„Sehr interessant“, meinte Berringer. „Ich habe sowieso das Gefühl, dass die Geraths mir nicht alles gesagt haben. Was ist mit Severins Verhältnis zu Frau Gerath? Bist du da irgendwie weitergekommen?“
„Nicht besonders. Da mag auch keiner drüber sprechen.“
„Hast du eine Ahnung warum?“
„Wahrscheinlich, weil alle wissen, dass sie jetzt mit Peter Gerath gut auskommen müssen und sich niemand in die Nesseln setzen will. Auf der anderen Seite waren das wohl nur Gerüchte. Was wirklich Konkretes wussten wohl nur sehr wenige Leute.“
„Unter anderem vom Pförtner.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, dass du es nicht gerne hörst, wenn ein Klient in Verdacht gerät und die Möglichkeit besteht, dass die Detektei für einen Mörder tätig ist ...“
Berringer hob die Augenbrauen. „Du verdächtigst Peter Gerath?“
„Gib zu, dass er durch das, was ich gehört habe, noch ein weiteres Motiv gehabt hätte, Severin umzubringen.“
„Umbringen zu lassen“, ergänzte Berringer. „Für die Tatzeit hat er nämlich ein verdammt gutes Alibi – mich.“
„Natürlich.“
Berringer kratzte sich am Hinterkopf. „Jedenfalls werde ich unserem Auftraggeber ein paar drängende Fragen stellen müssen.“
Für Berringers Mitarbeiter war Feierabend, für ihn selbst noch nicht. Er fuhr noch einmal zu dem Reihenhaus in Unterbilk, wo er den Halter des Golf lokalisiert hatte, und klingelte.
Das Kläffen eines Hundes verkündete, dass jemand zu Hause war. Der Ford in der Einfahrt, dessen Kofferraum offen stand und in dem sich noch zwei schwere Reisetaschen befanden, sprach wiederum dafür, dass Gabriele Hoffmann tatsächlich ein paar Tage im Urlaub gewesen war, wie der Rentner behauptet hatte.
Ein Mann öffnete die Tür und hielt den Münsterländer am Halsband. Das Tier schien ziemlich ungebärdig zu sein. Für die Jagd wohl kaum geeignet, dazu mangelte es ihm entschieden an Disziplin.
„Was ist?“, fragte der Mann. Der Kerl war groß, dunkelhaarig, wirkte muskulös und war sicher zwei Köpfe größer als der unscheinbare Hänfling, der den Golf gefahren hatte.
„Ich hätte gern mit Gabriele Hoffmann gesprochen.“ Eine Frau tauchte im Hintergrund auf. Sie hatte langes blondes Haar, das ihr offen über die Schultern fiel und seidig glänzte. Berringer schätzte sie auf etwa dreißig, den Mann vielleicht fünf Jahre älter.
„Soll ich mal den Hund nehmen?“, fragte sie.
„Ja, sperr ihn in die Toilette.“
„Okay.“
Sie verschwand mit dem Tier und kehrte einen Augenblick später ohne Hund zurück.
„Sagen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben“, forderte der Mann Berringer auf,
„aber fassen sie sich kurz. Alexandra und ich haben eine lange, anstrengende Fahrt hinter uns, und was ich jetzt am wenigsteten brauchen kann, ist zusätzlicher Stress.“
„Ihre Frau heißt nicht Gabriele?“, wunderte sich Berringer.
„Alexandra ist meine Lebensgefährtin. Und, nein, sie heißt nicht Gabriele!“
„Aber ...“
„ Ich bin Gabriele Hoffmann!“, erklärte der Mann zu Berringers Überraschung. Er verdrehte entnervt die Augen und seufzte. „Es ist immer das Gleiche. Mein Vater kommt aus der italienischen Schweiz, wo ich als Kind gelebt habe. Und im Italienischen ist Gabriele nun mal ein Männername, so wie Andrea oder Simone.“ Berringer lächelte entschuldigend. „Es geht um den Golf, den Sie besitzen. Haben Sie ihn gegenwärtig an jemanden verliehen?“
„Wer sind Sie überhaupt? Warum stellen Sie solche Fragen?“, wollte Gabriele Hoffmann wissen, und in seiner Stimme lag ein deutlich aggressiver Unterton.
„Schatz, dass muss der aufdringliche Typ sein, von dem uns Herr Kremers erzählt hat“, meinte Alexandra und sah daraufhin Berringer direkt an. „Sie waren doch gestern schon mal hier, oder?“
„Ja.“
„Herr Kremers sagte, es ginge um eine Verkehrsangelegenheit.“
„Richtig. Ich bin Privatdetektiv und ermittle in einer Fahrerfluchtsache.“
„Macht so etwas nicht die Polizei?“, fragte sie misstrauisch.
„Mein Klient hat nicht so viel Vertrauen in deren Bemühungen.“ Gabriele Hoffmann wechselte mit seiner Lebensgefährtin einen ziemlich genervten Blick und knurrte: „Kaum zu Hause, und schon wieder urlaubsreif!“
„Ich hab dir gleich gesagt, dass das mit Matti nur Schwierigkeiten bringt.“
„Er ist mein Kumpel!“
„Du siehst ja, was du davon hast. Nichts als Ärger.“
„Klar, du hast alles im Voraus gewusst! Wie du auch im Voraus gewusst hast, dass das Hotelfrühstück wahrscheinlich nicht besonders üppig sein wird.“
„War’s üppig?“
„Ach!“
Berringer mischte sich wieder ein. „Vielleicht können Sie mir weiterhelfen, indem Sie mir sagen, wer dieser Matti ist und wo ich ihn finden kann?“
„Also erst mal möchte ich definitiv klarstellen, dass ich nicht in dem Wagen gesessen habe, bei welchem Unfall auch immer“, erklärte Gabriele Hoffmann. „Ich war im Urlaub, und wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen die Adresse des Hotels, damit das Personal meine Anwesenheit notfalls bezeugen kann!“
„Schon gut, Herr Hoffmann, das glaube ich Ihnen ja.“
„Wie gesagt, Matti ist ein Kumpel. Er heißt eigentlich Matthias Gerndorf und hat in den letzten Jahren ein bisschen Pech gehabt. Da er von staatlicher Unterstützung abhängig ist – Hartz IV oder so –, darf er selbst kein Auto besitzen, weswegen der Wagen auf meinen Namen läuft. Aber ich habe die Rostlaube seit Monaten nicht mehr gesehen.“
„Hat diese Matthias Gerndorf auch eine Adresse?“
„Hat er. Er wohnt drüben in Wersten. Alexandra, schaust du mal eben im Telefonregister, welche Straße?“
„Ja.“
Berringer fuhr zur Adresse von Matthias Gerndorf. Sie gehörte zu einem Mietshaus in Düsseldorf Wersten. Er parkte den Mitsubishi am Straßenrand und musste die letzten Meter zu Fuß laufen. Ein Möbelwagen stand vor dem Eingang, und ein Trupp von Möbelpackern trug allerlei Zeug aus dem Haus. Das meiste war in handelsübliche Umzugskisten verpackt, aber es waren auch ein paar Möbelstücke dabei, die sich überwiegend in einem erbarmungswürdigen Zustand befanden.
Berringer fragte sich, weshalb so ein Müll überhaupt noch aufbewahrt wurde. Der Transport würde dem einen oder anderen Teil ohnehin den Rest geben.
Berringer trat in den Hausflur.
Gerndorfs Briefkasten quoll über. Broschüren von Versandhäusern und Briefe mit dem Aufdruck MAHNUNG verstopften den Schlitz.
Die Wohnung lag im zweiten Stock. Berringer wich zwei Packern aus, die gerade einen Schrank aus edler Spanplatte mit verhunztem Furnier an ihm vorbeitrugen, und ging dann nach oben. Er nahm immer mehrere Stufen auf einmal. Einen Aufzug gab es nicht. Macht nichts, dachte Berringer, dann tust du wenigstens was für deine Fitness.
Die Tür von Gerndorfs