unbekannten Syndikat jetzt vom Tisch zu sein!"
"Ich weiß nicht, ob ich mich wirklich darüber freuen soll", erwiderte ich. "Im Übrigen scheint der Gegner, mit dem wir es zu tun haben, ebenfalls hervorragend organisiert zu sein..."
Dobbs und Belmont hatten nicht allein und auf eigene Faust gehandelt. Das war uns beiden klar. Es gab zumindest noch einen dritten Mann...
Und die Tatsache, dass sie so außerordentlich gut informiert gewesen waren, sprach eher dafür, dass die Killer, mit denen wir es bislang zu tun gehabt hatten, nur die Spitze eines Eisbergs darstellten.
Die Eigentumswohnung, die Dobbs zusammen mit seiner Schwester bewohnte, lag im fünften Stock eines ziemlich anonymen Appartmenthauses, das sicher schon einmal bessere Zeiten gesehen hatte.
Wir klingelten an der Haustür. Aber wir brauchten nicht zuu warten, bis uns jemand öffnete. Eine junge Frau kam uns entgegen, als sie gerade das Apartmenthaus verließ. Sie sah uns etwas erstaunt an und Milo hielt ihr den Ausweis hin.
"Das geht schon in Ordnung, Ma'am", sagte er dazu.
Die junge Frau nickte.
Wir hatten für alle Fälle Dobbs Schlüsselbund bei uns, den wir am Tatort in Little Italy an uns genommen hatten.
Allerdings hoffte ich, dass wir Dobbs' Schwester Catherine in der Wohnung antreffen würden. Vielleicht konnte sie uns mit ihrer Aussage weiterhelfen.
Wir nahmen den Aufzug.
Dann ging es einen langen, recht kahlen Flur entlang.
Als wir dann vor Dobbs' Wohnungstür standen, stockten wir mitten in der Bewegung.
Die Tür stand einen winzigen Spalt breit offen.
"Miss Dobbs?", fragte ich laut. "Miss Catherine Dobbs? Hier ist das FBI!"
Keine Antwort.
Mein Instinkt warnte mich.
Und dann hörten